(Beltz & Gelberg 2021, 288 Seiten)
23 Jahre alt wird Lea-Lina Oppermann im April, und ihr erstes Jugendbuch „Was wir dachten, was wir taten“, 2017 erschienen, fand ich spannend und bemerkenswert als Debüt für eine so junge Autorin. Nach einem erfolgreichen Erstling ein ebenso erfolgreiches zweites Buch zu schreiben, ist keine leichte Sache. Von daher war ich sehr gespannt auf Lea-Lina Oppermanns zweiten Jugendroman, der zeigt – das sei vorab erraten –, dass sich die Autorin weiterentwickelt hat.
Inhalt:
Theo geht nach der Schule auf eine Künstlerakadamie, wo er Klavier studiert – die Kunst ist ihm, auch wenn er nicht wie seine Eltern Tänzer ist, in die Wiege gelegt worden. Eigentlich eher schüchtern lernt er bald andere Studentinnen und Studenten kennen, und in den Kursen erlebt er Unterschiedliches: Begeistert ist er von seinem unkonventionellen Klavierlehrer Prof. Goldstein, in Gehörbildung dagegen werden die Student/inn/en von der Dozentin ziemlich schikaniert.
Als er Aida mit ihren bunten Haaren trifft, ist er von der selbstbewussten Schauspielstudentin sofort fasziniert. Auch sie sucht den Kontakt zu Theo und lädt ihn zu einem Treffen ein, von dem sie verspricht, dass es sein Leben verändern würde, aber auch ein Wagnis darstellt. So kommt Theo in den Zirkel um Aida, der zum Ziel hat, die Menschen aufzurütteln und sie dazu zu bringen, in eine neue, gerechtere und bessere Zukunft aufzubrechen.
Damit Theo als vollständiges Mitglied akzeptiert wird, soll er eine Mutprobe absolvieren. Die Akademie wird von dem reichen Kunstmäzen Werner Stenzel mitfinanziert, um den es allerdings Gerüchte hinsichtlich zwielichtiger Treffen mit hübschen Studentinnen gibt. Theo soll das in der Akademie aufgehängte große Porträt des Mäzen mit einem Spruchband behängen … Und weil ihm das gelingt, folgen bald weitere Aktionen. Theo verliert dabei das Klavierspielen zunehmend aus den Augen …
Bewertung:
Der Einstieg in Lea-Lina Oppermanns neuen Jugendroman „Fürchtet uns, wir sind die Zukunft“ ist nicht schwer: Die Figur Theos (sein Nachname Sandmann ist sicher kein Zufall) ist so angelegt, dass man sich von Beginn an zu ihr hingezogen fühlt. Die Schüchternheit und Unsicherheit, mit der Theo in der Künstlerakademie ankommt, dann die erste Stunde mit seinem neuen Klavierlehrer Goldstein, die für Theo eine Offenbarung ist – mich hat das alles sofort in die Geschichte gezogen.
Was das Buch allerdings erzählen will, wird einem nicht sofort klar. Ja, es geht generell erst mal um die Selbstfindung eines jungen Studenten (künstlerisch, aber auch sonst im Leben); durch das Auftreten von Aida bekommt das Buch aber einen zusätzlichen Twist. Die selbstbewusste, manipulativ auftretende Aida – kein Wunder, dass sie Schauspiel studiert – ist eine schillernde Figur, die man als Leser mal faszinierend findet, dann aber auch wieder recht kritisch bewertet. Aida sprüht vor Elan, sie will die Welt verändern; aber so wie Theo sie einerseits vergöttert, sie sich ihm andererseits aber unnahbar zeigt, bleibt sie einem als Leser immer auch fremd.
Aida will die Gesellschaft verändern, sie will dabei radikal sein und beginnt mit einem subversiven Aufstand in der Akademie; ihre Wut richtet sich vor allem gegen den Mäzen Werner Stenzel. Doch irgendwie – und das ist sicher Absicht – nimmt man ihr ihr Ansinnen nicht so ganz ab. Man kommt nicht drum herum, sich zu fragen, ob nicht bei Aidas Auftreten viel Selbstinszenierung dabei ist; und dass Theo das gar nicht erkennt, tut beim Lesen fast schon etwas weh – vor allem, als er zugunsten von Aida eine andere wohlwollendere Freundin abblitzen lässt.
