(Arena-Verlag 2019, 432 Seiten)
„Herzdenker“ war der beeindruckende Debütroman des amerikanischen Autors David Arnold – ein Buch mit Ernsthaftigkeit und Witz, mit besonderen Figuren und einem im positiven Sinn ganz eigenwilligen Plot. Das Buch habe ich wirklich gern gelesen. Gut ein Jahr später gibt es nun den zweiten Jugendroman von David Arnold, auf den ich neugierig war – mit gut 400 Seiten ähnlich dick wie „Herzdenker“ und mit einem Titel und einem Cover, die andeuten, dass das kein ganz normaler Jugendroman ist …
Inhalt:
Noah Oakman ist 16 Jahre alt, geht zur Schule und steht vor der Wahl des Colleges, in dem er seine Ausbildung fortsetzt. Da er sich im Schwimmteam der Schule ausgezeichnet hat, bekommt er Angebote von Colleges, die an ihm interessiert sind. Doch Noah weiß absolut nicht, ob er wirklich weiter Leistungssport machen will, und um sich auch seinen Eltern gegenüber erst einmal vor Diskussionen zu schützen, gibt er vor, Rückenprobleme zu haben und derzeit nicht schwimmen zu können. Auch den Zwillingen Val und Alan (seinen besten Freunden) gegenüber gibt er sein Geheimnis nicht preis …
Auf einer Party, zu der Noah eigentlich gar nicht gehen wollte, zu der ihn Val aber überredet, trinkt er eindeutig zu viel. Als er schon kurz davor ist zu gehen – auch weil er sich über den völlig ausgeknockten Alan ärgert –, lernt er Circuit kennen. Dieser lädt ihn zu sich nach Hause ein, und weil Noah ihm von seinen Problemen erzählt, macht Circuit einen ungewöhnliches Vorschlag. Er will Alan hypnotisieren, um ihm zu helfen.
Am nächsten Tag gerät Noahs Welt aus den Fugen. Er weiß nicht, was passiert ist. Seltsame Dinge bemerkt er – unter anderem, dass seine Mutter auf einmal eine Narbe auf der Wange hat. Die Frage, woher sie die Narbe hat, übergeht seine Mutter allerdings. Auch andere Dinge haben sich verändert, zum Beispiel, dass der altersschwache Hund der Familie auf einmal wieder fidel ist oder dass Alan Comics liest, die er früher abgelehnt hat. Noah versteht das alles nicht und fragt sich, was mit ihm los ist. Nur wenige Dinge sind noch so wie früher, darunter Penny, Noahs aufgeweckte jüngere Schwester …
Bewertung:
Auf den ersten 50 Seiten habe ich mich in „Ganz schön kaputte Tage und wie Noah Oakman sie sieht“ (Übersetzung: Ulrich Thiele; amerikanischer Originaltitel: „The Strange Fascinations of Noah Hypnotik“) richtig wohl gefühlt. Noah ist eine witzige Figur: ein bisschen zwanghaft hier und da (er trägt z. B. jeden Tag die gleichen Klamotten, darunter ein David-Bowie-T-Shirt, von dem er zehn Exemplare besitzt), aber zugleich auch sehr intelligent und ein wenig sonderbar. Kurz gesagt: Noah ist ein unterhaltsamer Erzähler, dessen weitschweifiger Erzählstil aber sicher nicht jedem Leser gefallen wird. Man muss das mögen.
Wie schon in „Herzdenker“ wird auch Noahs Geschichte von anderen interessanten Figuren bevölkert. Auch das hat mich gleich zu Beginn für das Buch eingenommen. Da ist Alan, der sein Coming-out als homosexueller Junge noch nicht lange hinter sich hat; da ist Val, seine Zwillingsschwester, die später Filme drehen will und mit ihrem Bruder und Noah die Leidenschaft für Filme teilt. Es funkt ein bisschen zwischen Noah und Val, aber irgendwann ist das wieder vergessen. Und da ist vor allem Penny, Noahs jüngere Schwester, ein ganz besonderes Mädchen mit tiefem Gefühlsleben, das man nach dem ersten Auftauchen im Buch sofort ins Herz schließen muss.
