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Buchbesprechung: Andreas Steinhöfel „Rico, Oskar und das Mistverständnis“

Cover: Andreas Steinhöfel „Rico, Oskar und das Mistverständnis“Lesealter 10+(Carlsen-Verlag 2020, 332 Seiten)

War nicht eigentlich schon nach dem dritten Band das Ende der Rico-&-Oskar-Reihe mal angekündigt worden? Dann gab es 2017 pünktlich zur Weihnachtszeit aus heiterem Himmel Band 4 mit dem Titel „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“, für mich das beste der vier Kinderbücher; und nun soll mit dem neuen Band 5 endgültig Schluss sein – habe ich zumindest irgendwo gelesen … Egal, mit den Rico-Büchern sind Andreas Steinhöfel sympathische Kinderbuchklassiker gelungen, die man einfach mögen muss.

Inhalt:

Rico und Oskar treffen sich nach wie vor auf dem alten und versteckten Spielplatz in Kreuzberg mit ihrer Gang, zu der Sarah, Soo Min, der Checker und der Lawottny sowie Nuri und Samira gehören. Doch ihr Treffpunkt ist gefährdet: Sie bekommen mit, dass das Grundstück, auf dem sich der Spielplatz befindet, verkauft werden soll. Mit detektivischem Gespür finden sie nicht nur heraus, wer die rot gekleidete, vornehme Frau ist, der das Grundstück gehört und die schon Interessenten herumführt, sondern kommen auch an ihre Adresse.

Es dauert nicht lange, da schmieden die Freunde Pläne, wie sie Frau Pommer, die Besitzerin, umstimmen können. Rico und Sarah machen sich spontan auf den Weg zu ihr, doch Frau Pommer lässt die beiden mit ihrer kühlen Art abblitzen: Sie denke überhaupt nicht daran, ihre Verkaufspläne zu ändern. Dass Rico schnellentschlossen mit Sarah, in die er verliebt ist, Frau Pommer besucht hat, nimmt Oskar ihm allerdings übel, und so kommt es zwischen den beiden zum großen Krach. Am Ende wollen Rico und Oskar nichts mehr miteinander zu tun haben und gehen sich aus dem Weg – eine komische Situation für die Clique.

Weil Frau Pommer nicht mit sich reden lässt, beschließen Rico und die anderen weitere Nachforschungen anzustellen; über eine Nachbarin, die Frau Pommer schon von Kindesbeinen kennt, bekommen sie mit, dass hinter all dem ein Familiendrama steht. Eigentlich gehört das Spielplatzgelände gar nicht Frau Pommer allein, aber einer ihrer zwei Brüder ist schon lange verschollen und soll für tot erklärt werden – und das ermöglicht den Verkauf. Die Bande hofft, dass der verschollene Bruder – dafür gibt es Hinweise – doch noch lebt, und deswegen macht sich Rico mit dem Checker auf den Weg nach Hessen, um dort den anderen Bruder zu treffen. Der weiß vielleicht mehr über den Verbleib seines verschwundenen Bruders …

Bewertung:

Es kann ja nicht anders sein: Natürlich stellt sich von der ersten Seite an auch bei „Rico, Oskar und das Mistverständnis“ das typische Rico-und-Oskar-Gefühl ein, sobald man den Band aufgeschlagen und zu lesen begonnen hat. Es sind die bewährten Zutaten, die alle Fans zu schätzen wissen: die bekannten Figuren, die im Laufe der vier vorherigen Bände Entwicklungen erfahren haben und erweitert wurden; die kultigen Lexikoneinträge, mit denen Rico aus kindlich naiver Sicht komplizierte Begriffe erklärt; oder der detektivische Touch in der Geschichte, der sich langsam entwickelt. Das Alleinstellungsmerkmal von Band 5 kommt erst etwas später ins Buch: der Roman im Roman, „Oscars kapitale Abenteuer“ überschrieben.

Die Idee ist grundsätzlich gut, den Schmachtroman „Griseldis“ von Hedwig Courths-Mahler als Vorlage für die Oskar-Abenteuer zu verwenden – „Griseldis“ hat Rico nämlich gelesen, weil Frau Dahling solche Liebesromane liebt; und der Checker nimmt sich das Buch auch auf der Zugfahrt nach Hessen vor. Rico als Erzähler, der nicht mehr mit Oskar redet, somit nicht weiß, was dieser in der Spielplatzsache weiter unternimmt, malt sich in den „Oscar-Abenteuern“ aus, was sein Freund alles erlebt. Und so hat man dann zwei Parallelgeschichten – eine im alten Sprachduktus vom Anfang des 20. Jahrhunderts, eine im gewohnten Rico-Stil.

Allerdings: So gekonnt die Idee ist, so bravourös Andreas Steinhöfel den alten Schreibstil abzubilden vermag – für mich waren die Oscar-Abenteuer vor allem anfangs ein Fremdkörper in der Geschichte – das Buch zerfällt dadurch etwas, und gerade anfangs habe ich mich durch Oskars Abenteuer-Kapitel mehrmals aus der Geschichte herauskatapultiert gefühlt. Aber weil auch der Roman im Roman an Fahrt aufnimmt, weil man irgendwann auch in die Parallelgeschichte eintauchen kann, stört das später nicht mehr. Wer sich fragt, woher diese Idee mit dem Roman im Roman im alten Stil kommt: Andreas Steinhöfel hat in einem Interview berichtet, dass er als Kind die Bücher von Hedwig Courths-Mahler gelesen und verschlungen hat. Eine Reminiszenz quasi an seine eigene Kindheit.

