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Buchbesprechung: Anna Benning „Vortex – Der Tag, an dem die Welt zerriss“

Cover: Anna Benning „Vortex – Der Tag, an dem die Welt zerriss“Lesealter 14+(Fischer-Verlag 2020, 477 Seiten)

Ein hübsches, verwegen und geheimnisvoll guckendes Mädchen auf dem Cover, darunter eine Wolkenkratzer-Silhouette – Anna Bennings Debütroman ziert ein Cover, das sicher viele jugendliche Leser anspricht. Hinzu kommt, dass der Buchschnitt von „Vortex – Der Tag, an dem die Welt zerriss“ lila ist. Auch damit fällt das Buch auf. Was man in der Hand hält, ist eine Mischung aus Zukunfts- und Fantasy-Roman, und das vorliegende Buch ist der erste Band einer Trilogie, deren zweiter Band im Herbst dieses Jahres folgen soll.

Inhalt:

Die Welt in den 2090er Jahren ist eine ganz andere. Vor einigen Jahrzehnten gab es eine große Katastrophe, den sogenannten Urvortex, und dabei haben sich die Elemente und viele Lebewesen auf der Erde miteinander vermengt (quasi vermischt). Außer den „normalen“ Menschen gibt es infolgedessen noch andere menschenähnliche Wesen: die Zünder (Feuer), die Grunder (Erde), die Wirbler (Luft) und die Schwimmer (Wasser) – alle mit besonderen Fähigkeiten. Am gefährlichsten für die Menschen, die weltweit in zehn Kuratorien leben und organisiert sind, sind die Zünder. Sie sind kampfbereit und aggressiv und können Feuer entfachen; immer wieder greifen sie die Kuratorien an.

Um die Vermengten in Schach zu halten, gibt es die sogenannten Läufer, speziell ausgebildete junge Menschen, die sich über Vortexe schnell von einem Ort an einen anderen begeben können und so die Vermengten in Schach halten sollen – eine ziemlich gefährliche Aufgabe. Vortexe sind quasi Schnellreisetunnel, die sich beim Urvortex gebildet haben – um darin reisen zu können, muss man gut ausgebildet sein. Elaine ist eine von den hoffnungsvollen Läuferinnen und Läufern, die gerade ihre Ausbildung abschließen und im Kuratorium Neu-London leben.

Beim Abschlusswettlauf der Ausbildung durch einen Vortex-Parcours passiert etwas Ungewöhnliches: Elaine gewinnt den Wettkampf und kommt als Erste ins Ziel, ohne dass sie selbst es sich erklären kann – denn eigentlich war beim Wettlauf einiges schiefgelaufen. Warum sie trotz Rückstand Siegerin ist, wird sie erst viel später erklären können. Zu tun hat es etwas mit Balian Travers, dem bisher talentiertesten Läufer aller Zeiten. Eigentlich wurde er vor mehreren Jahren für tot erklärt, allerdings fälschlicherweise – er hat seinen Tod nur vorgetäuscht. Der Grund dafür ist, dass er sich mit Grundern zusammengetan hat, und sein Ziel ist es, dass alle Lebewesen auf der Welt im Frieden leben können … Elaine soll ihm dabei helfen.

Bewertung:

Einfach ist es nicht, „Vortex – Der Tag, an dem die Welt zerriss“ in drei Absätzen zusammenzufassen, denn die Geschichte, vor allem mit der ganzen Vorgeschichte, ist ziemlich komplex. Allein zu verstehen, was ein Vortex ist, bliebt eine Herausforderung – ich stelle es mir als eine Art Raumkrümmungstunnel vor. Wenn dann später im Buch über Vortexe auch noch Zeitsprünge möglich sind, wird es richtig kompliziert, den Winkelzügen der Geschichte zu folgen. Ich hatte manchmal das Gefühl, nicht alles so ganz verstanden zu haben, aber darauf vertraut, dass Anna Benning das schon durchdacht hat.

Allerdings: Dass die Welt in Band 1 der „Vortex“-Bücher so komplex ist, macht sie auch faszinierend. Die große Vermengung zum Beispiel ist eine ungewöhnliche Idee: Bei Zündern, Grundern, Wirblern und Schwimmern, die daraus entstanden sind, handelt es sich um Menschen, die jedoch je nach Art besondere Fähigkeiten erworben haben. Die Grunder, die neben den Zündern, im Buch am prominentesten auftreten, haben von Pflanzenteilen durchdrungene Körper, sie können aus ihren Fingern quasi in Sekundenschnelle Äste oder Wurzeln sprießen lassen und damit Dinge umschlingen. Auch können sie Bäumen und Pflanzen zu schnellem und größerem Wachstum verhelfen. Zünder dagegen haben die Fähigkeit, Feuer und Explosionen zu entfachen. Dass die Vermengten für die „normalen“ Menschen in den Kuratorien eine Bedrohung darstellen (auch wegen ihrer Fähigkeiten), ist klar, und daraus entfaltet sich letztendlich auch der Grundplot des Buchs.

