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Buchbesprechung: Davide Morosinotto „Time Shifters“

Cover: Davide Morosinotto „Time Shifters“Lesealter 14+(Thienemann-Verlag 2023, 407 Seiten)

Der Italiener Davide Morosinotto hat schon einige ganz besondere Kinder- und Jugendromane geschrieben – moderne Abenteuerromane wie sein Debüt „Die Mississippi-Bande“, das noch dazu ansprechend illustriert ist. „Time Shifters“ ist dagegen etwas ganz anderes: ein Science-Fiction-Roman. Im Nachwort schreibt Davide Morosinotto, dass er seit Kinderjahren ein Science-Fiction-Fan ist, was ich durchaus verstehen kann. Gute Zukunftsromane fand ich schon immer spannend und interessant, und ich würde mir da auch mehr Jugendromane wünschen.

Inhalt:

Micaela ist eine sehr junge italienische Offizierin, die an einem Geheimprojekt in der Nähe von Prag mitarbeitet. Grundlage ist eine Erfindung, die dazu führt, dass man mit einem immensen Aufwand bis zu 24 Stunden in die Vergangenheit reisen kann, um diese zu verändern. In weltweiten Geheimprojekten wird so immer wieder die Vergangenheit verändert, und zwar immer dann, wenn es zu großen vermeidbaren Katastrophen gekommen war.

Eine solche hat sich in Bologna zugetragen. Hintergrund ist, dass Enrico, ein Gymnasiast völlig außer Tritt gekommen ist, weil sich in seinem Leben so viel zum Negativen entwickelt hat. War er bis vor kurzem auf der Sonnenseite des Lebens mit reichen Eltern, als erfolgreicher Schüler, so steht er nun vor einem Trümmerhaufen. Die Familie ist zerschlagen, auch in der Schule läuft es schlecht, zu allem Übel fährt er noch den Volvo des Schulleiters an, der daraufhin droht, ihn von der Schule zu schmeißen.

Als am Abend bei Enrico auch noch mit seiner Freundin alles schiefläuft, betrinkt er sich. Und schließlich beschafft er sich Sprengstoff, bringt ihn über einen geheimen Zugang in die Schule und will am nächsten Tag die Schule in die Luft sprengen. Ron, ein Mitschüler, merkt, dass mit Enrico was nicht stimmt, aber weiß nicht, was los ist. Doch von Micaela, der Zeitreisenden, die das Unglück verhindern will, bekommt er gesagt, dass Enrico etwas Schlimmes plant und dass er seinen Mitschüler im Auge behalten soll …

Bewertung:

Es ist gar nicht so einfach, über dieses Buch eine Inhaltszusammenfassung zu schreiben: Wegen der verschiedenen Zeitebenen, wegen dem ganzen technischen Kram rund um die Zeitsprünge, wegen der vielen Figuren, die hier eine Rolle spielen, kann einem nicht nur beim Zusammenfassen, sondern auch beim Lesen schon fast schwindlig werden. Davide Morosinotto zieht in „Time Shifters“ (Übersetzung: Cornelia Panzacchi; italienischer Originaltitel: „Temporali“) wirklich alle Register und hat das Buch ziemlich komplex aufgezogen.

Ganz ehrlich: Ich habe nicht alles verstanden, was die Zeitsprünge angeht – überhaupt geht mir ja nicht in den Kopf, dass man in die Vergangenheit und Zukunft reisen und daran auch noch etwas verändern kann. Im Buch wird zur Orientierung unter jeder Kapitelnummer angegeben, zu welchem Zeitpunkt sich das, was im Kapitel steht, zuträgt: Das steht dann z. B. 13 Stunden und 44 Minuten vor oder 0 Stunden und 12 Minuten nach „der Stunde null“ – wobei mit der Stunde null der Zeitpunkt der Explosion der Bombe im Gymnasium gemeint ist.

Zwischen den verschiedenen Zeitebenen wird im Buch fröhlich vor- und zurückgesprungen. Das Buch kennt außerdem mehrere Erzählstränge, deren Fäden erst nach und nach zusammengelegt werden. Auch hier zeigt sich die Geschichte komplex, und der Zusammenhang der Story um einen Mafia-Gangster namens Grande zum Beispiel wird erst sehr spät im Buch in den Rest der Geschichte integriert. Das alles ist einerseits bewundernswert planvoll konzipiert, mit sehr viel Übersicht durch den Autor – aber für den Leser bzw. die Leserin ist es andererseits eine große Herausforderung.

Spannend erzählt ist „Time Shifters“ ohne Zweifel, und dass es in der Geschichte auch knistert – nämlich zwischen Micaela und Ron –, finde ich schon fast etwas zu durchsichtig angelegt. Manche Leser/innen wird das wie mich leicht stören, andere werden es als weiteren Leseanreiz empfinden. „Time Shifters“ entspricht damit eben dem, was man von einem Science-Fiction-Thriller erwartet.

Dass das Buch einige unerwartete Wendungen nimmt, muss man Davide Morosinotto zugutehalten. Es wirkt vieles vorhersehbar, das ist es aber nicht. Somit wird man als Leser/in auch durchgängig bei der Stange gehalten, und manch anfangs Unerklärliches wird erst erklärt, wenn man im Roman weiter fortgeschritten ist: Das Buch kennt einige Coups. Und wer meint, dass das Ende auf der Hand liegt, der wird dann auf den letzten Seiten doch überrascht. So muss es letztendlich auch sein.

Davide Morosinotto ist ein eloquenter und gewiefter Erzähler, er weiß das richtige Tempo anzuschlagen, er weiß Dramaturgie aufzubauen und er hat ein Gespür für seine Figuren und deren Miteinander. Ein bisschen schade ist lediglich, dass die Figuren überzeichnet sind und damit Klischee erfüllen: Die Generalin, also Micaelas Chefin, zum Beispiel ist knallhart und zieht gnadenlos ihre Sachen durch, auch die Informatiker und Computerspezialisten erfüllen die gängigen Klischees … Bei den Figuren hätte ich mir hier und da jedenfalls etwas mehr Differenziertheit gewünscht. Bei Enrico und Ron zumindest ist mehr Tiefgang zu verzeichnen – vor allem Enrico ist mit seinen ganzen Problemen psychologisch durchaus komplex angelegt.

Fazit:

4 von 5 Punkten. „Time Shifters“ ist ein Buch, das Leser/innen, die Action mögen, reizvoll finden dürften; und dass Davide Morosinotto das Zeitsprünge-Thema verwendet, um eine ausgetüftelte Geschichte zu erzählen, wird sicher vielen Leser/inne/n gefallen. Allerdings erfordert das vollständig schwer erfassbare Szenario einiges an Ausdauer: Man muss aushalten können, dass man einiges nicht so ganz versteht: Die Technik der Zeitsprünge, deren Konsequenzen – das ist nicht in allem nachvollziehbar.

Wer damit leben kann, findet in „Time Shifters“ ein spannungsgeladenes Jugendbuch, das man dann irgendwann nicht mehr aus der Hand legen will. Für jüngere Leser/innen ist der Roman – was dessen Komplexität geschuldet ist – jedoch nichts; die Verlagsangabe mit „ab 14 Jahren“ passt aus meiner Sicht. So sehr ich Science-Fiction-Bücher liebe, mir fehlt an dem Buch, dass es mehr als Action zu bieten hat. Letztendlich ist das Einzige an diesem Zukunftsszenario, dass es die Zeitsprung-Möglichkeit gibt. Alles andere ist so wie im Leben heute.

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(Ulf Cronenberg, 11.09.2023)


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