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Buchbesprechung: Meg Rosoff „Sommernachtserwachen“

Cover: Meg Rosoff „Sommernachtserwachen“Lesealter 16+(Fischer-Verlag 2021, 255 Seiten)

Ist es wirklich fast sieben Jahre her, dass ich das letzte Buch von Meg Rosoff gelesen habe? Allerdings ist meines Wissens zwischenzeitlich aber auf Deutsch auch kein neuer Jugendroman der amerikanisch-britischen Autorin erschienen – das ist insofern ungewöhnlich, weil Meg Rosoff vorher im Zweijahrestakt neue Romane herausgebracht hat. Unkonventionelle Bücher waren das jedes Mal, nicht immer haben sie mich so richtig gepackt, und von daher war ich gespannt, wie mir der neue Roman der Autorin gefallen wird.

Inhalt:

Wie jedes Jahr verbringt die Ich-Erzählerin mit ihrer Familie – den Geschwistern Mattie, Tamsin und Alex sowie den Eltern – die Sommerferien im eigenen Ferienhaus am Meer. Mit dabei sind auch des Vaters junge Cousine Hope und ihr Freund Mal, die im Gästehaus wohnen und am Ende der Ferien ihr Hochzeitsfest feiern wollen. Doch dieses Mal ist alles etwas anders, weil die Söhne der Schauspieldiva Florence Godden zu Besuch kommen: Während Hugo ein komischer Kauz ist, der möglichst wenig mit den anderen zu tun haben will, ist sein gutaussehender und charmanter Bruder Kit vom ersten Moment an jedermanns Liebling.

Für die Ich-Erzählerin ist da sogar noch mehr: Bei der ersten Begegnung meint sie sofort, in Kit ihre große Liebe entdeckt zu haben – nur leider geht es ihrer hübschen Schwester Mattie genauso. Und Kit fängt schließlich schon nach kurzer Zeit mit Mattie eine Affäre an. Die beiden kreisen umeinander, zeigen allen ihre Verliebtheit – doch es dauert nicht lange, da beginnen sich in der Liebe erste Risse zu zeigen. Kit, das wird klar, spielt mit Mattie – aber auch mit der Erzählerin, mit der er flirtet.

Was das abläuft, versteht so richtig niemand außer Hugo. Er warnt die Erzählerin davor, dass Kit alles, was ihm begegnet, kaputtmacht und zerstört … Doch das will sie in ihrer Verliebtheit nicht wahrhaben, auch nicht, als die Stimmung in den Ferien immer mehr kippt. Die sonst so unbeschwerten Sommerferien im Haus am Meer steuern auf ein großes Drama zu …

Bewertung:

Erst beim Schreiben der Inhaltszusammenfassung ist mir aufgefallen, dass die Ich-Erzählerin im Buch gar keinen Namen hat. Geschickt ist das in „Sommernachtserwachen“ (Übersetzung: Brigitte Jakobeit; englischer Originaltitel: „The Great Godden“) gemacht: Von anderen wird sie immer ohne Namen oder nur mal mit „Liebes“ angesprochen. Von was sie aus ihrem Leben erzählt, ist letztendlich eine Sommerferienbegebenheit, die schmerzhaft war und sie aus der unschuldigen Jugend ins Erwachsenwerden geschubst hat.

Kit Godden (dass der Nachname das Wort „God“ enthält, ist sicher kein Zufall) ist ein klassischer Narzisst, er will von allen geliebt werden, benutzt andere, um gut dazustehen; es soll sich alles um ihn drehen. Doch das allein beschreibt nicht, was an seiner Person problematisch ist – Kit ist auch ein Spieler, der andere für seine Zwecke ausnutzt und dabei ohne Rücksicht auf Verluste Schrecken verbreitet. In seiner Persönlichkeit schlummert etwas zutiefst Destruktives – doch weil er so charmant auftritt, so gut aussieht, bleibt das anderen lange verborgen. Dass er am Ende des Romans fast so etwas wie einen Scheiterhaufen hinterlässt, spürt man im Buch schon früher, weil der Roman unterschwellig einen leicht bedrohlich wirkenden Ton anschlägt. Die Ich-Erzählerin merkt zwar, dass Kit alles andere als integer ist, kommt aber trotzdem nicht gegen die Anziehung, die von ihm ausgeht, an – sie ist Kit verfallen.

