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Buchbesprechung: Stepha Quitterer „Weltverbessern für Anfänger“

Cover: Stepha Quitterer „Weltverbessern für Anfänger“Lesealter 12+(Gerstenberg-Verlag 2020, 278 Seiten)

Das Cover von „Weltverbessern für Anfänger“ fällt auf – zweifellos. Aber einen rechten Reim kann ich mir darauf nach dem Lesen des Buchs nicht machen. Sei’s drum. Stepha Quitterer hat schon vieles in ihrem Leben gemacht – und eines fällt zumindest eindeutig in die Kategorie Weltverbessern: das Arbeiten mit Straßenkindern in Rio de Janeiro. Bevor die Autorin mit der Schriftstellerei angefangen hat, hat sie längere Zeit im Bereich Film und Theater gearbeitet. Interessant ist vor allem auch das Projekt, das hinter ihrem ersten (Erwachsenen-)Buch „Hausbesuche“ stand: Mit 200 Kuchen hat sie 200 mal in ihrer Berliner Nachbarschaft geklingelt, um Bekanntschaften zu knüpfen, und das in einem Buch dokumentiert. Coole Idee.

Inhalt:

Minna besucht die Klasse 8b, in die weder Lehrkräfte noch Schüler/innen gerne gehen – weil die Schüler/innen alles andere als leistungsfähig sind, sich außerdem untereinander nicht verstehen. Mit Frau Griesinger, die Klassenlehrerin, die von den Schülern immer nur „die Grinsinger“ genannt wird, kommen sie auch nicht zurecht: die humorlose Lateinlehrerin macht ihnen jede Stunde klar, dass sie nichts können. Minna hat immerhin Basti als besten Freund in der Klasse, und dessen reicher Vater sponsort einen Wettbewerb: Das beste Weltverbesserungsprojekt von Schülern soll damit belohnt werden, dass die Klasse nach Tallinn (Estland) fahren darf.

Weil ihre Oma in ein Pflegeheim kommt und Minna dort sieht, wie lieblos alles ist, hat sie eine Idee: Sie könnten in einem Pflegeheim die Bewohner/innen besuchen und ein bisschen Freude in ihr Leben bringen. Doch im nahegelegenen St.-Blasius-Heim auf eine Station zu dürfen, um die Idee umzusetzen, ist gar nicht so einfach. Es ist vor allem die dort „regierende“ Schwester Warwara, die davon absolut nichts hält. Durch ein paar Zufälle und mit viel Beharrungsvermögen schaffen Basti und Minna es jedoch auf die Station; Pawel, in den Minna verliebt ist, ist auch bald dabei.

Die ersten Erfahrungen im Pflegeheim machen ihnen Mut: Bei einer bettlägerigen und nicht richtig ansprechbaren Bewohnerin gelingt es ihnen, ihr eine Freude zu machen, indem sie ihr Opern vorspielen. Sie hatten vorher herausgefunden, dass sie früher Opernsängerin war. Schwieriger ist es dagegen, den Rest der Klasse davon zu überzeugen, bei dem Projekt mitzumachen. Es dauert lange, bis nach und nach immer mehr Mitschüler/innen bei dem Projekt mit dabei sind … Und Rückschläge gibt es auch.

Bewertung:

Ein ganz normales Buch liest man da nicht, und das merkt man schon von den ersten Seiten an – da muss man nur mal kurz hineinlesen, und schon fällt einem die völlig neuartige Sprache des Romans auf. Minna als Ich-Erzählerin hat einen – ja, wie soll man das nennen – kreativ-schnoddrigen Ton, bei dem ganz tief in die Trickkiste der deutschen Wortbildung gegriffen wird. Ich vermute mal, dass das Buch quasi unübersetzbar ist.

Die Grundstory des Romans an sich ist erst mal eigentlich recht harmlos: Eine „Problemklasse“ wird durch ein gemeinsames Projekt zusammengeschweißt, am Ende kommen die Schülerinnen und Schüler gut miteinander zurecht und mit den Lehrkräften läuft es ebenfalls gut. Klingt harmlos, doch das alles wird eben nicht langweilig und brav vorgetragen, sondern ziemlich gnadenlos-subjektiv aus Sicht einer Jugendlichen erzählt. Außerdem sind kleine subversive Momente eingebaut, als die Bewohner/innen des Pflegeheims und die Schüler/innen sich besser kennenlernen.

