(Klett Kinderbuch 2020, 99 Seiten)
Wenn man das Cover von „Der Katze ist es ganz egal“ sieht, ahnt man nicht, worum es in dem Buch geht – ob das eine sinnvolle Entscheidung ist? Auf das Buch gekommen bin ich jedenfalls nur, weil es in den Kommentaren zur Buchbesprechung von John Boynes „Mein Bruder heißt Jessica“ zweimal erwähnt wurde. Von John Boynes Jugendroman über das Transgender-Thema war ich eher enttäuscht, das Buch von Franz Orghandl (übrigens eine Frau), das dieses Thema ebenfalls aufgreift, wurde dagegen in den Kommentaren über den Klee gelobt. Zu Recht?
Ganz schön mutig, wie Leo seiner Familie mitteilt, dass er ab sofort einen neuen Namen trägt und Jennifer heißen möchte. Der Vater stört sich erst mal daran, dass so heute doch niemand mehr genannt wird, die Mutter sagt, dass man nicht einfach den Vornamen wechseln könne, der Opa bemerkt korrekterweise, dass das ja ein Mädchenname sei, und Leo erwidert, dass er jetzt ja ein Mädchen sei. Während die Oma das irgendwie lieb findet, sind sich der Opa und der Vater einig, dass der Bub verwirrt sei. „Ich bin aber kein Bub“, kontert Leo.
Nach knapp über 10 Zeilen – die ersten acht kann man auf dem Seitenauszug oben im Original lesen – ist man mittendrin in der Geschichte und ahnt, dass es Jennifer in den nächsten Tagen und Wochen nicht ganz leicht haben wird. Immerhin, die Mutter hat schon bald verstanden, dass Leo sich als Mädchen fühlt, während der Vater das weiterhin für einen nicht vertretbaren Spleen hält. Wer Jennifer hilft, sind zwei Freunde aus der Klasse: Anne und der dicke Gabriel, die beide ziemlich schnell umschalten können und Leo als Jennifer akzeptieren. In der Schule ist es außerdem die Lehrerin, die alles zu begreifen scheint (nett, mal kein Lehrer-Bashing!) und dann vor allem möchte, dass Jennifers Eltern in die Sprechstunde kommen, so dass sie mit ihnen drüber sprechen kann.
Was mir an Franz Orghandl „Der Katze ist es ganz egal“ gefällt, ist, dass durch die konsequent kindliche Sicht alles reduziert und deswegen das vermeintlich schwere Thema ganz unprätentiös behandelt wird: Leo hat eben (schon länger) das Gefühl, ein Mädchen zu sein – so ist das, und das teilt er seiner Familie und seiner Klasse mit. Da wird nicht problematisiert, ob Leo / Jennifer das darf, ob das nur eine Phase ist; nein, für Leo / Jennifer ist es einfach real. Die Menschen außenrum sind es, die damit zum Teil Probleme haben und ablehnend reagieren. Der Vater zum Beispiel muss erst damit zurechtzukommen lernen – nach einigen Turbulenzen gelingt es ihm aber am Ende doch.
Erzählt wird Jennifers Geschichte personal und episodenhaft. Jennifer erlebt unterschiedliche Situationen, sie begegnet verschiedenen Menschen, und Franz Orghandl zeichnet die Figuren im Buch alle als ganz besondere Charaktere: Die punk-affine Stella, die Jennifer während des Unterrichts auf der Toilette trifft, schwänzt mit ihr die Schule und geht mit Jennifer neue Klamotten kaufen. Der Hausmeister der Schule ist ein seltsamer Kauz, der – politisch nicht gerade korrekt – Zigaretten an Schüler/innen verkauft.
Mit dem sprachlichen Charme zusammen ergibt sich so eine ziemlich skurrile Geschichte, und sehr geschickt ist der Wiener Lokalkolorit eingearbeitet. Wer die Idee hatte – der Verlag oder die Autorin – ist nicht überliefert: aber dass die Wiener Dialekt-Begriffe im Text geblieben sind, dann aber am Seitenrand ins Hochdeutsche übersetzt werden – mit einem gemalten Pfeil und handschriftlich geschrieben von der Illustratorin – ist eine geniale Idee. Es hätte dem Charme geschadet, wenn es nicht „Pst, halt die Goschn!“ (> Maul) oder „Er schaut lieber auf die schirchen Bodenfliesen und geht zur Tür.“ (> hässlichen) geheißen hätte.
Erweitert wird der Text durch die Illustrationen, die von Theresa Strozyk beigesteuert wurden und die der Geschichte eine zusätzliche Dimension geben. Sie sind manchmal ernsthaft, sie haben immer wieder Witz, sie liefern passende Illustrationen zu den schrulligen Figuren – kurz: sie passen kongenial zum Text und illustrieren ihn nicht nur, sondern geben ihn noch mehr Charme und Witz. Ohne die Illustrationen würde der Geschichte eindeutig etwas fehlen.
Fazit:
5 von 5 Punkten. Franz Orghandls „Der Katze ist es ganz egal“ ist ein gelungenes Buch zum Transgender-Thema, das leichtfüßig von den Erschütterungen erzählt, wenn ein Junge heraustritt und vor seiner Familie und in der Schule verkündet, dass er sich als Mädchen fühlt. Das in ein Kinderbuch für junge Leser/innen zu packen, ist gewagt, es ist mutig – und es funktioniert. Der Reiz der Geschichte liegt in ihrem unwiderstehlichen Humor, der unter anderem daher kommt, dass die Figuren etwas verschroben und kauzig, aber trotzdem immer liebevoll dargestellt werden. Und Leo bzw. Jennifer verrät dem Leser viel über seine/ihre Nöte und über die Folgen, die so ein Schritt nach sich zieht.
