(Carlsen-Verlag 2020, 126 Seiten)
Für seine ersten beiden Jugendbücher („Echte Cowbows“ und „Jackpot“) hat Stephan Knösel einige Auszeichnungen bekommen – beide Romane hatte ich gelesen und fand sie gut. Danach hat sich allerdings für mich die Spur von Stephan Knösel verloren, bis ich vor einigen Wochen gesehen habe, dass es ein neues Buch des Autors aus München gibt. „Panic Hotel“ kann man als Dystopie bezeichnen, denn darin wird eine nicht allzu ferne düstere Zukunftsvision gezeichnet.
Inhalt:
Auf der Welt kommt es zu einem atomaren Schlagaustausch, der kaum eine Gegend unverwüstet lässt. Nur wenige Leute sind darauf vorbereitet – ein paar der reichsten Menschen haben allerdings vorgesorgt: In der Nähe von Frankfurt wurde die Jahre zuvor ein unterirdischer Riesenbunker gebaut, in dem die Reichen und ihre Familien für 30 Jahre überleben können sollen. Auch Bedienstete und Wachpersonal sind hierfür vorgesehen. Und genau dorthin haben sie sich nun alle zurückgezogen.
Janja ist Dienstmädchen bei Familie Theissen und als solches darf sie mit in den Bunker, in dem der Bereich der Reichen „Hotel“ genannt wird. Eigentlich war Janjas Mutter, die schon lange für die Theissens arbeitet, für den Job vorgesehen, doch sie konnte durchsetzen, dass an ihrer statt ihre Tochter mitkommen darf. Kurz bevor der Bunkerzugang verriegelt wird, fehlt jedoch von Vanessa, der Tochter der Theissens, jede Spur. Doch auch sie schafft es gerade noch, bevor das Bunkertor geschlossen wird, in das unterirdische Verlies – Wachmann Gabriel, gleichzeitig ihr heimlicher Geliebter, überlebt den Weg zum Bunker allerdings nicht. Dafür nimmt Wesley, sein Bruder, dessen Identität an und ist auf einmal Wachmann im Bunker.
Weil er somit illegal eingeschleust wurde, lebt Wesley in der ständigen Angst, enttarnt und aus dem Bunker verwiesen zu werden. Mit der Rolle als Wachmann kommt Wesley außerdem nicht zurecht – er wurde dafür auch nicht ausgebildet. Durch Zufall lernt Wesley Janja kennen, die ihn anfangs unsympathisch findet; aber die beiden kommen sich irgendwann näher. Und dann werden in dem Bunker zwei Morde begangen, Wesley wird als Täter verdächtigt …
Bewertung:
Wenn man 30 oder 40 Jahre zurückblickt, so war die Sorge um einen atomaren dritten Weltkrieg deutlich präsenter, als sie es heute ist. Dass nach wie vor Tausende von Atomwaffen in verschiedenen Ländern (auch in Europa) lagern, dass sie eingesetzt werden könnten, ist aber durchaus noch immer eine reale Gefahr. Und genau dieses Szenario hat Stephan Knösel in „Panic Hotel“ aufgegriffen: Die ganze Welt wird zur atomaren Wüste, und nur ein paar Hundert der Allerreichsten schaffen es, mit Bediensteten in den riesigen unterirdischen Bunker zu fliehen. Ein faszinierendes Szenario hat Stephan Knösel da entworfen – es spielt im Jahr 2032, was einem schon sehr nah, zu nah vorkommt.
Die beiden Hauptfiguren, Janja und Wesley, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, sind zwei Bedienstete, die nicht in der Blase der Reichen leben; dadurch sind sie allerdings quasi Spielbälle von diesen. Bei Wesley kommt hinzu, dass er eigentlich statt seines toten Bruders in den Hotelbunker eingeschleust wurde und von daher besonders bedroht ist, entdeckt und ausgesetzt zu werden. Dieser Grundplot könnte eigentlich eine gute Grundlage für eine packende Geschichte sein, aber das Buch hat mich über weite Strecken leider ziemlich unberührt gelassen.
