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Buchbesprechung: Lauren Oliver „Broken Things – Alles nur (k)ein Spiel“

Cover: Lauren Oliver „Broken Things – Alles nur (k)ein Spiel“Lesealter 15+(dtv 2021, 397 Seiten)

Die New Yorkerin Lauren Oliver ist bekannt für ihre eher dicken Jugendromane. Ich glaube, bisher habe ich von ihr immer nur gebundene Bücher gelesen; ihr neuer Roman ist allerdings als Klappenbroschur erschienen. Was das deutsche Cover angeht, ist sie diesmal nicht gerade gewürdigt worden – also wenn ich Lauren Oliver nicht schon kennen und schätzen würde, hätte ich aufgrund des Covers nicht den Wunsch verspürt, das Buch in die Hand zu nehmen, sondern wäre im Buchladen glatt daran vorbeimarschiert …

Inhalt:

Fünf Jahre ist es her, dass die 13-jährige Summer ermordet wurde – aufgeklärt wurde der Mord nach wie vor nicht. Zwar wurden ihre besten Freundinnen Brynn und Mia sowie Summers damaliger Freund Owen in dem kleinen Städtchen Twin Lakes von vielen als Täter/innen verdächtigt, aber aufgrund einiger Ermittlungspannen kam es nie zu einer Verurteilung. Summer hatte oft mit Mia und Brynn gespielt, dass sie in einer Parallelwelt namens Lovelorn leben, die Summer aus einem Buch kannte. Sie haben die Geschichte zur Wirklichkeit werden lassen. In dem Buch gab es auch einen Schatten, der Kinder mitgenommen hat, damit der Rest der Menschen weiterleben kann. Und genau dieses Schicksal hat Summer in der Wirklichkeit getroffen.

„Beste Freundinnen“ – so ganz stimmt das nicht. Brynn und Mia haben zwar viel mit Summer unternommen, aber Summer war nicht selten ziemlich durchgeknallt; Mia und Brynn waren einerseits fasziniert von ihr, andererseits war sie ihnen aber oft auch unheimlich. Summer hatte allerdings auch eine üble Kindheit, in der sie in verschiedenen Pflegefamilien viel Schlimmes erlebt hatte.

Fünf Jahre später treffen Brynn, Mia und Owen eher durch Zufall in Twin Lakes wieder aufeinander, und vor allem Mia und Brynn wollen herausfinden, wer Summer damals ermordet hat. Anfangs haben die beiden Mädchen auch Owen in Verdacht, aber wirklich glauben sie nicht daran. Unterstützung bekommen sie bald von zwei weiteren Jugendlichen: Wade, Brynns Cousin, sowie Abby, einer Freundin von Mia, die erst vor zwei Jahren nach Twin Lakes gezogen ist. Doch je länger sie recherchieren und über den Tathergang nachdenken, desto weniger klar erscheint ihnen alles. Es gibt, was den Tod von Summer angeht, einfach zu viele Ungereimtheiten.

Bewertung:

Dass Lauren Oliver eine begnadete Erzählerin ist, steht außer Zweifel – das kann man staunend einmal mehr feststellen, wenn man „Broken Things – Alles nur (k)ein Spiel“ (Übersetzung: Katharina Diestelmeier; amerikanischer Originaltitel: „Broken Things“) liest. Immer wieder blitzen ungewöhnliche sprachliche Bilder, Vergleiche und Metaphern auf, mit denen Lauren Oliver Menschen und Situationen treffend beschreibt. „Seine Augen sind schlammbraun und ruhen unter dichten Augenbrauen wie Insekten auf der Suche nach Deckung.“ (S. 110) So wird zum Beispiel einmal Summers Pflegevater beschrieben. Solche begnadeten Formulierungen findet man nicht überall, aber sie tauchen immer wieder auf.

