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Buchbesprechung: Nils Mohl „Henny & Ponger“

Cover: Nils Mohl „Henny & Ponger“Lesealter 14+(Mixtvision-Verlag 2020, 202 Kapitel, ca. 320 Seiten)

Ein seltsamer Buchtitel, ein eigenartiges Cover mit auffälliger Farbgebung bei der Titelschrift – das war das Erste, was mir aufgefallen ist, als ich Nils Mohls neues Buch in den Händen gehalten habe. Lange habe ich auf einen neuen Roman des Hamburger Autors gewartet, nachdem Band 3 der Stadtrand-Trilogie 2016 erschienen ist. Zwischenzeitlich war „An die, die wir nicht werden wollen: Eine Teenager-Symphonie“ erschienen, ein Buch, mit dem ich mich schwergetan habe und das ja irgendwie auch kein Roman ist. Ob meine hohen Erwartungen an „Henny & Ponger“ erfüllt wurden, das war eine spannende Frage …

Inhalt:

Ponger lebt bei Pörl, einer alten Dame, die er siezt. Sie hat ihn, den Jungen ohne Herkunft, aufgenommen. Und Pörl ist auch der einzige Mensch, der Ponger körperlich nahekommen darf. Arbeit gefunden hat Ponger in Susis Garage – das ist keine Autowerkstatt, sondern eine Werkstatt, in der alte Flipper repariert werden. Und im Flipperreparieren ist Ponger – er weiß selbst nicht warum – extrem gut. Er kann Schaltkreise quasi lesen.

In der S-Bahn beobachtet Ponger in seinem Montageanzug verstohlen ein Mädchen, das zufällig den gleichen Roman wie er liest. Von dem Mädchen ist er sofort fasziniert, er bemüht sich jedoch, das zu verbergen. Doch dann passiert etwas Unerwartetes: Das Mädchen – barfuß in gelbem Regenmantel – wird erst von zwei Typen angequatscht, dann steht es auf, spricht Ponger wegen des Romans an, und kurz bevor es die Notbremse zieht und den Waggon des stehenden Zuges verlässt, steckt es Ponger noch ein altes Handy in die Tasche. Damit sie in Kontakt bleiben können.

Ponger weiß nicht so recht, was da passiert ist, denn das Mädchen wird von Sicherheitskräften verfolgt. Er beschließt, dass er damit nichts zu tun haben will und wirft kurze Zeit später das Handy in eine Mülltonne. Doch das Mädchen findet ihn trotzdem wieder. Ponger fühlt sich weiterhin zu ihm hingezogen, zugleich ist er genervt, weil das Mädchen ihn nur mit komischen Andeutungen abspeist, aber wenig von sich preisgibt. Dass die beiden viel gemeinsam haben, ja beide nicht von dieser Erde sind, wird Ponger erst viel später erfahren …

Bewertung:

Es gibt Bücher, da fürchtet man das Ende des Buchs fast und zögert es ein wenig hinaus, indem man dem Drang weiterzulesen nicht folgt, sondern aufhört, um am nächsten Tag noch Seiten übrig zu haben. „Henny & Ponger“ war so ein Buch. Ich wollte die Geschichte nicht hergeben, damit am Ende sein, denn das Buch hat irgendwas in mir zum Klingen gebracht.

Der Roman erzählt eine eigenartige Geschichte, eine Geschichte, die – wie schon erwähnt – wie die Figuren nicht von dieser Welt ist. Da trifft – leider muss an dieser Stelle etwas gespoilert werden – eine Außerirdische auf einen Jungen, der auch nicht weiß, wo er herkommt. Henny, das Mädchen aus dem All, hat eine enge Zeitfrist von einigen Tagen, innerhalb derer sie wieder von den Menschen weg sein muss, um nicht ihr ursprüngliches Wesen zu verlieren.

Henny? Ja, so heißt die Außerirdische, und den Namen bekommt sie, weil Ponger für seine Pflegemutter Pörl ein Mädchen erfindet, in das er verliebt ist. Das Mädchen gibt es wirklich, Ponger beobachtet es als Cheerleaderin bei Basketballspielen, aber Ponger weiß weder, wie es heißt, noch hat er mit ihm gesprochen; und den Namen für sie hat er erfunden. Weil die Außerirdische auf einmal bei Pörl in der Wohnung sitzt, wird sie zu Henny – eine absurde, aber fantastische Idee, bei der das Mädchen mitspielt. Apropos Pörl: Ich habe mich lange gefragt, wie man auf diesen Namen kommt. Die Lösung, die ich gefunden habe: Die Klanggleichheit zum englischen „pearl“, dt. Perle, ist sicher kein Zufall und passt genau auf die alte Frau.