Ja, die Ich-Erzählerin. Sie steckt ein wenig im Chaos jugendlicher, widerstreitender Gefühle; sie sieht und empfindet vieles, kann sich aber auf vieles davon keinen Reim machen, weiß es nicht einzuordnen und kann keine Schlüsse daraus ziehen. Was Kit angeht, lässt sie sich von ihrer Begierde leiten. Eine richtig sympathische Figur ist die Erzählerin nicht, aber man versteht als Leser/in, dass sie da durch muss, um sich selbst zu finden; und das Buchende deutet auch an, dass sie ihren Weg gehen wird, aus den Erlebnissen des Sommers etwas lernen wird.

„Sommernachtserwachen“ ist wie man das von Meg Rosoff kennt, mit einem ganz eigenen Ton geschrieben: einerseits distanziert und verknappt im Stil, dann aber doch wieder in Halbsätzen bewundernswert treffsicher beschreibend, was in und zwischen den Menschen vorgeht. Wer sich darauf einlassen und mitspüren kann, bekommt ein recht gutes Bild von allen Akteuren vermittelt.

Ein typisches Jugendbuch ist „Sommernachtserwachen“ meiner Meinung nach allerdings nicht – ich glaube, dass sich (junge) Erwachsene mit dem Buch wohler fühlen als Jugendliche. Das liegt zum einen an der Distanziertheit im Erzählen, zum anderen am leicht bedrohlichen Ton des Buchs, schließlich aber vor allem an der destruktiven Persönlichkeit von Kit und an dem, was er damit auslöst. Im Roman geht es nicht nur um das Verliebtsein und die Verführbarkeit der Erzählerin, sondern auch um Probleme, die es in der geplanten Ehe von Mal und Hope gibt. Das sind Themen, die reife Leser/innen voraussetzen, und unter 16 Jahren dürften sich die meisten Leser/innen eher langweilen. Selbst ich habe diese Langeweile immer wieder (vor allem in der ersten Hälfte) empfunden, was insbesondere daran lag, dass ich nicht so richtig an der Erzählerin andocken konnte.

Fazit:

3-einhalb von 5 Punkten. So richtig gepackt hat mich „Sommernachtserwachen“ nicht – auch wenn der Roman kunstvoll aufgezogen ist und viele Anspielungen und Andeutungen auf Shakespeares „Sommernachtstraum“ enthält, die ich sicher nur zum Teil entdeckt und verstanden habe (das Thema der Hochzeitsvorbereitung wäre da z. B. zu nennen). Die Geschichte ist recht spröde und distanziert erzählt, die Figuren werden manchmal treffend charakterisiert, einige bleiben aber zugleich eher Staffage, sind knapp gezeichnete Randfiguren. Richtig Fahrt nimmt das Buch erst in der zweiten Hälfte auf, was einerseits logisch ist, weil sich die Dynamik zwischen den Figuren erst entwickeln muss; andererseits zeigt das aber auch, dass der distanzierte Ton die Geschichte nicht durchgängig trägt.

„Sommernachtserwachen“ ist deswegen ein Buch, das man nur älteren Jugendlichen, die Leseerfahrung haben, empfehlen kann – Meg Rosoffs neuer Roman ist kein typisches Jugendbuch, sondern meiner Meinung nach ein Erwachsenenroman. The Times hat das – zitiert von der Verlagswebseite zu „Sommernachtserwachen“ – sehr diplomatisch ausgedrückt: „Viel zu gut, um nur als Jugendbuch wahrgenommen zu werden.“

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(Ulf Cronenberg, 25.08.2021)

P. S.: Ob die andere Reminiszenz der Titels an Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ auch von der Autorin beabsichtigt ist, halte ich für fragwürdig, auch wenn das Thema der erwachenden Sexualität ja passen würde. Doch der deutsche Buchtitel geht nicht auf den englischen Originaltitel zurück. Aber gut gewählt hat der Fischer-Verlag den Titel in jedem Fall!


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