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Buchbesprechung: Elisabeth Etz „Nach vorn“

Cover: Elisabeth Etz „Nach vorn“Lesealter 14+(Tyrolia-Verlag 2018, 203 Seiten)

Wer auf das Buchcover schaut, wird nicht darauf kommen, worum es in „Nach vorn“ geht – das ist etwas kryptisch gehalten. Wer den Jugendroman der österreichischen Autorin gelesen hat, muss zwar vielleicht etwas überlegen, versteht die Symbolik dann aber. Aufmerksam geworden bin auf das Buch, weil es mich das Thema interessiert hat: Wie geht ein Mädchen, das eine längere Tumorbehandlung hinter sich hat, damit um, als es von den Ärzten geheilt entlassen wird. Alles paletti, würde man erst mal naiv denken – ist es aber nicht …

Inhalt:

Helene hatte eine seltene Krebsform, bei der nicht klar war, ob die Behandlung anschlagen und sie wieder gesund werden würde – es war die volle Batterie mit Chemotherapie und Bestrahlungen, die sie über sich ergehen lassen musste. Doch mit 17 Jahren wird sie aus der Klinik als geheilt entlassen, steigt eine Jahrgangsstufe tiefer wieder in die Schule ein und versucht den Weg zurück ins Leben zu finden.

Das erscheint anfangs einfacher, als es dann wirklich ist. Da sind zum einen Helenes Eltern, die vergessen haben, dass man sein Kind erziehen muss. Sie sind extrem nachsichtig mit ihrer Tochter, die so lange krank war, erlauben alles, meinen es immer nur gut. Helene stört das jedoch eher, als dass sie davon begeistert ist. Zum anderen sind da die Klassenkameraden. Frühere Freundinnen haben sich zurückgezogen, mit den neuen Mitschülerinnen in der Klasse läuft es vordergründig gut, aber irgendwie fühlt sich Helene trotzdem bei ihnen nicht wohl.

Kurz darauf tritt Marc in ihr Leben, ein gut aussehender Sportler, mit dem Helene eine Beziehung beginnt. Ihre Eltern sind froh darum, weil sie es als Zeichen sehen, dass ihre Tochter wieder ein normales Leben führt. Doch nach ersten guten Wochen macht Marc eine Bemerkung, die Helene unmöglich findet, und einige Zeit später trennt sie sich Hals über Kopf von ihm. Das versteht absolut niemand von ihren Freundinnen, und von da an geht sie den Mitschülerinnen aus dem Weg. Stattdessen lernt Helene zufällig Mascha kennen, die als Barkeeperin arbeitet, tätowiert ist und in den Kneipenpausen ziemlich viel raucht. Mascha entstammt so gar nicht Helenes bisheriger Lebenswelt, aber sie ist erfrischend unkompliziert. Und das tut Helene gut.

Bewertung:

Es gibt Bücher, die plätschern länger dahin, und meist komme ich dann mit dem Lesen nicht voran, will aber doch wissen, wie es weitergeht. Und manchmal passiert dann in der Geschichte etwas, das auf einmal alles verändert. Genau so war das bei mir mit „Nach vorn“. Ja, es wird gut beschrieben, wie die als geheilt entlassene Helene wieder zu Hause ist, wie es ihr in der neuen Klasse geht, wie sie mit Marc geht, wie sie sich irgendwie aber auch fremd in ihrer früher vertrauten Welt bewegt. Aber das hat mich nicht wirklich gepackt.

Die Stelle, an der sich das geändert hat, kam etwa in der Mitte des Buchs, und es geht um den Beginn einer Beziehung, der mich so fasziniert hat, weil er höchst ungewöhnlich, ja richtig seltsam, aber genial ist. Marc ist da schon eine Weile passé, Helene nennt sich selbst „Hel“, weil sie sich anders als früher fühlt. Und so wie Helene selbst gar nicht bemerkt, dass sie sich in jemanden verguckt hat, ist man auch als Leser überrascht, als Mascha Helene die Augen öffnet. Das ist einfach eine erstklassige Szene. Filmreif.