Der Schreibstil von Andreas Steinhöfel und der Ton, den er seiner tiefbegabten Hauptperson Rico jenseits der Abenteuer-Abschnitte gibt, sind über jeden Zweifel erhaben – doch es gibt ein paar Stellen, wo mir diesmal der Sprachwitz dann doch etwas gekünstelt und überzogen vorkam. Es waren einige Wortschöpfungen, die zu viel des Guten war – da hätte meiner Meinung nach das Lektorat eingreifen sollen. Doch das bleiben in dem Buch seltene Stellen, ansonsten freut man sich über des Autors Sprachkreativität.

Die sprachliche Verspieltheit findet man wieder insbesondere in den Lexikoneinträgen, wobei man sich – um ein Beispiel anzuführen – bei dem folgenden Eintrag streiten kann, ob man ein ernstes Thema so flapsig behandeln darf:

„NAZIS: Ein Haufen Bekloppter. Sie zetteln einen Weltkrieg an und brachten Millionen von Menschen um. Man könnte sagen, dass sie einen Dachschaden hatten, aber eigentlich hatten sie nicht mal ein Dach. Wenn man die Abkürzung in NATIS ändern würde, hätten sie immerhin Nicht Alle Tassen Im Schrank.“ (S. 152)

Das ist einerseits witzig, andererseits aber doch auch verdammt schnoddrig. Aber gut, aus der Sicht eines kindlichen Erzählers (die allerdings ein Kunstkonstrukt ist, hinter der eben doch ein Autor steht) kann man solche Dinge auch mal so ausdrücken; und kleine Grenzüberschreitungen machen ja auch ein wenig den Reiz von Büchern aus.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Man kann auch in „Rico, Oskar und das Mistverständnis“ – wie schon in den Vorgängerbänden – schmunzeln, lachen, staunen. Doch unterm Strich habe ich das fünfte Abenteuer von Rico und Oskar mit etwas weniger Begeisterung als die Bände davor gelesen. Gerade an „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“, den Vorgängerband, kommt die neue Geschichte nicht heran. Ich finde den Plot insgesamt fahriger als in den früheren Büchern – weil es einen Roman in Roman gibt und weil die Story, die sich um den Immobilienverkauf des Spielplatzgeländes entspinnt, schon etwas sehr verfahren ist. Und dem Buch fehlt eben vielleicht doch das gemeinsame Durchleben eines Abenteuers von Rico und Oskar.

Das war jetzt vielleicht etwas viel Gemecker für ein eigentlich gutes Buch – aber weil „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“ eben ein Meisterwerk war, war ich von „Rico, Oskar und das Mistverständnis“ im Vergleich dazu leicht enttäuscht. Dennoch bleibt: Die Rico-und-Oskar-Bücher sind Klassiker, die man in 30 oder 40 Jahren wie die Bücher von Erich Kästner handeln könnte. Mir fallen im Kinderbuchbereich jedenfalls keine deutschsprachigen Bücher ein, die in den letzten 20 Jahren mehr geleistet haben.

Ob das nun wirklich das Ende der Rico-&-Oskar-Reihe war? Wer weiß …

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(Ulf Cronenberg, 11.12.2020)

Kommentare (4)

  1. Li Schumann

    Ich bin mit dieser Einschätzung und Bewertung komplett einverstanden. Ich empfand die Courths-Mahler-Kapitel als Bremsklotz in dem sonst spannenden Plot, es hat eher etwas genervt und Oskars Solo-Abenteuer dadurch entwertet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kinder auf diese Weise in Ricos Aktion mit eintauchen können und finde es auch nicht schlüssig, dass ausgerechnet der tiefbegabte Rico diesen verschnörkelten Stil liest, geschweige denn selbst schreibt. Dass die beiden sich zerstreiten und jeder selbst detektivisch unterwegs ist, finde ich soweit ok. Hauptsache, sie versöhnen sich wieder. Auch die Erzählperspektive aus Ricos Sicht ist nicht immer konsequent, es sind manchmal Formulierungen, die Rico nie verwenden bzw. überhaupt kennen würde. Oder hat er durch das Älterwerden die tiefbegabte Phase jetzt weitgehend überwunden?
    Und Ricos Erklärungs-Kästchen sind in diesem Band leider nicht so genial wie in den vorherigen Büchern, da bin ich auch d’accord. Beim Nazi-Eintrag habe ich genau dasselbe notiert: zu flapsig!
    Aber sonst gab’s einen Haufen Rico-Szenen, die so Rico-like geschrieben und so genial aus dessen Sicht formuliert sind, dass man wieder komplett in dieses neue Rico & Oskar-Abenteuer eintaucht und manche Passagen auch gerne zweimal oder öfter liest. Eine großartige Reihe!
    schreibt
    Li Schumann, (die auch als längst Ausgewachsene diese Bücher liebt!)

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    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Danke, Li, ich freue mich immer über Rückmeldungen, und wenn sie dann so ausfallen, wie ich das auch einschätze, ist das ein bisschen beruhigend für mich. Denn manchmal frage ich mich, ob ich zu nickelig und kleinkariert bin. Aber du bringst es auch noch mal auf den Punkt.
      Herzliche Grüße, Ulf

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  2. Elisabeth Meiwald

    Alle, die „Die Mitte der Welt“ kennen und lieben, werden im „Mistverständnis“ einen Verweis auf das Buch finden. Ich habe mich sehr gefreut!

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    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Stimmt, das ist mir auch aufgefallen, habe ich aber nicht erwähnt …

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