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Buchbesprechung: Tobias Elsäßer „Play“

Cover: Tobias Elsäßer „Play“Lesealter 15+(Hanser-Verlag 2020, 301 Seiten)

Fast 13 Jahre ist es her, dass ich das erste Mal ein Buch von Tobias Elsäßer besprochen habe: „Vielleicht Amerika“ hat mir damals gut gefallen, weil es darin unter anderen um einen Traum geht, den ich als Jugendlicher auch hatte: Rockmusiker zu werden … Daraus ist nichts geworden. Tobias Elsäßer hat da mehr geschafft: Er arbeitet meines Wissens nach wie vor auch als Musiker (vor allem Sänger) und Songwriter. Sein neues Buch „Play“ greift jedoch ein anderes spannendes Thema auf: die persönliche Freiheit angesichts sozialer Netzwerke.

Inhalt:

Jonas hat Abitur gemacht und hat für die Zeit direkt danach bereits Pläne: Er will seine Komfortzonen verlassen, etwas wagen und sein Leben in die Hand nehmen. Doch bevor er sich auf eine Reise ins Ungeplante und Unbekannte begibt, steht erst mal die große Abiturfeier an, und hier passiert am Ende etwas Unerwartetes. Im Treppenhaus kommt er mit seiner jungen und attraktiven Deutschlehrerin ins Gespräch – beide sind nicht gerade nüchtern. Und als Anne, wie die Deutschlehrerin heißt, ihn küsst, weiß er erst mal nicht, was er davon halten soll. Dass er bald auch noch mit ihr schläft, macht es nicht einfacher … Doch von seinen Reiseplänen will er trotz Anne nicht Abstand nehmen.

Außerdem hat Jonas sich auf ein Wagnis eingelassen, das er aber nicht so ganz versteht: Auf seinem Handy hat er eine App installiert, die sich „Die Maschine“ nennt; sie behauptet, mit hoher Sicherheit seine Zukunft voraussagen zu können. Dazu grast die App auf allen Kanälen das Internet ab und gibt dann Prognosen. Der vorhergesagten Zukunft, seinem Vater nicht unähnlich zu werden, sagt er den Kampf an. Dieser hat die Familie schon lange verlassen, um eine neue zu gründen und ein erfolgreicher, aber gesetzter Anwalt zu werden.

Als Jonas‘ Reise, mit Gitarre und Rucksack auf dem Buckel, auf einem Autobahnparkplatz beginnt, trifft er auf drei Mädchen, die auf dem Weg zu einer ungewöhnlichen Party sind – dass sie teilnehmen dürfen, müssen sie sich noch über besondere Aktionen verdienen. Die drei nehmen Jonas mit, weil sie in ihm auch ihre Chance sehen, aus der Vielzahl von Party-Bewerbern herauszustechen.

Jonas, der immer wieder auf seine App schaut, bemerkt, dass diese die Menschen, denen er begegnet, mit Farbsymbolen kennzechnet. Was es mit den Farben von grün bis rot auf sich hat, wird jedoch nicht erklärt. Jedoch vermutet er, dass sie die Übereinstimmung mit seiner Persönlichkeit anzeigen, und er beschließt, sich vor allem mit rot markierten Menschen zu umgeben. Sun, eines der drei Mädchen, kommt ihm da gerade recht …

Bewertung:

Soziale Netzwerke haben in den letzten 10 Jahren das Leben der Menschen stark verändert. Dass man mit ihnen leichter Kontakt zu anderen halten kann, ist eine gute Sache; der davon ausgehende Suchtcharakter oder Cybermobbing dagegen zeigen, dass vieles davon auch problematisch werden kann. Was Tobias Elsäßer in „Play“ durchspielt, dass eine App massiv in das Leben eines Jugendlichen eingreift, ist ein interessantes Gedankenspiel. Die Maschine, wie die App im Buch genannt wird, ist ganz schön mächtig, einiges davon ist sicher noch nicht Realität, anderes ist, so schätze ich es ein, nicht weit von ihr entfernt.

Dass eine App die Zukunft einer Person vorauszusagen behauptet, ist der gewagtere Teil, aber dass eine App alle Datenspuren, die man im Internet, vor allem in den sozialen Netzwerken hinterlässt, analysiert, beschreibt durchaus bereits die Wirklichkeit. Datensammelfirmen wie Facebook und Google erfahren jedenfalls sehr viel über uns, weil man im Internet mehr als gewünscht über sich preisgibt – außer man trifft große Vorsichtsmaßnahmen, die aber aufwändig sind.