Aber es geht auch um anderes – darunter um Minnas etwas verquere Familiensituation. Es sind ziemlich skurrile Figuren, die sich da in dem Buch tummeln: Suse, Minnas Mama, ist Schauspielerin, ihr Vater ein bekannter Regisseur, der sich jedoch irgendwann eine jüngere Frau geangelt und die Familie verlassen hat. Minnas Vater ist nicht gerade präsent bei seiner Tochter, ebenso wenig auch bei seiner pflegebedürftigen Mutter. Und eine ziemlich ungewöhnliche Beziehung haben Minna und ihr Mutter auch.

Was die weiteren Figuren angeht, so wird schon ziemlich in die Klischeekiste gegriffen – gerade bei den Pflegeheim-Bewohnern: Da ist Herr Schnedelbach, ein alter Lebemann, der noch an Soldatentugenden glaubt, der gerne Alkoholisches trinkt und Zigarren raucht – was ihm aber beides im Heim verwehrt wird. Oder es gibt Frau Perlinger, eine demente Lateinlehrerin, die aber, wenn es um Latein geht, wieder voll auf der Höhe ist. Spätestens mit Auftauchen dieser Figuren wird man an deutsche Filmkomödien aus den letzten Jahren erinnert, mit denen ich so meine Schwierigkeiten habe und die ich nicht für wirklich intelligente Unterhaltung halte. Die Altenheimbewohner, Lehrerin Frau Griesinger und viele andere Figuren würden gut in einen Film wie „Fack ju Göhte“ passen …

Noch mal zurück zum Schreibstil: Kreativität kann man ihm ganz und gar nicht absprechen. Da wird ziemlich trickreich mit Wortzusammensetzungen und Ableitungen gespielt. Das ergibt oft witzige Wörter und Beschreibungen: „Ich war gefleischwolft.“ (S. 146) oder „[…] stattdessen black-and-whitete Michael Jackson aus den Boxen […]“ (S. 214f). Oder einzelne Wörter herausgepickt: „ritterschlaglich“, „Dolchstichling“, „Umgangsformerei“, „Strammschritt“ oder „stummfischig“ – das Buch strotz vor solchen Wortneuschöpfungen. Oft kann man darüber staunen, ob man alles immer für gelungen hält, darüber kann man sich ab und zu streiten:

„Sie rief das »herzkrank« so melodramatisch, als würde sie hauptrollig bei den Wagnerfestspielen in Bayreuth auftreten.“ (S. 195)
„ […], um die pförtnerliche Wachsamkeit auf genau das Level herunterzudimmen, bei dem achtundzwanzig Top-One-Level-Staatsfeinde im friedlichen Gänsemarsch in die Festung ausschwärmen konnten, ohne dass der bulldoggilöse Wachhund Warwara herbeibellen würde. (S. 204)

„Hauptrollig“ und „bulldoggilöse“ – das wirkt dann doch vielleicht etwas krampfhaft und genau das hat mich dann ab und zu etwas gestört. Allerdings ist natürlich klar: Mit der Entscheidung, das Buch so zu schreiben, muss man das auch durchziehen, und das hat Stepha Quitterer eindeutig getan.

Fazit:

3-einhalb von 5 Punkten. Eigentlich finde ich kreativ geschriebene Romane, die den Mainstream hinter sich lassen, gut – aber bei Stepha Quitterers „Weltverbessern für Anfänger“ hat sich bei mir trotzdem nicht so ganz ein große Lesesog eingestellt. Warum? Das Jugendbuch dürfte polarisieren. Manche Leser finden den Jugendroman sicher erfrischend und hochwitzig, ich hatte jedoch immer ein wenig damit zu kämpfen, dass es mir zu klaumakig war und ich mich damit ständig wie in einer der oben schon erwähnten deutschen Komödien gefühlt habe.

Etwas so noch nicht Gelesenes ist „Weltverbessern für Anfänger“ in jedem Fall – das muss man absolut würdigen. Das Buch hat außerdem einen ernsten Hintergrund, wenn es ums Weltverbessern und die Leblosigkeit in Pflegeheimen geht, es hat das Herz auch auf dem richtigen Fleck, aber ich hab mich schwer getan mit diesem gar nicht dezenten Slapstick, mit den Klischees, die in das Buch gepackt sind. Das bleibt alles Geschmacksache – aber meinen Humor hat es dann eben doch nur zum Teil getroffen. Und irgendwie bleibt vieles eben doch, wenn man genauer hinschaut, eher oberflächlich.

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(Ulf Cronenberg, 23.02.2020)


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