Nicht nur Theo, auch die anderen Figuren in „Fürchtet uns, wir sind die Zukunft“ sind gut gezeichnet, manchmal vielleicht leicht übertrieben, was aber nicht stört. Doch es gibt eine Sache, wo der Funken nicht so richtig überspringen will, wie er es eigentlich sollte: Als Theo in die Gesellschaft um Aida eingeführt wird, hält diese eine flammende Rede (und später eine zweite). Aida beklagt, dass es in der Gesellschaft nur ums Geld und um Klicks gehe, dass Kunst zum Unterhaltungsspektakel mutiert sei, sie beklagt Unrecht und Ungerechtigkeit in der Welt. Doch so fasziniert Theo im Buch von diesen Ausführungen zu sein scheint, so wenig konnte ich daran einen Reiz ausmachen. Aida reiht viele Worthülsen und Phrasen aneinander, die Faszination von Aidas Reden schwappte gar nicht auf mich über – ich fand die Reden eher banal.
Das ist schade, weil es verhindert, dass man versteht, warum Theo Aida so kritiklos folgt. Wenn Theo und Aida dagegen losziehen und vorzugsweise nachts etwas unternehmen, spürt man den Sog und die Faszination Aidas schon eher. Lea-Lina Oppermann macht diese Szenen im Buch mit einem bekannten Stilelement eindrücklich: Sie wechselt vom erzählerischen Präteritum, das sonst im Buch Verwendung findet, ins Präsens und verleiht diesen Stellen im Buch damit mehr Intensität.
Warum Aida übrigens so radikal auftritt, verrät sie Theo irgendwann, und es erklärt auch, warum Aida ständig Perücken mit wechselnden Haarfarben trägt: Aida berichtet, dass sie wegen eines Glioblastoms (eines aggressiven Hirntumors) nicht mehr lange zu leben habe. Deswegen will sie das Leben in vollen Zügen auskosten und radikal auftreten. Doch hier wartet dann irgendwann noch eine Überraschung auf den Leser – mehr sei nicht verraten.
Fazit:
4 von 5 Punkten. Lea-Lina Oppermanns „Fürchtet uns, wir sind die Zukunft“ hat mich oft, wenn Aida und ihre Gefolgschaft gegen die Reichen rebellieren, an einen Film erinnert: In „Die fetten Jahre sind vorbei“ brechen zwei junge Männer nachts in unbewohnte Villen von Reichen ein, bauen darin aus Möbeln und Gegenständen einen Turm, auf dem sie dann einen Zettel mit dem Satz „Die fetten Jahre sind vorbei“ hinterlassen. Die Aktionen von Aida und ihrer Gruppe haben etwas ähnlich Subversives, und ich mag es durchaus, wenn man kritisch auf unsere Gesellschaft und die ungleiche Verteilung von Macht und Geld, die wir auch in Deutschland haben, schaut. Es ist, finde ich, schade, dass die gesellschaftspolitische Dimension am Ende des Romans in den Hintergrund tritt, weil Aidas Antrieb hinter ihrem Ziel irgendwann demaskiert wird, und das Buch dadurch wieder mehr zum Entwicklungsroman wird.
„Fürchtet uns, wir sind die Zukunft“ ist alles in allem eine kurzweilige Geschichte über Studierende in einer Künstlerakadamie, temporeich erzählt, mit schillernden und interessanten Figuren – Lea-Lina Oppermann dürfte hier manch selbst Erlebte eingebaut haben (sie hat laut Wikipedia von 2016 bis 2020 an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart studiert – und in Stuttgart spielt meines Wissens auch das Buch). Auch wenn das Subversive am Ende der persönlichen Entwicklung Theos als Hauptthema untergeordnet wird: Der zweite Roman von Lea-Lina Oppermann vermag weitgehend zu fesseln; man spürt, dass die Geschichte mit Herzblut geschrieben wurde.
(Ulf Cronenberg, 07.03.2021)
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