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Buchbesprechung: Zoulfa Katouh „All die Farben, die ich dir versprach“

Cover: Zoulfa Katouh „All die Farben, die ich dir versprach“Lesealter 15+(Dressler-Verlag 2022, 386 Seiten)

Der Ukraine-Krieg, der mit dem Einmarschieren russischer Truppen in die Ukraine am 24.02.2022 begonnen hat, hat einige andere Konflikte und Kriege in den Hintergrund gerückt. Wie die Situation in Syrien war und ist, hat man dabei schon fast ganz aus den Augen verloren. Zoulfa Katouh ist eine Syrerin, die inzwischen im Ausland lebt, und sie hat einen Roman geschrieben, der die Situation in Homs, einer der vom Bürgerkrieg am schlimmsten betroffenen Städte in Syrien, beschreibt. Und es geht vor allem darum, was die Menschen dort erleiden müssen …

Inhalt:

Die Lebenssituation inmitten des syrischen Bürgerkriegs ist schlimm: Salama hat ihr erst kurz zuvor begonnenes Pharmazie-Studium aufgegeben und hilft nun im Krankenhaus, die Verletzten zu versorgen. Sie übernimmt dabei Aufgaben, für die ansonsten Ärzte zuständig sind – bis hin zu kleinen Operationen. Ihre Familie gibt es so gut wie nicht mehr: Die Mutter wurde getötet, der Vater und der Bruder wurden von den Regierungstruppen gefangen genommen und an einen unbekannten Ort verschleppt. Ob sie noch leben, ist ungewiss. Übrig geblieben ist lediglich Layla, die schwangere Frau ihres Bruders, bei der Salama auch wohnt.

Ihrem Bruder hat sie versprochen, sich um Layla zu kümmern. Salama weiß, dass die einzig wirklich mögliche Chance darin besteht, mit Layla zusammen übers Mittelmeer nach Mitteleuropa zu fliehen. Doch so richtig kommt Salama dabei nicht in die Gänge, weil sie merkt, dass sie im Krankenhaus unabkömmlich ist. Seit einer Kopfverletzung – Salama weiß nicht, ob das Zufall ist – erscheint vor ihren inneren Augen immer wieder Khawf, ein gut gekleideter Mann, der sie dann kritisch beäugt und sie daran erinnert, dass sie endlich mit Layla fliehen soll.

Inmitten der dramatischen Situation des Bürgerkriegs – im Krankenhaus treffen ständig Schwerverletzte ein, viele überleben das nicht – lernt sie Kenan kennen, als es seiner junge Schwester schlecht geht und er Hilfe sucht. Kenan ist wie Salama auf sich allein gestellt und kümmert sich aufopferungsvoll um seine beiden jüngeren Geschwistern. Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen, aber sie wollen sich das lange nicht eingestehen. Dennoch versuchen sie sich täglich zu sehen. Während Salama langsam einsieht, dass sie flüchten muss, kann Kenan sich das nicht vorstellen. Er will sein Land nicht im Stich lassen und dokumentiert mit Videos, die er auf YouTube stellt, die Gräuel der Regierungstruppen.

Bewertung:

Dass Zoulfa Katouh in „All die Farben, die ich dir versprach“ (Übersetzung: Rasha Khayat; englischer Originaltitel: „As Long as the Lemon Trees Grow“) eine sehr authentische Geschichte erzählt, kann man vermuten, weil die Autorin selbst aus Syrien stammt – auch wenn man nicht genau weiß, was sie vom Krieg alles mitbekommen hat. Sie selbst ist Kanadierin, studiert inzwischen jedoch in der Schweiz Pharmazie. Aber zurück zum Buch …

Salama ist ein Mädchen, das eigentlich viele Träume hatte und durch den Krieg in eine völlig andere Realität katapultiert wird. Selbst wenn man vieles davon im Buch lesen kann – wie die Zustände im Krankenhaus sind, wie gefährlich es jedes Mal ist, sich in den Straßen aufzuhalten, etc. –, so richtig vorstellen kann man sich die Heftigkeit all dessen als mitteleuropäischer Leser/in trotzdem nicht. „All die Farben, die ich dir versprach“ bleibt hier oft auch dezent, es geht viel um das innere Erleben der Erzählerin Salama – das macht das Buch auch für jugendliche Leser/innen lesbar. Die extremen Gräuel bleiben nur angedeutet, nur gegen Ende wird einmal eine wirklich heftige Szene in aller Deutlichkeit beschrieben.