Ist „Der Katze ist es ganz egal“ wirklich ein Kinderbuch? Ich habe immer wieder daran gezweifelt. Der Verlag empfiehlt das Buch ab 9 Jahren, und ich denke, man kann das dünne Büchlein wirklich Neunjährigen vorlesen, sollte als Erwachsener aber für Fragen da sein; denn manches in der Geschichte ist vielleicht nur von Erwachsenen so richtig ganz zu erfassen – der subtile Humor an einigen Stellen zum Beispiel; die rauchende Stella ist auch nur begrenzt kinderbuchtauglich. Von daher ist „Der Katze ist es ganz egal“ für neun- oder zehnjährige Selbstleser/innen eher einen Tick zu anspruchsvoll, würde ich sagen, könnte dafür aber durchaus bei Jugendlichen Gefallen finden. Was in jedem Fall bleibt: Franz Orghandls und Theresa Strozyks Buch hat das Herz auf dem richtigen Fleck, denn es weckt Verständnis für Leo, der Jennifer sein will, und das auf eine sehr unterhaltsame und witzige, einzigartige Weise.
(Ulf Cronenberg, 17.11.2020)
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Dieser Beitrag über dieses crazy Buch erfreut mein Gemüt! Oftmals erscheinen mir die Bewertungen – auch wenn diese positiv ausfallen – zu oberflächlich, denn auch einfach Geschriebenes kann raffiniert und vielschichtig sein! Meine Meinung zu Titel und Cover von „Der Katze ist es ganz egal“ ist, dass sie marketingstrategisch vielleicht nicht alles ausschöpfen, aber unaufdringlich und konsequent witzig zur Geschichte und deren Haltung passen. Deshalb ist das für meinen Geschmack vom Stil und Anspruch her genau richtig 🙂 Ich würde meinen, die Geschichte hat viel Lustiges, Verrücktes und Kluges für junge Selbstleser/innen zu bieten, die sich von der Thematik angesprochen oder betroffen fühlen, aber ich stimme voll zu, dass es sich zu einem guten Teil an die Erwachsenenwelt richtet. Das finde ich nur konsequent, ist sie es doch, die überhaupt ein grundsätzliches Thema aus der Geschlechteraufteilung macht und auch in dieser Art im Buch „geoutet“ wird 😉 Da Transkinder mit 9 Jahren bereits viele Jahre mit der Thematik leben, finde ich die Entscheidung richtig, das Buch ab einem frühen Alter zu empfehlen, aber all seine Ebenen werden sich den jungen Leser/innen erst mit der Zeit erschließen. Großartig, dass solche Bücher einen Platz in der Medienwelt finden.
„[…] erfreut mein Gemüt.“ Das hast du aber schön ausgedrückt. Danke für deine Rückmeldung! Und ich finde es auch großartig, dass es solche Bücher gibt – da sind wir uns einig.
Lieber Ulf Cronenberg, ich habe beim Lesen sowohl Lach-mich-tot-Tränen als auch Tränen der Rührung vergossen. Gestern wurde es live auf Youtube besprochen:
https://www.youtube.com/watch?v=A9BwwIKOeOo&feature=emb_logo
Hier werden auch alte Kinderbuchklassiker genannt, an die mich die Erzählwelt der Leo-Jennifer-Geschichte tatsächlich erinnerte!
Lieben Gruß, M
Hallo Melly, danke für den Link – da kommt hier ja langsam ein bisschen was zu dem Buch zusammen – mehrere Meinungen, ein Videolink nun. Mal sehen, was noch kommt. Viele Grüße, Ulf
Ich lebe in Wien und meine Töchter haben in der Schule ein anderes Buch von Frau (?) Orghandl gelesen: „In den Wald“. Das hat auch mich persönlich sehr begeistert. Vielleicht war zu dem Zeitpunkt das hier rezensierte Buch noch nicht auf dem Markt, denn ich habe sofort nach weiteren Werken gesucht und nichts bekommen. Jetzt sind wir gespannt auf dieses Buch. Es scheint noch einmal anders zu sein als „In den Wald“, aber vom Humor vielleicht nicht unähnlich. Meine Tochter hat die Ausschnitte schon fotografiert – sind aber auch originell! Lieben Gruß, Papa Walter
Ich finde das Buch auch saukomisch und dabei verdammt treffend. Es passt nicht nur für Transgenderkinder, sondern für jeden, der dafür kämpft, er selbst sein zu dürfen. Außerdem ist es irgendwo komplett anders als das, was man sonst so geboten bekommt. Großes Lob!
Das ist so ein cooles Buch! Im Nachhinein gesehen, würde ich sagen, ich habe es als Kind geschätzt, nicht immer alles zu verstehen, solange ich mit auf die Reise der Geschichte konnte. Das entsprach einfach mehr dem Gefühl, das man auch von echten Leben kannte. Einiges an der berühmten kindlichen Fantasie ist doch sicherlich der Tatsache geschuldet, dass noch so viele Dinge eigenständig interpretiert werden müssen, so wunderlich sie dem kindlichen Gemüt auch erscheinen haha! Deshalb fand ich es richtig sympathisch, dass die verschiedenen Layer auch verschiedene Betrachtungen und Erfahrungen bedienen. Zum einen wird so das Lesen zu einem immer neuen Erlebnis, je älter das Kind wird, zum anderen finde ich es top, dass hier endlich genüsslich auf Targeting gepfiffen wird. Das muss sich ein Autor, aber auch ein Verlag erst einmal trauen. Darauf ein Halleluja von mir <3
Ja, ich finde es auch wirklich bewundernswert, dass Klett Kinderbuch solche besonderen Bücher verlegt …