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Buchbesprechung: Moni Nilsson „So viel Liebe“

Cover: Moni Nilsson „So viel Liebe“Lesealter 11+(Carlsen-Verlag 2020, 126 Seiten)

Dass ein Elternteil früh stirbt, ist immer wieder Thema in der Jugendliteratur. Im erst vor knapp zehn Tagen besprochenen norwegischen Kinderbuch „Trotzdem ist Sommer“ von Espen Dekko war es der Vater, der vor Kurzem gestorben ist, das Buch schildert, wie ein Mädchen damit zurechtzukommen versucht. In Moni Nilssons „So viel Liebe“, einem Buch aus Schweden, erlebt die Hauptfigur, ebenfalls ein Mädchen, dass ihre Mutter wegen Krebs nicht mehr lange zu leben hat. Wie geht ein Kind damit um?

Moni Nilssons „So viel Liebe“ (Übersetzung: Angelika Kutsch; schwedischer Originaltitel: „Så mycket kärlek kan inte dö“) – das spürt man von der ersten Seite an – ist ein einfühlsam erzähltes Kinderbuch. Lea heißt die Ich-Erzählerin. Schon in der ersten Zeile wird man direkt in die Situation hineingeworfen: „»Du tust mir so leid«, sagt Noa und guckt mich mit ihren grünen Augen an.“ Lea beschreibt nach Noas Satz noch kurz, wie innig ihre Freundschaft mit Noa ist bzw. war; und sie fährt damit fort zu berichten, wie Noa ihr eröffnet, dass die Tage von Leas Mutter gezählt sind. Für Lea, die davon nichts wusste, ist das ein Verrat an allem, was sie denkt und denken will; und es ist schlimm, dass sie es auf diese Art und Weise und nicht von ihren Eltern erfährt. Leas Welt mit der Hoffnung, dass die Mutter wieder gesund wird, liegt danach in Trümmern. Und auch wenn sie es erst mal zu leugnen versucht, sie wird völlig aus der Bahn geworfen.

Und wie reagiert Lea? Sie straft Noa ab, sie lässt – psychologisch ist das durchaus erklärbar – ihre Wut und Verzweiflung an der Freundin aus, die allerdings ja gar nichts dafür kann, dass Leas Mutter sterben wird. Da hilft es auch nicht, dass der Rest der Familie, einschließlich den Großeltern, sehr verständnisvoll mit Lea umgeht und sie zu unterstützen versucht. Von außen gesehen, verhält sich Lea ab dem Moment wie ein Ekelpaket: So lässt sie z. B. die Fußballmannschaft hängen, in der sie dringend gebraucht wird; und Noa lässt sie bei deren Kontaktversuchen nur rüde abblitzen. Was genau los ist, dass hier ein Kind in großer Not und extrem verzweifelt ist, versteht außerhalb der Familie kaum jemand.

Was Moni Nilsson in ihrem Buch sehr genau beschreibt, ist, wie Leas Familie damit umgeht, als die Ärzte der Mutter nur noch einen Monat geben. Die Oma heult immer wieder still in der Küche, Leas Vater lässt vieles schleifen: Er rasiert sich nicht mehr, er läuft in zerlöcherten Klamotten rum und geht nicht mehr zur Arbeit. Geldsorgen sind die Folge – etwas, das Lea auch belastet. Am gefasstesten wirkt noch Lucas, Leas älterer Bruder, der sich weiterhin mit seinem besten Freund trifft und es eigentlich ganz gut hinbekommt, traurig, aber gefasst zu sein.

Wie Leas Familie sich dann auf den nahenden Abschied von der Mutter vorbereitet, ist bewundernswert: Die Mutter lädt noch mal viele Freunde zu einem Fest ein, auch wenn sie eigentlich schon zu schwach dafür ist. Und Leas Vater lässt sich auch etwas Besonderes für einen letzten schönen Abend mit seiner Frau einfallen. Hier zeigt sich, was die Familie über diese schwere Zeit rettet (und der Buchtitel greift das auf): Es ist die Liebe innerhalb der Familie, die die Familie trägt – am Ende auch Lea, die schließlich doch noch irgendwie ihren Frieden, nicht nur mit dem Tod der Mutter, findet.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Es gibt Kinder und Jugendliche, die Ähnliches wie Lea mitmachen müssen. Ist „So viel Liebe“ ein Buch, das ihnen Trost bieten kann? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hat man in einer solch schwierigen Zeit anderes zu tun, als Bücher zu lesen. Von daher sensibilisiert Moni Nilssons Buch Leser/innen eher generell für das Thema und zeigt auf, was es bedeutet, wenn ein Elternteil stirbt. Mich persönlich stört an dem Buch ein klein wenig, dass die Familie schon sehr idealtypisch gezeichnet ist. Die einzelnen Familienmitglieder sind stark belastet, sie zeigen Belastungsreaktionen – das schon –, aber diese grenzenlose Liebe innerhalb der Familie scheint mir fast etwas zu schön für die Realität.

Davon abgesehen hat Moni Nilsson ein sehr literarisches und poetisches Buch geschrieben. Sehr authentisch gelingt es der schwedischen Autorin, sich in die Gefühlswelt eines Mädchens hineinzudenken und diese wiederzugeben: Lea erzählt erfrischend, aber nie überdreht, man nimmt ihr vom Entsetzen über die Wut bis hin zu der Trauer alle Gefühle ab.

Dass die Mutter am Ende stirbt, ist klar. Das Buch bleibt bei der Beschreibung des Todes angenehm zurückhaltend und wird durch eine Mischung aus anrührend und aufwühlend getragen. Alles in allem ist Moni Nilsson ein bewundernswertes Buch über ein schweres Thema gelungen. Dass „So viel Liebe“ sicher von Mädchen begeisterter als von Jungen aufgenommen werden wird, hat mit der Hauptfigur und dem Schreibstil zu tun.

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(Ulf Cronenberg, 04.08.2020)


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