Was zwischen Henny und Ponger läuft, ist eine ganz eigenwillige Liebesgeschichte. Henny pocht darauf, dass dieser menschliche Gefühlskram völlig idiotisch ist, muss das immer wieder anmerken, und trotzdem spürt man, dass sie sich zu Ponger hingezogen fühlt. Ponger seinerseits versucht Henny irgendwie auf Distanz zu halten – aber gut gelingt ihm das nicht. Da kreisen zwei so richtig schön umeinander.

Neben dieser absurden Geschichte, die mich fasziniert hat, hat das Buch weitere besondere Momente. Schräge Figuren, wie man sie auch aus der Stadtrand-Trilogie kennt, bevölkern den Roman. Es gibt keine Seitenzahlen, sondern nur nummerierte Kapitel; 202 an der Zahl. Das kürzeste Kapitel besteht aus nicht mal einem ganzen Satz, die längeren sind 3 oder 4 Seiten lang. Das passt zu Nils Mohls ganz besonderem Erzählstil. Einmal – wirklich willkürlich – das Buch aufgeschlagen (Kapitel 36) steht da zum Beispiel:

Hotsch, der Polizeihund, schnaubt einmal die Atemwege frei. Setzt hinzu: „Mein Rat, wenn die Kleine hier auftauchen sollte und euch um einen Unterschlupf oder einen sonstigen Gefallen bittet, geht nicht drauf ein.“
Wie aufs Stichwort reicht Winotzki Ponger eine Visitenkarte, kocht dabei die Sache aber runter: „Nur für den Fall der Fälle. Der Punkt ist der: Wir würden furchtbar gerne mit der jungen Dame sprechen.“

„Henny & Ponger“ ist im Präsens geschrieben, man ist also als Leser/in mitten in der Geschichte. Und die häufigen elliptischen Sätze machen alles etwas lakonisch und erzeugen eine eigenartige Stimmung. Das tun auch die Dialoge, in denen immer nur das Nötigste in Kurzform, machmal verklausuliert gesagt wird. Ich mag diesen ausgefeilten Stil, der einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte eine besondere Note verleiht.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Sind nicht einige von uns manchmal auch nicht von dieser Welt? Kann man die Geschichte von Henny und Ponger, die man da vor sich hat, vielleicht als eine Allegorie auf das Lesen begreifen? Als Leser/in taucht man wie Henny für eine Weile in eine andere Welt ein, verlässt sie dann später wieder, bevor man sich zu sehr assimiliert. Das ist es doch, was es mit dem Lesen guter Bücher auch auf sich hat: Man ist eine Weile auf einem anderen Planeten. Dass Nils Mohl Henny und Ponger ausgerechnet John Green lesen lässt, ist sicher auch kein Zufall. Denn der hat bisher nur gute Jugendromane geschrieben …

Ich hatte mich nach der verhaltenen Reaktion einer befreundeten Buchhändlerin zu „Henny & Ponger“ ja mit einigem Respekt an das Buch gemacht – mit der Sorge, es könne mir nicht gefallen. Aber ich kann nur sagen: Ich bin von der Geschichte hin und weg. „Henny & Ponger“ erzählt eine Liebesgeschichte, die so gänzlich anders als alles andere, was ich bisher gelesen habe, ist. Sie mag nicht jedermanns bzw. jederfraus Nerv treffen – aber meinen eben schon. Und stilistisch sitzt in dem Roman einfach jedes Wort (noch ein Beispiel: „Sollten innere Stimmen auch bitter grinsen können, dann tut es die von Ponger gerade im großen Stil.“ – Kapitel 97).

Auf dieses Buch hab ich gerne 6 Jahre gewartet, trotzdem würde ich mir wünschen, dass der nächste Roman von Nils Mohl etwas näher ist. Bis dahin werde ich „Henny & Ponger“ aber noch mal lesen. Das sollte man (auch wenn ich fast nie die Zeit dazu habe) mit guten Büchern wie mit guten Filmen, die man auch zweimal sehen sollte, machen. Doppeltlesen ist so etwas wie der Lackmus-Test für gute Bücher. Gefallen sie einem wieder, haben sie mehr als die Story zu bieten. Wie das bei „Henny & Ponger“ ist, kann ich aber noch nicht sagen …

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(Ulf Cronenberg, 15.08.2020)

P. S.: In der Ursprungsfassung, lieber Nils, ist „Margos Spuren“ übrigens kein blaues Buch.


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