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Buchbesprechung: Karl Olsberg „Infernia“

Cover: Karl Olsberg „Infernia“Lesealter 14+(Loewe-Verlag 2023, 367 Seiten)

ChatGPT – wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass eine Anwendung der künstlichen Intelligenz in der Lage sein wird, so fachkundig Fragen zu beantworten und Texte zu schreiben. Karl Olsberg hat sich schon immer für Computerspiele und künstliche Intelligenz interessiert, und in seinem neuen Jugendroman geht es genau darum. Wie man im Wikipedia-Artikel über den Autor nachlesen kann (siehe hier) hat er über Anwendungen künstlicher Intelligenz promoviert. Fachkundig ist Karl Olsberg also sicherlich – wobei der Roman entstanden ist, bevor es den Boom um ChatGPT gegeben hat.

Inhalt:

Emma ist mit Ben befreundet, und während Emma aus einfachen Verhältnissen stammt (ihre Mutter ist alleinerziehend), kommt Ben aus einem reichem Elternhaus. Sein Vater hat eine florierende Softwarefirma, die unter anderem ein beliebtes Computer-Rollenspiel entwickelt hat: „Infernia“, wie das Spiel heißt, spielt man in einer düsteren Fantasywelt. Mit Ben zusammen streift Emma fast täglich durch Infernia, und zwar fast immer bei ihm zu Hause, denn bei Ben stehen die neuesten Geräte: sogenannte Simrigs, in denen man nicht nur in eine 3D-Welt eintaucht, sondern in einer Ganzkörpersimulation auch Bewegungen und Berührungen nachspüren kann.

Als Emma eines Tages unter ihrem Spielnamen Rialis durch die Welt streift, findet sie einen neuen Auftrag: Sie soll einen hochreinen und mächtigen Kristall, den ein Soldatenhauptmann namens Jero sichert, bergen und zurückbringen. Doch dabei geht etwas gründlich schief, und es ist ausgerechnet Bens Spielfigur Zardor, ein Dämonenlord, in dessen Hände der Kristall gerät. Dabei sterben auch einige von Jeros Männern, und Jero leidet entsetzlich darunter: weil er seine Männer nicht beschützen konnte und bei dem Auftrag, den Kristall nicht in falsche Hände geraten zu lassen, versagt hat.

Als Emma das mitbekommt, will sie Jero helfen. Jero ruft, obwohl er nur eine Computerfigur ist, etwas in ihr wach, das sie sonst aus Computerspielen nicht kennt. Sie fragt sich, ob Jero echte Gefühle empfinden kann. Weil sie Jero zu retten versucht, gerät sie außerhalb des Computerspiels mit Ben aneinander. Doch das ist nur der Anfang: Bald fragt sie sich, was die Firma von Bens Vater überhaupt mit Infernia treibt und erfährt Fragwürdiges. Und weil sie mit einem Freund das Nachhaken nicht sein lässt, schafft sie sich in der realen Welt Feinde …

Bewertung:

„Infernia“ hat mich immer wieder an „Erebos“ von Ursula Poznanski erinnert, das Urbuch aller Jugendromane, in denen das Thema Computerspiele aufgegriffen wird. Wie in „Erebos“ verschränken sich in Karl Olsbergs Roman die reale und die Computerspielwelt gekonnt: Was in Infernia zwischen Zardor und Rialis geschieht, hat Auswirkungen auf das Leben von Ben und Emma. Ben ist, als Emma Jero zur Seite stehen will, gekränkt und versteht nicht, warum sich Emma in Infernia gegen ihn wendet. Die sowieso nicht unbedingt tiefe Beziehung zwischen den beiden gerät in eine große Krise.

