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Buchbesprechung: Neal & Jarrod Shusterman „Dry“

Cover: Neal & Jarrod Shusterman „Dry“Lesealter 14+(Sauerländer-Verlag 2019, 437 Seiten)

Vollendet“, 2012 erschienen, war bisher das einzige Buch, das ich von Neal Shusterman gelesen habe – ein spannender Zukunftsroman, der mir aber doch in manchem nicht so ganz ausgereift erschien, vor allem was die literarische Qualität anging. Seitdem habe ich immer wieder von Jugendlichen gehört, die die Jugendromane von Neal Shusterman grandios finden und verschlingen. Von daher war es Zeit, mal wieder etwas von dem amerikanischen Autor zu lesen. Und es gibt einen zweiten Grund: Am 17. Oktober kommt Neal Shusterman nach Würzburg zu einer Autorenlesung …

Inhalt:

In Südkalifornien kommt es zu einem Notstand: Der Gouverneur von Arizona lässt aufgrund von Wassermangel die Wasserleitungen nach Kalifornien kappen und auf einmal kommt dort aus den Wasserhähnen kein Tropfen mehr. So ist es auch bei Alyssa und ihrer Familie, wo gerade auch Onkel Basil zu Gast ist. Alyssa und ihr jüngerer Bruder Garrett werden mit dem Onkel zum nächsten großen Supermarkt geschickt, um Wasser zu kaufen, und erst dort wird ihnen so richtig bewusst, welche Katastrophe ihnen bevorsteht: Die Supermarktregale sind leer, den letzten Wasserkasten schnappt ihnen eine Frau vor der Nase weg. Doch sie haben eine rettende Idee: Sie kaufen aus den Gefriertruhen Säcke mit Eiswürfeln – eine Idee, die anscheinend noch niemand sonst hatte.

Doch der in der Badewanne gelagerte Wasservorrat aus den Eiswürfeln ist von einem Moment auf den anderen unbrauchbar, weil Garrett beim Reinigen der stinkenden Toilette der Reiniger ins Wasser fällt. Und die Hoffnung, dass das Wasser bald wieder aus den Leitungen kommt, ist vergebens. Alyssas Eltern machen sich deswegen zum Strand auf, wo angeblich mobile Entsalzungsanlagen die Bevölkerung mit Wasser versorgen soll. Doch beide kehren nicht zurück und sind nicht mehr auf dem Handy erreichbar. Alyssa und Garrett befürchten das Schlimmste. Zu Hilfe kommt ihnen schließlich der nerdige Nachbarsjunge Kelton.

Gemeinsam mit Kelton brechen Alyssa und Garrett zur Suche nach ihren Eltern auf, doch sie finden sie nicht. Stattdessen werden sie von wassersuchenden Jugendlichen bedrängt und bedroht. Gerettet werden sie gerade noch von einem Mädchen namens Jacqui, das sich ihnen daraufhin anschließt. Als es in Keltons Familie noch zu einem großen Drama kommt, das seine Eltern völlig paralysiert zurücklässt, beschließen die vier, auf eigene Faust nach Wasser zu suchen. Die erste Anlaufstelle ist das Tal, in dem Onkel Basils Freundin wohnt – dort gibt es hoffentlich noch Wasser …

Bewertung:

Reißerisch steht auf dem Buchcover der Untertitel „Kein Wasser. Nicht heute. Nicht morgen. Vielleicht nie mehr.“ Das zeigt ja schon ein wenig, wohin bei Neal und Jarrod Shustermans Buch „Dry“ (Übersetzung: Pauline Kurbasik und Kristian Lutze; amerikanischer Originaltitel: „Dry“) die Reise geht: Das Buch ist eindeutig ein Zukunftsthriller. Die beiden Autoren sind übrigens Vater und Sohn, und der Roman ist ihre erste Zusammenarbeit. Jarrod Shusterman dreht ansonsten Filme und ist Drehbuchautor.

Das Szenario von „Dry“ ist packend – das merkt man schon nach wenigen Seiten. Die Situation mit dem fehlenden Wasser in Südkalifornien spitzt sich innerhalb von einem Tag zu. Die Menschen beobachten sich argwöhnisch, sie beginnen aufeinander loszugehen, sie sind bereit, alles zu tun, um an Wasser zu kommen … Von Solidarität ist da nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil: Die Situation eskaliert zunehmend.

