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Buchbesprechung: Sarah Jäger „Und die Welt, sie fliegt hoch“

Cover: Sarah Jäger „Und die Welt, sie fliegt hoch“Lesealter 13+(Rotfuchs-Verlag 2024, ca. 270 Seiten)

Es ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich bei der Seitenangabe ein „ca.“ davorstelle. Das liegt daran, dass die Seiten in Sarah Jägers Buch „Und die Welt, sie fliegt hoch“ keine Nummern tragen. Von daher habe ich mich auf die Angabe auf der Verlagswebseite verlassen (und nicht nachgezählt) … Das ist aber – so viel sei vorweggenommen – nicht das einzig Besondere an diesem Buch. Nein, auf den Leser bzw. die Leserin wartet da etwas, was man so in der Form noch nicht gelesen hast … Das Cover finde ich übrigens ausnehmend gelungen; es sieht sehr edel aus.

Ava und Juri waren früher in der gleichen Grundschulklasse. Schon damals haben sie wenig miteinander geredet, doch danach haben sie sich ganz aus den Augen verloren. Die Sommerferien sind in der zweiten Hälfte, als Ava mit Juri über eine Sprachnachricht Kontakt aufnimmt. Juri ist ziemlich verwundert: Warum meldet sich Ava bei ihm? Er versteht das nicht. Und Ava gibt etwas von sich, was eher wie eine Ausrede klingt: Sie hätte beim Aufräumen einen Zettel mit seiner Handynummer gefunden, und ihr sei so unendlich langweilig, weil sie Hausarrest habe …

Sarah Jäger & Sarah Maus „Und die Welt, sie fliegt hoch“ (Beispielseite 1)

So beginnt das Buch … | aus: Sarah Jäger & Sarah Maus: „Und die Welt, sie fliegt hoch“ | © Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2024

Bald kommt raus, dass sie beide – also auch Juri – zu Hause sitzen, statt wie andere das schöne Sommerwetter zu nutzen und im Urlaub oder im Freibad zu sein, allerdings aus unterschiedlichen Gründen: Ava gezwungenermaßen, Juri, weil er sich nicht unter Leute traut und lieber daheimbleibt. Er mag es nicht, mit anderen in Kontakt zu treten.

Was sich zwischen beiden entspinnt, ist ein manchmal schräger, manchmal wilder Dialog: Ava spricht ihre Nachrichten auf (wir bekommen sie – geht ja in einem Buch nicht anders – als Lesetext präsentiert), während Juri seine Antworten tippt. Und Ava ist eine echte Plappertante, die manchmal kaum zu bremsen ist, die mit der Wahrheit spielt, Geschichten erfindet, oft kein Blatt vor den Mund nimmt und ungefiltert sagt, was sie denkt. Für Juri ist das ziemlich anstrengend, und anfangs nimmt man als Leser/in deutlich wahr, dass er sich nur widerstrebend auf den Austausch mit Ava einlässt; irgendwann ändert sich das.

Doch genau das ist das Interessante an dem Buch: Die beiden kreisen umeinander, obwohl sie es auch nicht leicht miteinander haben, weil sie so verschieden sind; die aufgedrehte Extrovertierte, um kein Wort verlegen, auf der einen Seite, der überängstliche Introvertierte mit sozialen Ängsten auf der anderen Seite. Und es geht um vieles in den Gesprächen, die sich über 10 Tage hinziehen: um Themen wie Geburtstag, Origami (ein Hobby von Juri), die eigenen Familien, frühere Einträge in Poesiealben, peinliche Dinge wie den ersten Kuss oder Pupse in der Öffentlichkeit.

Wie die Gespräche im Buch präsentiert werden, finde ich ein bisschen anstrengend. Was Ava äußert steht immer auf der linken Hälfte der Doppelseite, die Sätze von Juri auf der rechten Hälfte. Anstrengend ist das, weil man immer weite Wege zurücklegen muss, um von Ava zu Juri und zurück zu springen, und dabei manchmal in der Zeile verrutscht. Man hätte das typografisch natürlich auch anders gestalten können: rechtsbündig an der Mitte für Ava, linksbündig an der Mitte für Juri – warum das nicht so gemacht wurde, kann man sich denken: Der Leerraum für die Illustrationen von Sarah Maus, die auf allen Seiten zu finden sind, wäre aufgesplittet.

