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Buchbesprechung: David Levithan & Jennifer Niven „Nimm mich mit dir, wenn du gehst“

Cover: David Levithan & Jennifer Niven „Nimm mich mit dir, wenn du gehst“Lesealter 14+(cbj 2023, 348 Seiten)

Beim Namen David Levithan muss ich sofort an „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ denken, das meiner Meinung nach beste und innovativste Buch des amerikanischen Autors (die Verfilmung kann man meiner Meinung nach eher vergessen). Die Grundidee, dass eine Seele jeden Morgen in einem anderen Körper aufwacht, fand ich einfach genial. Für ein neues Buch hat sich David Levithan mit Jennifer Niven zusammengetan – das Thema, um das es in dem Roman geht, ist heikel: Das Buch handelt von zwei Geschwistern, die zu Hause psychische und physische Gewalt erfahren haben.

Inhalt:

Bea hat es nach vielen Jahren mit ihrer Mutter und dem Stiefvater nicht mehr ausgehalten. Mit ihren 18 Jahren ist sie abgehauen, ohne auch nur irgendjemandem Bescheid zu geben: weder ihrem Freund Joe noch ihrem jüngeren Bruder Ezra. Geflohen ist sie nach St. Louis, und aus einem schlechten Gewissen heraus, schreibt sie von einem geheimen Mailaccount wenigstens eine Mail an Ezra und erklärt sich kurz. Danach will Bea den Account löschen und nicht mehr erreichbar sein.

Ezra antwortet, und wohl weil Bea spürt, dass ihr Bruder Unterstützung braucht, bleibt sie für ihn erreichbar. Zwischen beiden entwickelt sich ein reger Mailwechsel, in dem sie sich über das austauschen, was ihnen passiert. Weil auch Ezra die Familiensituation nicht mehr aushält, flieht auch er von zu Hause. Erst kommt er bei Beas Freund Joe unter, später dann bei seinem Freund Terrence. Keine einfache Situation, weil seine Mutter und ihr neuer Mann Darren versuchen, ihn zurückzuholen.

Bea findet in St. Louis immerhin eine Schlafmöglichkeit und einen Job bei einem älteren italienischen Paar, das einen Laden führt. Irgendwann weiht Bea Ezra ein, warum sie sich so plötzlich auf und davon gemacht hat: Ihr gemeinsamer Vater, zu dem sie seit Ezras Geburt keinen Kontakt hatten, hat sich bei ihr gemeldet und will Bea treffen. Doch das anberaumte Treffen führt zu einer großen Überraschung, auf die Bea nicht vorbereitet ist …

Bewertung:

Ein großer Fan von Briefromanen bin ich nicht unbedingt, aber in „Nimm mich mit dir, wenn du gehst“ (Übersetzung: Bernadette Ott; amerikanischer Originaltitel: „Take me with you when you go“) hat mich diese Konstruktion nicht allzu sehr gestört. Das liegt daran, dass einige der E-Mails (in heutigen Zeiten werden Briefe ja digital geschrieben) recht lang sind und sich somit immer wieder auch ein Lesefluss einstellt.

Wie glaubwürdig das alles ist, ist eine andere Frage. Wer schreibt schließlich Mails an den Bruder oder die Schwester, die über 10 Buchseiten lang sind? Da rührt auch meine Skepsis dem Format gegenüber her … Wenn man allerdings zu zweit einen Roman schreiben will, ist ein Briefwechsel jedoch sehr praktisch, weil man die Rollen verteilen kann und zugleich erreicht, dass die beiden Protagonisten unterschiedliche Stimmen haben. Ob David Levithan und Jennifer Niven das wirklich so gemacht haben, wer welchen Anteil an dem Roman hat, weiß ich nicht.

Doch noch etwas anderes spricht für das Format des Briefromans: Geschickt ist das Erzählen in E-Mails auch, weil so eine gewissen Distanz zu den schwierigen Erlebnissen Beas und Ezras gehalten werden kann. Das Buch erzählt von der gewalttätigen häusliche Situation nie direkt, sondern immer nur vermittelt, indem Bea und Ezra davon berichten. Für Jugendliche ist dadurch die psychische und physische Gewalt in beider Familie gut verdaulich.

Was David Levithan und Jennifer Niven gut gelungen ist, sind die psychologischen Momente. Bea und Ezra sind in ihren Gefühlen viel hin und her geworfen. Sie halten die Situation mit ihrer Mutter und dem Stiefvater nicht mehr aus, sie haben lange darüber geschwiegen, die Situation, unter der sie leiden, mit sich auszumachen versucht. Und auch als beide von zu Hause weg sind, bleiben diese widerstrebenden Gefühle da. Es gibt da im Buch einige besonders intensive Stellen, in denen man bewundern muss, wie die beiden Autoren diesen Gefühlsmix ausloten. Zwei Sternstunden des Romans sind, als Bea die neue Frau und den Sohn ihres Vaters trifft und als Ezra, der schon länger von zu Hause weg ist, noch mal seine Mutter aufsucht.

Dem steht gegenüber, dass der Roman vor allem im zweiten Viertel einige Längen kennt. Hier hätte die Geschichte eindeutig gestrafft werden sollen – 50 oder 100 Seiten weniger hätten dem Buch gut getan. Und dass das Buch in vielem recht amerikanisch rüberkommt (von der Erzählweise bis zu den Dingen, die passieren), hat mich immer wieder auch leicht gestört. Vor allem die letzten Mails Beas an alle möglichen Personen aus ihrem früheren Umfeld gehen in Richtung Friede-Freude-Eierkuchen-Kitsch und haben Seifenoperanstriche …

Um noch mal auf das Positive des Buchs zu sprechen zu kommen: Interessant ist, dass der Vater von Bea und Ezra widersprüchlich dargestellt wird. Ist er so positiv, wie ihn seine neue Frau und dessen Sohn darstellen? Oder war er so wenig fürsorglich und uninteressiert an seinen Kindern, wie Beas und Ezras Mutter ihn beschreibt? Auch einige Briefe, die ihr Vater nach der Trennung von seiner ersten Frau geschrieben hat und die Bea in die Finger bekommt, lassen das in der Schwebe. Ich kann mir vorstellen, dass das manchen Leser bzw. manche Leserin ein wenig ratlos zurücklässt – aber ich würde sagen, dass der Roman hier durchaus realistisch ist. Man kann das, was an Dynamik zwischen Menschen passiert ist, oft nicht einfach rekonstruieren.

Fazit:

3-einhalb von 5 Punkten. „Nimm mich mit dir, wenn du gehst“ hat einiges Positive zu bieten. Dazu zählt, dass überhaupt das Thema häuslicher Gewalt aufgegriffen wird – und das auch in vielem recht differenziert. Doch zugleich hat der Jugendroman einige Schwächen. Die Weitschweifigkeit des Buchs ist manchmal anstrengend, man möchte als Leser/in, dass an einigen Stellen mehr passiert. Und das seifig vorgetragene Ende hätte es nicht gebraucht. Schade, dass das Buch hier einfach nicht konsequent und mutig genug ist. Man hätte der Zielgruppe von Leser/innen ab 14 Jahren durchaus mehr zumuten können, finde ich.

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(Ulf Cronenberg, 10.06.2023)


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