So ganz aus der Luft gegriffen ist das Szenario nicht – es lehnt sich an aktuelle Entwicklungen an: dass das Wasser in vielen Gebieten auf der Erde weniger wird, weil der Klimawandel fortschreitet. Es gibt Forscher, die schon jetzt meinen, dass Wasser irgendwann so kostbar wie Erdöl sein wird. In „Dry“ hat das Autorenduo diese Entwicklung auf die Spitze getrieben …

Geschenkt wird den Hauptfiguren in dem Roman nichts – absolut nicht. Was harmlos beginnt, wird rasant schlimmer. Als Leser fiebert man mit Alyssa, Garrett und Kelton mit, und was ihnen mit Jacqui (später kommt noch eine fünfte Figur hinzu) widerfährt, ist ziemlich heftig. Es beginnt eine Odyssee; jede Hoffnung, an der nächsten Station ihrer Reise Wasser zu finden, entpuppt sich als Illusion, und es sind drastische Dinge, die sie erleben. Mehrmals kommen sie gerade noch davon.

Warum „Dry“ jenseits der äußeren Handlung so packend ist, hat mit der Gruppendynamik zu tun. Kelton zum Beispiel ist in Alyssa verliebt, was diese aber nicht erwidert. Die dazugestoßene Jacqui liefert sich außerdem mit Kelton einen Kleinkrieg – gleiches gilt auch für den später hinzugekommenen Henry: Er ist mit Kelton und Jacqui überkreuz, versucht sich aber strategisch geschickt bei Alyssa und Garrett beliebt zu machen. Wie beim Wasser spitzt sich mit dem zunehmenden Durst in der Gruppe alles zu und droht außer Kontrolle zu geraten.

Die Geschichte wird übrigens – auch das ist geschickt gemacht – abwechselnd aus der Sicht von Alyssa, Kelton, Jacqui und Henry erzählt; nur Garrett bleibt als deutlich jüngere Hauptfigur außen vor. Vor allem im ersten und im letzten Teil des Buches (in der Mitte seltener) sind zudem immer wieder sogenannte Snapshots eingefügt: kurze Berichte von anderen Personen über zwei bis sechs Seiten, in denen sie erzählen, was ihnen angesichts der Wasserknappheit passiert. Da kommt eine Reporterin zu Wort, die sich mit Hilfe eines Hubschraubers ihres Senders absetzen will, da wird vom Versuch einer Familie erzählt, mit dem Flugzeug aus der Krisenregion zu gelangen, etc. Diese Einschübe finde ich sehr gelungen, weil sie kleine Geschichten von der großen Wasserkrise erzählen und plastisch erfahrbar machen, welche Dramen sich abspielen.

Was Neal Shusterman und sein Sohn Jarrod abgeliefert haben, ist jedenfalls ein Buch, das man nicht aus den Händen legen kann. Doch es gibt ein paar Kleinigkeiten, die mir leicht aufgestoßen sind. Da ist z. B. der Abschnitt, in dem Jacqui erstmals erzählt. Ich weiß nicht, ob es an der Übersetzung liegt oder auch im Original so ist – aber der Erzählton ist auf einmal hölzern und passt überhaupt nicht zum bisherigen Buch. Man könnte zunächst vermuten, dass Jacqui als neu eingeführte Figur dadurch charakterisiert werden soll, aber schon beim nächsten Mal, wenn sie zu Wort kommt, ist dieser holperige Erzählton verschwunden. Außerdem kann man über das Ende durchaus streiten, auch wenn man erst mal mit einem großen Paukenschlag, den ich gekonnt finde, auf eine falsche Fährte gelockt wird. Aber die letzten Seiten sind mir dann doch zu amerikanisch …

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Alles in allem haben Neal & Jarrod Shusterman mit „Dry“ ein spannendes Buch mit packendem Szenario geschrieben. Inspiriert ist das Thema der Wasserknappheit sicher durch die Dürren, die Kalifornien in den letzten Jahren erlebt hat, wo wiederholt auch große Wandbrände gewütet haben. Ergänzt wird die Geschichte durch eine sozialpsychologische Dimension. Neal & Jarrod Shusterman sehen düstere Zeiten heraufziehen, wenn es um krasse Verteilungskämpfe geht. Die Menschen werden zu Tieren, Menschlichkeit ist so gut wie Fehlanzeige – das zieht sich als Topos durch das ganze Buch. Eine ziemlich düstere Sicht …

Als Leser wird einem deswegen in dem Jugendroman einiges zugemutet. Zartbesaitet darf man da nicht sein, auch wenn das im Buch immer noch weniger drastisch rüberkommt als mit Bildmaterial in einem Film. Apropos Film. Geeignet scheint mir die Geschichte in jedem Fall, um einen düsteren Thriller mit Endzeitstimmung daraus zu machen.

Man mag mit dem Autorenduo aus Vater und Sohn nicht deren eher negatives Menschenbild teilen, man mag das ein oder andere an dem Buch als überarbeitswürdig ansehen, aber ansonsten kann man sich der geschickt inszenierten Geschichte nicht entziehen. Die knapp 450 Seiten vergehen wie im Flug und dürften auch Lesemuffel ansprechen.

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(Ulf Cronenberg, 10.10.2019)

Kommentare (3)

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