Was Lauren Oliver – auch das kennt man aus den früheren Romanen – in ihrem neuen Buch auszeichnet, ist ihr großes Gespür für die Figuren. Brynn und Mia als Erzählerinnen sind nicht nur gut konstruiert, sie haben auch faszinierende und eigenwillige Persönlichkeiten; und sie haben schwierige Familienverhältnisse, die allerdings in vielem nur angedeutet werden. Wie die Figuren im Buch agieren, was ihnen im Kopf herumgeht, welche Gedanken und Gefühle sie haben, wie sie miteinander kommunizieren, beschreibt Lauren Oliver detailverliebt bis in kleinste Winkelzüge. Man kann fast in die Seelen der Figuren schauen – das gilt nicht nur für Brynn und Mia.

Das alles führt folgerichtig manchmal zu längeren Ausführungen, die wahrscheinlich nicht jedermanns Geschmack treffen dürften. Ja, man braucht ein bisschen psychologisches Interesse, um hier andocken zu können. Letzten Ende ist es am ehesten das, was man dem Buch vorwerfen kann: dass es an manchen Stellen einen Tick zu ausführlich geschrieben ist und dass die Geschichte hier und da ein bisschen auf der Stelle tritt. Ich habe das nicht als tragisch empfunden, aber etwas mehr Drive hätte ich mir in der Geschichte trotzdem ab und an gewünscht.

Den meisten Kapiteln sind Buchauszüge aus einem fiktiven Roman namens „Der Weg aus Lovelorn“ einer ebenfalls fiktiven Autorin namens Georgia C. Wells (sicher eine Reminiszenz an H. G. Wells, einen der ersten Science-Fiction-Schriftsteller) vorangestellt. Die Welt aus Lovelorn spielt in dem Buch eine wichtige Rolle … Wie hier ein fiktives Buch und eine Gegenwartsgeschichte miteinander verknüpft werden, ist geschickt gemacht und bringt einen Hauch Fantastisches in den Roman. Nicht hundertprozentig alles konnte ich hier nachvollziehen; aber zumindest übertreibt Lauren Oliver es mit dem Mystischen nicht, wie ich es von anderen Romanen kenne. Das liegt daran, dass Lovelorn nicht einfach irgendwas Übersinnliches und Unerklärliches ist, das im Buch auftaucht. Lovelorn ist vielmehr für die drei Mädchen eine Parallel- und Fluchtwelt, die nachgespielt ihr echtes Leben erträglicher machen sollte.

Letztendlich ist „Broken Things“ aber auch eine Kriminalgeschichte – denn der Hauptplot besteht darin, dass Mia, Brynn & Co. den Mörder von Summer finden wollen. Hochbrenzlige Situationen oder Spannung pur darf man trotzdem nicht erwarten, die Kriminalgeschichte ist eher soft aufgezogen. Das stört grundsätzlich erst mal nicht; mit ein bisschen mehr Spannung, was die Mördersuche angeht, hätte das Buch aber noch packender werden können. Eine kleine vertane Chance.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Lauren Oliver hat mit „Broken Things – Alles nur (k)ein Spiel“ ein raffiniertes Buch geschrieben, das mystische Elemente gut mit einer Gegenwartsgeschichte verbindet; und die Spannung, die sich zwischen den Erzählerinnen Brynn und Mia aufbaut, hat auch ihren Reiz. Trotzdem zählt „Broken Things“ nicht zu Lauren Olivers besten Romanen. Wenn ich den neuen Roman z. B. mit „Panic“ vergleiche, so bittet dieser einiges mehr an Spannung – was die Gruppendynamik und die Figuren angeht, kann „Broken Things“ aber durchaus mithalten.

Alles in allem wird man in Lauren Olivers neuestem Buch gut unterhalten, kann sich an der Dynamik zwischen den Figuren erfreuen. Für Vielleser an einem grauen Winterwochenende, das man gemütlich mit Decke auf einem Sofa verbringen möchte, ist „Broken Things“ genau das Richtige – allerdings wohl eher für Mädchen als für Jungen. Das liegt einerseits an den weiblichen Erzählperspektiven, andererseits an der eher ruhigen und psychologischen Art des Erzählens.

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(Ulf Cronenberg, 28.01.2022)


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