„Nach vorn“ berichtet nicht davon, wie Helene körperlich gesund wird; das passiert alles schon vor der erzählten Zeit – Chemotherapie und Bestrahlung werden nur ein paar Mal kurz im Rückblick gestreift. Der Jugendroman erzählt stattdessen, wie die 17-Jährige seelisch wieder zu gesunden versucht. Helene will es lange zwar nicht wahrhaben und die Angebote von Psychotherapie, die ihr andere empfehlen, schon gar nicht wahrnehmen: Trotzdem, die Krebserkrankung hat einige Spuren bei ihr hinterlassen. Manche Folgen kann man positiv sehen, weil Helene ein Stück an Oberflächlichkeit verloren hat, aber da sind eben doch auch viele negative Folgen. Es ist letztendlich die Selbstverständlichkeit, einfach so vor sich hinleben zu können und zu machen, was man eben macht, die ihr verloren gegangen ist.

Elisabeth Etz erzählt die Geschichte eher ruhig – das gilt vor allem für die erste Hälfte. Ich musste mich da etwas durchbeißen und war dann aber froh, dass ich durchgehalten habe. Denn die zweite Hälfte hat vieles zu bieten: eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, nicht erwartbare Entwicklungen, an denen Helene zum Teil erst mal verzweifelt, bei denen sich Helene aber durchkämpft. Und als ganz am Ende andere Figuren im Buch Probleme haben und Schwächen zeigen, kehrt sich vieles um: Helene hat an Stärke gewonnen und bietet nun anderen den Halt, den sie vorher selbst gebraucht und – wenn auch von unerwarteter Seite – bekommen hat.

Im Buch ist sicher einiges schöner und rosiger als im wirklichen Leben dargestellt … Und es gibt auch Themen, die etwas unter den Tisch fallen. Das gilt vor allem für die Angst ehemaliger Tumorpatienten, dass sie wieder erkranken. Davon ist im Roman nie die Rede, und das ist doch etwas seltsam. Anderes dagegen wird thematisiert: Dass Helene sich lange schämt für ihre Narben, sie zu verheimlichen versucht, und überhaupt grundsätzlich wenig von ihrer Erkrankung preisgeben will. Sehr schön wird auch beleuchtet, wie sich die Familienkonstellation (Helene ist Einzelkind) zwischen ihr und ihren Eltern verschiebt.

Helene ist am Ende innerlich gewachsen und reifer geworden; sie hat sich nach der überstandenen Erkrankung neu orientiert, viele Fragen bleiben am Ende offen – z. B. ob sie irgendwann den neuen Freund auch mal den Eltern vorstellen wird. Der Schluss des Romans gefällt mir ausgesprochen gut: Er ist abrupt, aber so gut inszeniert, dass das kein Problem ist … Warum der plötzliche Schluss nicht stört, ist klar: Man traut es Helene von da ab zu, dass sie alles Weitere in ihrem Leben auf die Reihe kriegt, und so kann man sie als Leser gut aus der Geschichte entlassen.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Das Thema von Elisabeth Etz‘ Roman ist neu. Es gibt einige Jugendromane über Krebserkrankungen – aber meist geht es um die Krankheitsgeschichte und nicht wie in „Nach vorn“ um das Hinterher. Allein schon deswegen ist der Jugendroman ein besonderes Buch. Man kann es nicht nur Jugendlichen empfehlen, die ähnliche Erfahrungen wie Helene gemacht und eine Tumorbehandlung hinter sich haben, sondern gerade auch andere Jugendlichen sollten es lesen, um mitfühlen zu lernen mit Menschen, die in jungen Jahren wegen einer Tumorerkrankung viel mitmachen oder mitgemacht haben.

Dass das Buch im ersten Teil ein wenig langatmiger als im zweiten Teil ist, ist das, was mich am meisten gestört hat. Klar, es dauert etwas, bis Helene merkt, dass das normale Leben für sie nicht mehr so funktioniert wie früher. Was im realen Leben verständlich sein mag, tut der Dramaturgie im Buch jedoch nicht gut. Doch das Durchhalten lohnt sich, denn als Mascha mit einigen anderen Figuren in Helenes Leben tritt, verändert sich vieles, und das Buch wird endlich zu einem packenden Roman.

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(Ulf Cronenberg, 27.01.2019)


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