(Thienemann-Verlag 2020, 203 Seiten)
Wie geht es einer 11-Jährigen, wenn der eigene Vater gestorben ist? Wie verarbeitet ein Kind das? Und wie kommt man wieder auf die Beine, insbesondere wenn die Beziehung zum Vater sehr innig war? Der Vater der Ich-Erzählerin ist vor Kurzem gestorben. Und weil die Mutter viel arbeiten muss, verbringt das Mädchen – wie früher auch schon – den Sommer bei den Großeltern, die ein Haus direkt am Meer bewohnen. Man könnte vermuten, dass das eine schwierige Zeit für das Mädchen ist – aber es erweist sich als genau das Richtige.
So könnte man Espen Dekkos Buch in aller Kürze zusammenfassen. Aber da ist natürlich noch viel mehr. Leben und Tod als Thema ziehen durch das gesamte Buch, zum Beispiel, wenn die Katze der Großeltern Babys bekommt – doch leider entdecken die Großeltern und das Mädchen irgendwann die totgeborenen Katzenbabys, die von ihrer Mutter weggetragen werden. Auch später begegnet die 11-Jährige noch einmal fast dem Tod und macht die Erfahrung, dass das Leben schnell vorbei sein kann. Dazwischen liegen jedoch auch viele schöne und heitere Momente. Vor allem fühlt sich das Mädchen bei den Großeltern aber geborgen.
Diese sind der Ruhepool in der schwierigen und stürmischen Zeit (ein gefährlicher Sturm zieht später im Buch wirklich auf). Der Großvater hat oft den Schalk in den Augen, er kann herzhaft lachen, so dass es ihn richtig schüttelt; er weiß, wann und wie er mit seinem Humor schwierige Stimmungen und Situationen vergessen machen kann; und er weiß, was seine Enkelin braucht – eine Mischung aus Ruhe, Normalität, aber auch besonderen Unternehmungen. Zu den rührendsten Moment zählt, als der Großvater mit seiner Enkelin auf dem Boot zum Walbeobachten raus aufs offene Meer fährt. Hier wird die Geschichte fast etwas märchenhaft, denn es passiert etwas Ungewöhnliches. Die Großmutter wiederum ist eher still, aber zugewandt und immer gut für herzliche Umarmungen und liebevolle Blicke.
Anfangs reden die drei kein Wort über den Tod des Vaters, aber weil am Haus der Großeltern viele Erinnerungen an den Vater hängen – er ist dort schließlich aufgewachsen –, muss der Vater irgendwann Thema werden. Es ist allerdings nie so, dass die Großeltern und ihre Enkelin sich hinsetzen und dann über den Vater sprechen, sondern es ergibt sich und ist deswegen auch meist gut für die trauernde 11-Jährige auszuhalten. Nichts ist hier krampfhaft.
So zeigt Espen Dekko in „Sommer ist trotzdem“ (Übersetzung: Karoline Hippe; norwegischer Originaltitel: „Târer forandrer ingenting“) was ein Kind braucht, das den Verlust des eigenen Vaters zu verarbeiten hat. Es sind die oben schon im Wesentlichen aufgezählten Dinge: etwas Abstand, Normalität, die richtige Mischung aus Zuwendung und Ruhe und vor allem eine verlässliche Beziehung, die die namenlose Erzählerin in den Großeltern findet. Einmal fängt die 11-Jährige, die sonst angesichts der Situation ziemlich besonnen und gefasst ist, immerhin auch an, rumzuschreien. Aber selbst hier bleiben die Großeltern ruhig und verständnisvoll.
Das ist zugleich das Einzige, was mich (neben etwas zu viel Stillstand so um die Seiten 30 bis 40 herum) an dem Buch ein klein wenig gestört hat: Mir sind die Großeltern alles in allem ein wenig zu heilig. Seltsamerweise zeigen sie nämlich selbst so gut wie keine Anzeichen von Trauer, obwohl es ihr Sohn ist, der gestorben ist. Klar, sie wollen ihre Trauer vielleicht nicht der Enkelin zeigen, aber dass sie dermaßen besonnen sind, selbst in den schwierigsten Situationen, ist doch zu viel des Guten und macht die Geschichte ein bisschen unglaubwürdig.
Nichtsdestotrotz: Espen Dekkos Kinderbuch zeichnet aus, dass es die Trauer eines Mädchens und die Wege, sie zu verarbeiten, beschreibt. Wie die Gefühle der Ich-Erzählerin gezeichnet werden, ist bewundernswert, und sie ist ein sehr intensiv erlebendes Mädchen, das alles aufnimmt: Gerüche, Stimmungen, die Umgebung, kleine Gesten und so vieles mehr. Dass sie sich in die Umarmungen und die Zuneigung der Großeltern fallen lassen kann, zeigt allerdings auch, dass sie viel Resilienz, also psychische Widerstandsfähigkeit, in sich hat.
Wie gut das Buch bei Leserinnen und Lesern ab 10 Jahren (wegen der weiblichen Hauptfigur dürften es wohl eher Mädchen sein) ankommt, weiß ich nicht. Ich habe meine Zweifel, dass die einfühlsam erzählte Geschichte Begeisterung bei vielen Kindern hervorrufen dürfte – vielleicht eher als Vorlese- denn als Selbstlesebuch. Erwachsene dagegen, die in die intensive Erlebniswelt eines trauernden Mädchens hineinschauen mögen, dürften da eine dankbarere Zielgruppe sein.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. Dem Norweger Espen Dekko ist mit „Sommer ist trotzdem“ ein sehr einfühlsames und poetisches Buch gelungen, das das Thema Tod des Vater und die damit verbundene Trauer liebevoll und behutsam beschreibt. Dass die Themen in der Geschichte mehrfach auf anderen Ebenen widergespiegelt werden – u. a. beim Tod eines Wales, den totgeborenen Katzenbabys – zeigt, wie kunstvoll der Autor seine Geschichte erzählt. Gut bekommt der Autor auch hin, dass man beim Lesen nicht in Trauer versinkt – nein, in dem Buch wird immer wieder viel und herzhaft gelacht, spannende Momente kennt die Geschichte auch. Zu all dem passt auch der Abschluss der Geschichte, der gekonnt inszeniert ist, weil er einen hoffnungsvollen Ausblick gibt: dass die 11-jährige Erzählerin und ihre Mutter endlich über das reden können, was sie beide monatelang aus der Bahn geworfen hat.
Dennoch: Ich halte „Sommer ist trotzdem“ im Kinderbuch eher für ein Nischenbuch, meiner Meinung nach dürfte es vor allem unter Erwachsenen begeisterte Leser/innen finden. Und eine Sache gibt es noch, die mir an dem Buch nur begrenzt gefällt: Das Cover ist so gar nicht mein Geschmack mit seiner Farbgebung und dem verwaschenen Strich – es wirkt, als käme aus den 1950er Jahren, und ist einfach nicht schön. Da hilft auch nicht, dass das Cover mit seiner Bildsprache durchaus etwas zu sagen hat – ich wäre im Laden mit meinem Blick nicht daran hängen geblieben.
(Ulf Cronenberg, 26.07.2020)
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