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Buchbesprechung: David Blum „Kollektorgang“

Cover: David Blum „Kollektorgang“Lesealter 14+(Beltz & Gelberg 2023, 125 Seiten)

Der Peter-Härtling-Preis ist eine der Auszeichnungen, mit der schon einige Kinder- und Jugendbuchautoren erstmals in Erscheinung getreten sind. Für den Preis muss ein unveröffentlichtes Manuskript eingereicht werden, und das von der Jury prämierte Buch wird dann bei Beltz & Gelberg veröffentlicht. Gabi Kreslehner mit „Charlottes Traum“ oder vor zwei Jahren Juliane Pickel mit „Krummer Hund“ sind so bekannt geworden. David Blum ist nun der neue Preisträger und das expressive Cover macht zusätzlich auf das dünne Bändchen aufmerksam.

Inhalt:

Mario ist mit nicht mal 14 Jahre gestorben, und wer denkt, dass das Leben ganz vorbei ist, hat sich getäuscht. Sein Aktionsradius besteht jedoch nur noch aus seinem Grab, und in Kontakt treten kann er lediglich mit seinen direkten Grabnachbarn und ansonsten beobachten, was sich in der Nähe abspielt. Hoffmann, ein ehemals spießiger und korrekter Beamter, liegt neben Mario und mit ihm unterhält er sich oft – mehr kann Mario ja auch nicht tun. Und so erzählt er Hoffmann seine Geschichte:

In der Plattenbausiedlung, in der Mario gewohnt hat, war nicht viel los. Man trifft sich auf den Rasenflächen zwischen den Häusern, hängt gemeinsam ab. Und mit seinen Freunden Stefan und Rajko, der aus Jugoslawien stammt, sind sie froh, als sie unter einem Balkon einen verschlossenen Zugang entdecken. Mit primitiven Mitteln versuchen sie den Zugang zu öffnen, und als ihnen das nach längerer Zeit gelingt, stehen sie in einem Kollektorgang – einem langen und verwinkelten Gang, der alle Versorgungsrohrleitungen in der Plattenbausiedlung enthält.

Für die Jungen ist das wie ein Sechser im Lotto, weil sie sich Abwechslung versprechen. Doch der Gang wird kurz darauf von der Bande um Nicki beansprucht; er und seine Schergen nehmen den Kollektorgang in Besitz und verteidigen ihn mit roher Gewalt. Die Situation spitzt sich immer mehr zu – Stefan läuft auch noch zu Nickis rechtsradikalen Anhängern über; und weil Nicki was gegen Ausländer hat, eskalieren die Streitigkeiten zwischen Rajko und Nicki immer mehr. Mario wird da zwangsläufig mit reingezogen.

Bewertung:

Was ein Kollektorgang ist, wusste ich vorher ja nicht – ich habe das als Namen einer Jugendbande, die sich eben „Kollektorgang“ nennt, gelesen. Der Titel ist jedenfalls kreativ, und das gilt auch für die oben skizzierte Situation im Buch: Dass da ein toter Junge mit seinem Grabnachbarn spricht und ihm seine Geschichte erzählt, ist eine interessante Idee – sie zu verstehen, dauert aber ein bisschen. Die zwei Ebenen mit der Handlung am Friedhof und dem Rückblick, was Mario widerfahren ist, greifen im Buch, das in recht kurzen Kapiteln geschrieben ist, immer wieder ineinander.

Mario ist ein eher schüchterner und sensibler Junge, er geht auch als einer der wenigen in seiner Umgebung aufs Gymnasium. Und er ist damit in der Umgebung der Plattenbauten irgendwie fehl am Platz. Dass er in etwas reingezogen wird, das ihn gänzlich überfordert, macht die Geschichte aus. Mario muss da jedenfalls viel aushalten; letztendlich kann er für all das, was passiert, auch nichts und ist nur ein Spielball.

„Kollektorgang“ handelt davon, wie zwei Banden, die eine harmlos und lose, die andere um Nicki gewaltbereit und dominant, miteinander in einen Machtkampf geraten. Angesichts der Rahmenhandlung mit dem Friedhof ahnt man ja schon, wie es bei Mario ausgehen wird – und die Geschichte, wie es zu Marios Tod kam, wird in dem Buch aufgerollt. Erzählt wird alles immer wieder temporeich, zwischendrin wird dann aber auch wieder innegehalten und reflektiert. Das macht David Blum sehr geschickt und sprachlich in einer guten Mischung aus ansprechend und literarisch anspruchsvoll.

Mario ist Ich-Erzähler im dünnen Roman, er hat mit Gewalt absolut nichts am Hut, sie ist ihm fremd. Das gilt auch für seinen Freund Rajko, der im Boxverein ist, aber seine Fähigkeiten nur zur Verteidigung einsetzt – das gelingt ihm auch lange Zeit recht gut. Aber weil Nicki bei Rajko, gegen den sich dessen Hass richtet, nichts ausrichten kann, ersinnt Nicki einen perfiden Plan. Er weiß genau, wie er Rajko provozieren und fertig machen kann – mehr sei hier aber nicht verraten.

Die Stimmung im Buch ist ein wenig düster, auch die zarte Liebesgeschichte, die es in dem Buch gibt (Mario ist in Rajkos Schwester Ema verliebt), durchweht eine tragische Note. Die Gewalt dagegen wird nicht allzu explizit beschrieben, was man dem Jugendroman zugutehalten muss. „Kollektorgang“ verbreitet mit all dem eine ganz eigene Stimmung, die vom Tragischem bestimmt wird. Das hat durchaus seinen Reiz, die Figuren neben Mario bleiben aber manchmal etwas blass. Das habe ich am ehesten als Manko des Buchs empfunden.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Es ist nicht so ganz leicht, in David Blums „Kollektorgang“ einzutauchen. Es dauert etwas, aber spätestens ab der Mitte bekommt die Story dann einen Sog, den sie bis zum Ende des Buchs zu halten weiß. Man kann das Ineinandergreifen der Rahmenhandlung am Friedhof und die erzählte Haupthandlung, die zu Marios Tod führt, als literarisch anspruchsvoll und gelungen ansehen, man erlebt sie vielleicht aber auch manchmal so, dass sie den Lesefluss und das Eintauchen in die Geschichte stört. Für mich galt irgendwie beides zugleich.

„Kollektorgang“ ist jedenfalls mal ein ganz anderer Jugendroman: knapp und dicht erzählt, interessant konzipiert, aber nicht immer eingängig. Von daher kann ich nachvollziehen (ohne die Konkurrenz zu kennen), dass der Roman von der Peter-Härtling-Jury als Preisbuch ausgewählt wurde. Es sollen ja neue Talente, die etwas wagen, prämiert werden. Trotzdem, ein bisschen außen vor habe ich mich beim Lesen immer gefühlt, ohne genau sagen zu können, was der Grund war.

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(Ulf Cronenberg, 15.03.2023)


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