Was die Welt von Infernia angeht, so ist sie faszinierend und erinnert an eine Mischung aus Mittelalter und Fantasy mit Dämonen, Seelentrinkern und Zauberern; sogar die Inquisition gibt es in dem Spiel. Karl Olsberg schafft es jedenfalls gut, die Stimmung einer Computerspielwelt nachzubilden, die viele Leser/innen an bekannte RGPs erinnern dürfte. Und man kann verstehen, dass Emma in diese Welt hineingezogen wird – so dass sie mit ihrer Mutter zunehmend in Konflikt kommt, weil die ihr vorwirft, dass sie süchtig sei.

Als Emma und Ben dann entzweit sind und nicht mehr miteinander reden, tritt eine weitere Person im Roman auf: Mario ist ein nerdiger Mitschüler von Emma, der ebenfalls Infernia spielt, dabei aber als Händler im Spiel immer neutral zu bleiben versucht. Im realen Leben freunden sich Emma und Mario an, und Mario erklärt der computertechnisch wenig versierten Emma vieles. Es geht dabei vor allem auch um die Frage, ob Computerfiguren Gefühle haben können.

Bei den Diskussionen zwischen Emma und Mario wird klar, dass Karl Olsberg seine Leser/innen auch zum Nachdenken bringen will. Die Gespräche zwischen Mario und Emma sind sehr philosophisch angelegt, Karl Olsberg lässt viel Hintergrundwissen einfließen. Für meinen Geschmack übertreibt es Karl Olsberg hier mit der pädagogische Absicht etwas – sie ist zu offensichtlich. So interessant die Diskussionen zwischen Emma und Mario einerseits sind, man wird andererseits dadurch etwas aus der Geschichte katapultiert.

In der zweiten Hälfte bekommt der Roman eine neue Wendung – der Konflikt zwischen Ben und Emma tritt in den Hintergrund, stattdessen spitzt sich der Konflikt zwischen Mario und Emma auf der einen Seite und Infernal Games, der Firma von Bens Vater, auf der anderen Seite zu. Das ist für mich der Part, wo der Roman ein weiteres Mal ein wenig aus dem Ruder gerät: Mario und Emma versuchen über YouTube-Videos Mitstreiter zu finden, um die Öffentlichkeit gegen Infernal Games zu mobilisieren. Dass die beiden dafür kämpfen, dass Computerfiguren kein Leid erleiden müssen, weil sie der Meinung sind, sie haben echte Gefühle, wirkt irgendwie etwas aufgesetzt.

Und der Schluss? Da spitzt sich die Geschichte noch einmal zu und schlägt einen neuen Haken: Es geht um eine künstliche Intelligenz, die sich verselbstständigt. Es ist damit schon ein sehr großer Spannungsbogen, den der Jugendroman insgesamt aufzieht – und meiner Ansicht ist das alles ein bisschen zu viel des Guten.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Ich kann mir gut vorstellen, dass „Infernia“ seine Lese-Fans finden wird. Der Roman enthält viel, was Computerspieler/innen fasziniert, und stellt dabei durchaus auch kritische Fragen. Mich stört jedoch, dass der Roman an einigen Stellen zu pädagogisch wird – ein bisschen unauffälliger hätte man die dahinterstehenden Fragen durchaus platzieren können. So richtig glaubwürdig wirken Emma und Mario als Figuren dabei oft auch nicht, gerade wenn sie öffentlich in die Konfrontation mit einer mächtigen Computerfirma gehen. Etwas mehr Feinschliff hätte dem Buch und der Geschichte da gut getan.

Trotzdem finde ich es gut, dass Karl Olsberg mit „Infernia“ ein Buch geschrieben hat, das spannend zu lesen ist, das zugleich aktuelle Trends aufgreift. Und das ist auch der Grund, warum ich dem Buch trotz einiger Bedenken viele Leser/innen wünsche. Was Computerspiele und Anwendungen der künstlichen Intelligenz mit uns als Einzelmenschen und mit uns als Gesellschaft machen werden, das können wir noch nicht wirklich absehen. Da spitzt sich gerade vieles zu; und es ist gut, wenn man angeregt wird, darüber nachzudenken. „Infernia“ schubst einen ein wenig dahin, das zu tun …

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(Ulf Cronenberg, 15.04.2023)

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