Mal abgesehen von einer kleinen Spannungsspitze zu Beginn, als es darum geht, ob Wesley, sein Bruder Gabriel und die Theissen-Tochter Vanessa es in den Bunker schaffen, plätschert der Roman bis über die Mitte einfach zu lange dahin. Es wird erzählt, wie die „Gesellschaft“ in dem Hotelbunker funktioniert, wie Janja und Wesley sich kennenlernen, ein eigenartiges Refugium finden, wo sie sich treffen können, sich irgendwann wieder verlieren – aber ansonsten ist nicht wirklich für Spannung gesorgt. Es war erst das letzte Drittel des Buchs, wo ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht.
Endlich spitzt sich die Geschichte zu – Wesley muss um seinen Platz in dem Bunker kämpfen. Doch selbst hier vergibt Stephan Knösel so manch eine Chance, die Geschehnisse richtig spannend zu erzählen. Wesley bekommt eine Gelegenheit, sich zu bewähren und damit die Berechtigung zum Verbleib im Bunker zu erwerben, indem er bei einer gefährlichen Mission eine bedrohliche Kanalisationsverstopfung beseitigt. Aber auch das hätte man deutlich ausführlicher und packender schildern können – die Erzählweise bleibt zu episodisch, geht nicht in die Tiefe, schaut zu distanziert auf die Figuren, anstatt dass kleinschnittig erzählt und tief in die Figuren hineingeguckt wird.
Das andere, was die Story des Buchs interessant hätte machen können, wären psychologische Momente. Was passiert in einer großen abgeschlossenen Gesellschaft von Hunderten Leuten mit klar definierten Klassenunterschieden, wenn man so beengt aufeinandersitzt? Es wird schon einiges geboten: Die Reichen spielen untereinander übel mit, sie lassen die Bediensteten ihre Macht spüren, sie zetteln Intrigen an, es gibt Machtkämpfe, ja sogar zwei Tote. Doch alles in allem wird das alles leicht holzschnittartig und nicht psychologisch tief beschrieben. Am besten gefallen hat mir diesbezüglich, wie Wesley sich im Laufe der Geschichte als Charakter weiterentwickelt: vom unbedarften Bubi zum immer selbstbewusster auftretenden jungen Mann, der weiß, was er will und was er fordern kann.
Immer wieder habe ich mich gefragt, ob alles, was in dem Buch geschieht, wirklich so passieren könnte. Dass man schon heute große Bunker bauen kann, ist klar – aber ob in dieser Dimension? Dass man es noch rechtzeitig in einen Bunker schaffen kann, obwohl der Krieg schon tobt, fand ich auch als Szenario etwas fragwürdig. Vielleicht hätte man die Geschichte alles in allem eher ums Jahr 2050 ansiedeln sollen, auch weil die Augmented Reality, wie sie in dem Buch eine Rolle spielt, für 2032 schon sehr fortgeschritten dargestellt wird.
Fazit:
2-einhalb von 5 Punkten. „Panic Hotel“ basiert zwar auf einer gelungenen Grundidee, aber über Großteile des Romans hinweg hatte ich das Gefühl, dass man hier deutlich mehr hätte herausholen können – und das ist wirklich schade. Das Buch bleibt meiner Meinung nach skizzenhaft, es geht nicht in die Tiefe, es wirkt wie eine Ideensammlung in Szenen, aus denen ein guter Film (Stephan Knösel arbeitet ja auch als Drehbuchautor) entstehen könnte; um als guter Jugendroman durchzugehen, bedürfte es aber doch einiger Überarbeitungen.
Dass es im letzten Drittel endlich spannender wird, kommt leider zu spät – bis dahin könnte doch der ein oder andere Leser abgesprungen sein. Die vorherigen beiden Drittel plätschern zu sehr dahin, ohne eine wirklich packende Buchidee konsequent zu verfolgen. Aus meiner Sicht fehlt dem Buch eine klare Konzeption: Will es eine spannende Dystopie oder ein Psychothriller mit gesellschaftskritischen Elementen sein? Mag der Roman warnen oder nur unterhalten? Irgendwie ist der Roman alles davon ein bisschen, aber insgesamt zu wenig, um richtig attraktiv zu sein.
(Ulf Cronenberg, 25.08.2020)
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