Elaine als Ich-Erzählerin ist eine sympathische Figur, die im Kuratorium Neu-London aufwächst. Als sie ein Kind war, ist ihre Mutter einem Angriff der Zünder zum Opfer gefallen; deswegen ist sie bei ihrer Tante aufgewachsen. Der Tod ihrer Mutter ist auch Elaines Motivation, Läuferin zu werden: weil sie die Vermengten besiegen helfen will. Lange steht sie deswegen hinter allem, was die Kuratorien tun und propagieren – durch die Gefangennahme und die damit verbundene zwangsweise Konfrontation mit den Grundern lernt Elaine jedoch langsam, dass ihre bisherige Weltsicht ziemlich einseitig ist.

Die zweite Hauptfigur des Romans ist Balian Travers, der angeblich getötete Läufer-Held. Er lebt bei den Grundern, unterstützt sie, ihn umgibt eine Aura von Geheimnissen. Als er auf Elaine trifft, verhält er sich alles andere als nett zu ihr und tritt ziemlich arrogant auf. Dass die gegenseitige Abneigung von Balian und Elaine sich irgendwann in positive Gefühle wandeln wird, ahnt man eigentlich von Anfang an. Zumindest dieser Teil der Geschichte ist voraussehbar. Die Beziehung zwischen Elaine und Balian ist einerseits wichtig für die Spannung im Buch, andererseits fand ich sie in ihrer anfangs negativen, später positiven Gestaltung etwas übertrieben und damit klischeehaft ausgeführt.

Was „Vortex – Der Tag, an dem die Welt zerriss“ vor allem bietet, ist eine spannende Geschichte. Es dauert nicht lange, bis man den Sog der Geschichte spürt, und Anna Benning gelingt es gut, ihn über die gut 450 Seiten aufrechtzuerhalten. Fade, langweilige Stellen, durch die man sich beißen muss, kennt das Buch nicht, und das ist bei dem Seitenumfang eine große Leistung. Sie gelingt, weil für die Spannung auf verschiedenen Ebenen gesorgt wird: Neben der sich anbahnenden Liebesgeschichte zwischen Elaine und Balian sowie der Frage, wie der Kampf zwischen Vermengten und Menschen ausgeht, ist es die komplexe Figurenkonstellation, die die Geschichte lebendig macht:

Da gibt es Elaines Zieheltern sowie ihren besten Freund und Stiefbruder Luka. Sie sind alle drei sind schillernde Figuren, die nach einem Angriff der Zünder auf Neu London lange vom Radar verschwunden sind; Elaine macht sich große Sorgen um sie. Da gibt es unter den Ausbildungskollegen von Elaine drei Figuren, die eine wichtige Rolle spielen und wiederkehrend auftreten; und da sind vielgesichtige Figuren wie der Leiter der Kuratorien, der ein undurchsichtiges Machtspiel spielt.

Fazit:

4 von 5 Punkten. „Vortex – Der Tag, an dem die Welt zerriss“ erzählt eine Zukunftsgeschichte mit Fantasy-Anleihen, die faszinierende Elemente hat. Die Idee der Vortexe ist (auch wenn sie in anderen Büchern anders heißen – zum Beispiel „Portale“) nicht ganz neu; die Idee mit den Vermengten dagegen kenne ich bisher nicht. Dass die Menschen sich gegen die wegen ihrer besonderen Fähigkeiten mächtigen Vermengten zur Wehr setzen, so tun, als wären sie überlegen (was sie technisch auch sind), lässt sich auch als Analogie auf die menschliche Hybris lesen.

Anna Bennings Buch ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite, man kann sich der Geschichte nicht entziehen, wenn man einmal drin steckt. Die Geschichte fordert den Leser allerdings auch, weil gerade die Zeitreiseelemente des Plots sehr komplex und manchmal schwer nachzuvollziehen sind. Was mich zudem leicht gestört hat, ist die Figurenzeichnung, die sich ab und zu ein bisschen zu sehr an den typischen Genre-Klischees orientiert. Dennoch, für mich hat bei Anna Bennings Debütroman eindeutig die Faszination überwogen, die die Geschichte ausübt – und das dürfte vielen jugendlichen Lesern auch so gehen. Von daher bin ich gespannt auf Band 2.

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(Ulf Cronenberg, 24.04.2020)


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