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Buchbesprechung: Jason Reynolds „Sunny. Der Sound der Welt“

Cover: Jason Reynolds „Sunny. Der Sound der Welt“Lesealter 12+(dtv 2019, 176 Seiten)

Rennend und im Team mit den Schwierigkeiten des Lebens besser zurechtkommen – das ist die Idee hinter Jason Reynolds vierbändiger Reihe über ein jugendliches Laufteam. In jedem Band steht eine andere Person im Mittelpunkt. Auf „Ghost“ und „Patina“ folgt nun Sunny, den man als Nebenfigur also schon kennt, sofern man die ersten beiden Bände gelesen hat. Dass diesmal ein ganz anderer Ton angeschlagen wird, sei schon mal verraten … Übrigens: Es ist kein Problem, die Bücher auch unabhängig voneinander zu lesen, wobei das Gesamtpaket den Reiz ausmacht.

Inhalt:

Sunny hat es nicht einfach im Leben. Seine Mutter ist bei seiner Geburt gestorben, sein Geburtstag ist also immer gleichzeitig auch der Todestag seiner Mutter – eine große Hypothek. Mit seinem Vater Darryl lebt Sunny alleine, aber so richtig gut funktioniert die Kommunikation zwischen den beiden nicht. Vor allem können sie nicht über den Tod von Sunnys Mutter sprechen, was eigentlich nötig und sinnvoll wäre. Am besten kommen die beiden miteinander zurecht, wenn sie gemeinsam an einem Puzzle sitzen.

Schon seit vielen Jahren läuft Sunny bei Wettkämpfen, und immer belegt er den ersten Platz. Er ist eine der Stützen des Laufteams. Doch eines Tages bleibt er einfach während eines 1000m-Laufs stehen und rennt nicht mehr weiter. Das Publikum fragt sich, ob er verletzt ist. Doch es ist ganz anders: Sunny hat von einem Moment auf den anderen keine Lust mehr zu laufen und ständig zu gewinnen.

Wie zu erwarten war, können sein Vater und er auch darüber nicht so richtig reden. Allerdings ist das mit dem Laufen auch eine diffizile Sache: Von seinem Vater wurde Sunny immer fürs Laufen damit motiviert, dass er das ja für seine tote Mutter, die stolz auf ihn wäre, mache. Klar, dass das dadurch ein Tabuthema ist … Auch das Laufteam ist von Sunnys Rückzug überrascht, aber als der Trainer vorschlägt, dass Sunny sich einer anderen Leichtathletiksportart zuwendet, tragen seine Teamkollegen das nach einigen Lästereien letztendlich mit.

Bewertung:

Wenn alle vier Bände über das Laufteam im gleichen Duktus geschrieben wären, käme Langeweile auf, und deswegen ist es gut, dass Jason Reynolds in „Sunny“ (Übersetzung: Anja Hansen-Schmidt; engl. Originaltitel: „Sunny“) Abwechslung reinbringt. Nicht nur, dass das Buch anders als Band 1 und 2, die Ich-Erzählungen sind, aus Tagebuchaufzeichnungen besteht – Sunny als Erzähler hat auch einen ganz eigenen Schreibstil.

Im Leben scheint er viele Töne und Klänge wahrzunehmen, und so bedient Sunny sich ungewöhnlicher Wörter und Lautmalereien, um das, was er erlebt, auszudrücken – einem Tagebuch gegenüber darf man das ja:

„(…) boingtboingt durch mein Hirn
wie ein Gummiflummi
mein Hirn ist wie eine Hüpfburg auf einer Party,
zu der niemand eingeladen ist.“ S. (10f)

So beschreibt Sunny, dass in seinem Kopf vieles durcheinander geht, und seinem Tagebuch, das er wie eine Person anspricht, dankt er dafür, dass er dort alles loswerden kann. Oft findet man im Text auch Lautbeschreibungen wie „tick-tick-boom“ oder „schumm-swipp!-schumm-swipp!-schumm-swipp!-schumm-swippp!“ (kursive Setzungen im Original) – was in diesem Fall ausdrückt, wie Patina zur Ziellinie angerast kommt. Sprachlich ist das alles kreativ und verspielt, mitunter witzig zu lesen. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass mancher Leser davon leicht genervt sein könnte.