Was politische Belange angeht, hält sich der Roman stark zurück – Salama ist ein eher unpolitisches Mädchen, was aber sicher auch ihrem Alter geschuldet ist. Klar ist nur, dass sie auf Seiten der Freien Syrischen Armee steht. Es sind die Regierungstruppen, die für Unterdrückung stehen, Homs und dessen Bewohner bombardieren. Kenan denkt dagegen deutlich politischer und möchte die Weltöffentlichkeit mit Fotos und Videos von den schlimmen Zuständen und den Kriegsverbrechen wachrütteln. Über die Hintergründe des Bürgerkrieges, hinter dem von Anfang an auch ausländische Interessen standen, erfährt man wenig. Das finde ich etwas schade; hierüber hätte ich in dem Buch gerne mehr gelesen.

Die Figur Khawfs, die Salama immer wieder erscheint, bleibt einem lange ein Rätsel. Das wirkt fast ein bisschen wie ein Anklang an den magischen Realismus lateinamerikanischer Literatur; recht weit hinten im Buch bekommt man aber eine andere Erklärung, wofür Khawf steht. Literarisch geschickt ist das gemacht. Darüber hinaus kennt der Roman noch einen anderen Kniff (wieder geht es um die Wahrnehmung der Realität), der nach zwei Drittel des Buchs einem Paukenschlag gleichkommt. Das ist nicht nur der überraschendste Moment im Buch, sondern die Stelle ist raffiniert inszeniert. (Ich bleibe hier mal bewusst vage, um nichts weiter zu verraten.)

Geschrieben ist das Buch sehr einfühlsam. Die widerstreitenden Gefühle in Salama, ihr Innenleben, ihre Zweifel und Sehnsüchte – alle das wird gut beschrieben. Als ein Motiv (im englischen Originaltitel ist es auch enthalten) zieht sich der Zitronenbaum durch das Buch. Er steht für die Hoffnung, für das, was hoffentlich irgendwann am Ende des Kriegs entstehen wird. Die Außenwelt dagegen ist im Roman weniger genau beschrieben – so richtig vor meinen inneren Augen ist da nichts entstanden. Aber vielleicht wurde das auch dadurch gestört, dass ich schon zu viele Bilder vom zerstörten Homs gesehen habe.

Was mich ein wenig an dem Roman gestört hat, war die etwas überhöhte Liebesgeschichte zwischen Salama und Kenan. Ja, beide sind schüchtern, anfangs zweifelt Salama auch öfter, ob sie nicht in Kenan einiges reinprojiziert – aber wie die beiden miteinander reden, wie sie aufeinander acht geben, das ist schon etwas zu viel vom Ideal der romantischen Liebe, wo man füreinander vorbestimmt ist. Vermutlich stört mich das, weil ich kein Jugendlicher bin … Um das an einem Satz aus dem Buch zu illustrieren: „Die Art und Weise, wie er meinen Namen ausspricht, jede einzelne Silbe betont, gibt mir das Gefühl, als würden Blumen in meinen Adern wachsen.“ (S. 205) So sehr man über den Vergleich auch erst mal staunen mag: Solche leicht schmalzigen Sätze, die eher in einen Liebesroman passen, gab es in dem Roman zu viele.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Es ist gut, dass es Bücher wie „All die Farben, die ich dir versprach“ gibt, weil sie uns daran erinnern, wie gut wir es in Europa haben, dass in anderen Ländern schlimme Zustände herrschen, in denen Jugendliche einen sinnlosen Tod sterben oder ein Leben ohne Hoffnung führen. Syrien war lange in den Medien präsent, inzwischen liest man sehr wenig über das Land, obwohl die Folgen des Bürgerkriegs andauern und das Land immer noch nicht richtig zu Frieden gekommen ist.

Zoulfa Katouh hält einem das alles vor Augen: die sinnlosen Bombardements, denen sehr viele Zivilisten zum Opfer gefallen sind; die Giftgasangriffe, bei denen die Ärzte in den Krankenhäusern hilflos bei der Behandlung sind; die Toten in allen Familie, durch die Jugendliche und junge Erwachsene auf sich alleine gestellt sind; die Flucht über das Mittelmeer, die viele Syrer nicht überlebt haben. Salama ist zwischen all diesen schlimmen Dingen eine tapfere Hauptfigur, die man als Leser/in bewundert – und letztendlich macht das auch fast alles wett, was an dem Buch oben an Kritik geübt wurde.

Auch wenn Zoulfa Katouh alles jugendgerecht verpackt, ein einfaches Buch ist „All die Farben, die ich dir versprach“ nicht. Der Dressler-Verlag empfiehlt es erst ab 16 Jahren … Ich kann es mir für interessierte und reifere Leser/innen aber durchaus schon ab 14 oder 15 Jahren vorstellen. Ob Jungen die auch enthaltene Liebesgeschichte wirklich mögen werden, wage ich eher zu bezweifeln. „All die Farben, die ich dir versprach“ ist wohl eher ein Buch für weibliche Leserinnen.

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(Ulf Cronenberg, 11.12.2022)


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