Sarah Jäger & Sarah Maus „Und die Welt, sie fliegt hoch“ (Beispielseite 2)

Ava als komischer Vogel, Juri als Astronaut | aus: Sarah Jäger & Sarah Maus: „Und die Welt, sie fliegt hoch“ | © Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2024

Die Illustrationen sind in Grautönen gehalten, und Ava und Juri werden zeichnerisch durch zwei unterschiedliche Figuren präsentiert: Für Ava steht ein Vogel (der für mich oft wie eine Ente aussieht), für Juri ein Astronaut (plus Weltraum). Es gibt letztendlich keine Doppelseite, wo nicht mindestens der Vogel, ein Astronaut oder der Weltraum auftaucht. Wieso diese Figuren? Das wird gleich auf den ersten Seiten erklärt: Sie stammen von einem Kostümfest in der dritten Klasse, wo Ava als „komischer Vogel“, wie Juri das nennt, und Juri als Astronaut verkleidet war.

In den „Gesprächen“ kommt es auch zu einigen Irritationen, ja, Krisen könnte man sie fast nennen. Doch wenn dann einer der beiden länger schweigt, ist der andere verunsichert; und so wachsen Ava und Juri irgendwie zusammen und lernen voneinander. Man macht sich als Leser/in natürlich auch so seine Gedanken über die beiden – das Buch interpretiert nicht. Juri wirkt auf mich in vielem wie ein Junge mit Asperger-Autismus, während Ava sehr impulsiv erscheint (man denkt an ADHS). Aber das sind letztendlich nur Etiketten, die das Buch nicht braucht, die man auch als Leser/in nicht braucht.

Das Buch hat einiges, was zum Weiterlesen motiviert. Die Spannung resultiert unter anderem daraus, dass Ava nicht erzählen will, warum sie den Hausarrest aufgebrummt bekommen hat. Außerdem kennt das Buch zwischendrin immer wieder (auch bei Juri) unerwartete Wendungen – Stichwort Freibad. Mehr sei nicht verraten. Das alles gipfelt in einem Schluss, den man nicht erwartet … Gut so.

Sarah Jäger & Sarah Maus „Und die Welt, sie fliegt hoch“ (Beispielseite 3)

Manchmal rumpelt es auch zwischen Ava und Juri … | aus: Sarah Jäger & Sarah Maus: „Und die Welt, sie fliegt hoch“ | © Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2024

Fazit:

5 von 5 Punkten. Ich habe anfangs gedacht, dass ich das Buch in kurzer Zeit durch habe; aber ich habe mir dann doch viel Zeit gelassen und immer nur die Dialoge eines Tages am Stück gelesen. So wirken die Gespräche zwischen Ava und Juri besser nach. Mir gefällt jedenfalls sehr, wie da zwei Jugendliche sich mit ihren großen Unterschiedlichkeiten konfrontieren, wie sie um ihre Lebensgeschichten kreisen, zwischen schützender Distanz und Nähe hin und her wechseln. Das alles ist spannend zu lesen, weil in den Dialogen nicht nur viele Gefühle ausgedrückt werden, sondern auch viele ungesagte Dinge mitschwingen.

Die Illustrationen haben einen gewissen Reiz; vieles gefällt mir gut. Ich habe mich gefragt, ob das Buch auch ohne sie funktionieren würde, und ich glaube: ja. Es ist sicher eine große Leistung, jede Doppelseite zu illustrieren, ich verstehe auch den Ansatz, Vogel und Astronaut als durchgängige Illustrationsmotive zu verwenden; aber durch diese Beschränkung kommt das Illustrieren vielleicht manchmal etwas eintönig rüber. Ich habe die Illustrationen – ehrlich gesagt – manchmal nicht richtig beachtet und nur am Rande wahrgenommen. Für mich ist der Text alles in allem das Interessantere und Wichtigere an dem Buch, und der Text ist eine Wucht. Das mögen andere Leser/innen aber durchaus anders sehen.

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(Ulf Cronenberg, 22.02.2024)

Abdruck der Buchseiten mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt-Verlags, Hamburg – herzlichen Dank! Die Bild- und Text-Rechte liegen bei den Autorinnen und dem Verlag.


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