Wie schon die ersten beiden Bände handelt auch „Sunny“ von einem Jugendlichen, der einiges mitgemacht hat. Bei Sunny ist es der Tod seiner Mutter, der ihn – und man hat den Eindruck, seinen Vater noch mehr – belastet. Sunnys Vater scheint den Tod nicht verkraftet zu haben, denn Sunny bemerkt immer wieder, dass dieser weinend im Bett liegt. Doch darüber wird zwischen den beiden nicht gesprochen. Sunny hat immerhin sein Tagebuch, dem er sich anvertraut und wo die Trauer über den Tod seiner Mutter einen Platz hat.

In „Sunny“ geht es um einen Jungen, der den Weg zu sich selbst sucht und findet. Es ist seltsamerweise das Kind, nicht der erwachsene Vater, das eine Veränderung anschiebt, die notwendig und heilsam ist – und zwar, indem Sunny sich dem Laufen verweigert. Nach und nach lernen Sunny und sein Vater dann doch noch miteinander zu sprechen und kommen sich näher. Außerdem lernt Sunny, etwas aufzugeben, was ihm eigentlich nichts bedeutet und stattdessen etwas anderes zu machen: Die Laufschuhe werden gegen den Diskus eingetauscht. Und warum ein Diskus? Eigentlich will Sunny tanzen, denn er steht ja auf Rhythmus und Musik, und es ist die geniale Idee des Trainers, dass das Diskuswerfen mit seinen Drehungen vor dem Wurf das Richtige für Sunny sein dürfte.

Trainer Brody steht diesmal im Buch ansonsten deutlich weniger im Fokus als bei „Ghost“ und „Patina“. Das ist eigentlich schade, denn seine Figur ist eine der schillernden. Doch dafür hat „Sunny“ eine andere interessante Figur, die das ausgleicht: Die vor ihrem Tod beste Freundin von Sunnys Mutter heißt Aurelia, sie unterrichtet Sunny und unternimmt viel mit und für ihn. Über Aurelia hätte ich gerne noch ein bisschen mehr erfahren … Aber letztendlich ist es bei einem Tagebuch ja folgerichtig, wenn andere Figuren immer nur aus der Sicht des Erzählers und damit kürzer als sonst dargestellt werden.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. „Sunny. Der Sound der Welt“ fügt sich gut in Jason Reynolds‘ Reihe über das Läuferteam ein, bietet aber zugleich Abwechslung und einen ganz anderen Ton. Das ist einfach gut gemacht – nicht nur, weil es Langeweile verhindert, sondern weil es den unterschiedlichen Persönlichkeiten der Läufer in dem Team gerecht wird. Ich bin sonst oft nicht so ganz ein Fan von Tagebuchromanen, aber bei „Sunny“ passt die Form sehr gut zu der Geschichte.

Wie bereits erwähnt: Man kann „Sunny“ auch ohne die vorhergehenden Bände lesen, aber mehr Lesegenuss wird man haben, wenn man die anderen Figuren (vor allem auch Trainer Brody) von den anderen Büchern kennt. Der meines Wissens letzte Band „Lu. Wir sind Familie“ ist inzwischen auch schon erschienen; wahrscheinlich werde ich ihn irgendwann auch noch lesen und besprechen. Schon nach dem dritten Band kann man festhalten, dass Jason Reynolds mit den Romanen über das Läuferteam etwas Besonderes abgeliefert hat. Es ist eine gelungene Idee, die Lebensgeschichten von vier Personen aus einem Läuferteam zu erzählen: wie sie zusammenwachsen, sich Halt geben und durch den gemeinsamen Sport die Widrigkeiten ihres Lebens besser aushalten, ja, zum Teil sogar bewältigen.

blau.giflila.gifrot.gifgelb.gifgruen.gif

(Ulf Cronenberg, 14.07.2019)


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