Tja, und dann kommt die Party, auf der Noah am Ende mit Circuit zu diesem nach Hause geht. Und weil Noah zu viel getrunken hat, zu viel von seinen Problemen erzählt, lässt er sich von Circuit hypnotisieren – dieser verspricht ihm Erleichterung bei seinen Problemen. Und damit läuft nicht nur Noahs Leben aus dem Ruder, sondern irgendwie auch die Geschichte. Denn sie wird eigentümlich und abstrus, und als Leser konnte ich nicht so recht folgen.
Noah weiß nicht, wie ihm geschehen ist, es sind viele Dinge in seinem Leben, die auf einmal anders sind, selbst Personen oder Tiere verändern sich – alles wirkt ein bisschen, als wäre er auf einem halluzinativen Drogentrip, der allerdings sehr lange dauert – und ich weiß selbst, nachdem ich das Buch zu Ende gelesen haben, nicht so recht, was das alles eigentlich soll. Ja, ich kann mir nicht so recht einen Reim drauf machen.
Dieses hypnotisierte Leben in einer veränderten Welt (das Wurmloch auf dem Buchcover ist ja kein Zufall, sondern steht dafür, dass Noah sich fühlt, als wäre er in einem Paralleluniversum) bestimmt ziemlich lange die Geschichte – ich würde mal sagen, gut 200 Seiten. Was Noah wieder in seine „normale“ Welt bringt, ist unter anderem ein Unfall Alans, von dem nicht klar ist, ob Noahs Freund ihn überleben wird. Warum Noah deswegen wieder in die normalen Welt zurückkommt? Ich weiß es auch nicht. Man kann es natürlich auch einfach so hinnehmen.
Es sind die letzten gut 50 Seiten, die mich mit David Arnolds Roman wieder etwas versöhnt haben – auch wenn sie etwas rührselig sind, weil sich alles in Wohlgefallen auflöst. Noah ist am Ende geläutert, er schafft es, zu sich selbst zu stehen und eiert weniger in seinem Leben herum. Was der hypnotische Trip damit eigentlich zu tun hat, erschließt sich mir trotzdem nicht. Vielleicht würde ich bei einem zweiten Lesedurchgang mehr verstehen – aber dafür fehlt mir die Zeit, und auch ein bisschen die Lust.
Es gibt darüber hinaus andere Dinge, die mich an dem Buch leicht stören. Ich finde den Roman zum einen unterm Strich zu lang – das gilt besonders für Noahs posthypnotische Erfahrungen. Zum anderen fühle ich mich bei manchem etwas hängen gelassen. Da taucht in der Mitte z. B. Circuits Schwester Sara auf, mit der Noah so halb anbandelt. Und irgendwie verschwindet sie dann wieder aus der Geschichte (im letzten Buchsatz wird sie noch mal erwähnt). Das Gleiche passiert mit Noah und Val, die sich voneinander angezogen fühlen – auch da lässt einen die Geschichte etwas stehen. Jedenfalls hätte ich mir gewünscht, dass solche Erzählstränge besser zu Ende geführt werden.
Fazit:
3 von 5 Punkten. Schade, ich war mit hohen Erwartungen an „Ganz schön kaputte Tage und wie Noah Oakman sie sieht“ herangegangen, aber sie sind nicht richtig erfüllt worden. David Arnolds zweiter Jugendroman mag eine skurrile Geschichte sein, sie hat auch wirklich gute Ansätze, aber mir war sie dann doch zu abgedreht, und ich habe das Buch aus der Hand gelegt und mir gedacht, dass ich irgendwie nicht so alles ganz verstanden habe. Auf der Habenseite stehen für mich vor allem zwei Dinge: dass David Arnold einen Sinn für besondere Figuren hat, die er gut zu zeichnen weiß; und dass er ein sehr eloquenter und anregender Erzähler ist.
Doch leider hält die Geschichte da meiner Meinung nach nicht mit. Sie hat Längen, die skurrilen Elemente sind überzogen, und ein bisschen mehr Konzentration auf einen gut vorangetriebenen, nicht so weitschweifigen Plot hätte dem Buch gut getan. Schade, „Herzdenker“ hatte die gleichen Stärken, aber eben nicht die Schwächen des neuen Jugendromans.
(Ulf Cronenberg, 02.04.2019)
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