„Play“ beginnt mit der Abiturfeier von Jonas, und das Buch hat mich von den ersten Seiten an für sich eingenommen, weil Jonas als Ich-Erzähler eine glaubwürdige Figur ist. Ein kleiner Schlenker gleich zu Beginn hat mir kurz Sorgen gemacht: Als Jonas am Ende der Abifeier mit seiner jungen Deutschlehrerin knutscht, später auch in ihrem Bett landet, war ich skeptisch, ob „Play“ nicht eine etwas klischee-behafte Geschichte werden könnte. Doch das Buch entwickelt sich dann gottseidank in eine andere Richtung. Jonas steht bald an einer Autobahnraststätte, wird von drei Mädchen mitgenommen, und nach einer wüsten Party mit Kontrollverlust, reist er nur mit Sun, einem der drei Mädchen, weiter. Und Sun ist eine schillernde, eine interessante Figur, die bis zum Ende die Geschichte mit bestimmt … Sympathisch findet man sie nur manchmal – das geht einem als Leser nicht anders als Jonas.

Was mir an „Play“ gefällt, ist, dass die Geschichte immer wieder Überraschungen bereithält und unvorhersagbar bleibt. Aus der angekündigten Reise ohne Planung in Richtung Meer, die Jonas vorhat (als Leser stellt man sich schon auf ein Roadmovie-Buch ein), wird nämlich nichts. Außerdem fordert Jonas immer wieder ganz bewusst, weil er sich nicht von der „Maschine“ bestimmen lassen will, das Schicksal heraus und verhält sich unvernünftig; und manchmal spielt auch das Schicksal mit ihm, wenn er zum Beispiel mit Sun einer Autopanne wegen in einer Berghütte festsitzt. Ob es Freiheit bedeutet, wenn man sich bewusst, wann immer es geht, anders als sonst verhält, ist eine Frage, die das Buch indirekt immer wieder stellt … Jonas versucht es herauszufinden.

Dass die Geschichte manchmal etwas ungeschliffen erzählt wird, könnte einen stören, passt aber irgendwie auch zu ihrem Thema. Eine Episode fand ich besonders bizarr und reizvoll zugleich: In der Nähe der Berghütte begegnet Jonas einem Wolf – mehr sei nicht verraten … Ich musste da sofort an Iva Procházkovás Jugendroman „Die Nackten“ denken, in dem ein Kojote auch metaphorisch durch die Geschichte irrlichtert. Die Begegnung mit dem Wolf hat jedenfalls etwas Archaisches und in ihrer Kuriosität eine eigenwillige Strahlkraft.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Play“ ist ein im positiven Sinn eigensinniges Buch, das bestimmt nicht für jeden Jugendlichen zugänglich ist. Die Geschichte fällt etwas aus dem Rahmen, weil sie sich an vielen Stellen nicht so entwickelt, wie man es erwartet – aber genau das macht ihren Reiz aus und passt sehr gut zu der Grundidee mit der App „Die Maschine“: Die App hat den Anspruch, die Zukunft treffsicher vorauszusagen, aber in dem Buch kommt alles anders als gedacht. Das tut der Geschichte gut.

Tobias Elsäßers neues Buch ist ein Roman, in dem es darum geht, wie viel Freiraum man in der Entwicklung seiner Persönlichkeit hat – eindeutige Antworten findet man nicht, aber das würde auch nicht passen. Mit Jonas und Sun hat das Buch zwei faszinierende und schillernde Hauptfiguren – und was Sun angeht, hält sich der Roman lange damit zurück, eine Erklärung zu geben, warum Sun sich so launisch und unberechenbar verhält. Was man am Ende über sie erfährt, ist jedoch stimmig und rückt sie in ein anderes Licht. Am Ende spielt das Thema Auswirkungen von sozialen Netzwerken in dem Roman gar nicht so eine tragende Rolle, wie man anfangs denkt. Das mag manche/r Leser/in enttäuschend finden, doch mich persönlich hat es nicht gestört.

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(Ulf Cronenberg, 07.02.2021)


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Kommentar (1)

  1. E.T.

    Hat mir sehr gefallen! Finde es nach wie vor sehr spannend, bei Ihnen reinzuschauen, denn vieles klingt wie #volldasguteleben, was ja mein Spruch ist 🙂 Weiter so! Danke.

    Antworten

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