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Buchbesprechung: Kristina Aamand „Wenn Worte meine Waffe wären“

Cover: Kristina Aamand „Wenn Worte meine Waffe wären“Lesealter 14+(Dressler-Verlag 2018, 268 Seiten)

Es gibt nicht viele aktuelle Bücher, die von geflüchteten Jugendlichen, die seit einiger Zeit in Europa leben, erzählen, und das ist schade. Die Dänin Kristina Aamand, die selbst als Beraterin für ethnische Minderheiten gearbeitet hat und eine dänische Mutter und einen palästinensischen Vater hat, beschreibt in ihrem Jugendroman genau diese Situation: wie für ein Mädchen die kulturellen Unterschiede aufeinandertreffen und das in ihrer Familie und ihrer Umwelt zu großen Konflikten führt. Eine schwierige Lebenssituation ist das, wie gleich zu sehen sein wird …

Inhalt:

Sheherazade geht auf ein Gymnasium, das sonst nur dänische Jugendliche besuchen – ihre aus einem Kriegsgebiet geflüchteten Eltern, wollen, dass ihre einzige Tochter es besser als sie selbst haben wird. Sheherazades Vater ist vom Krieg traumatisiert und deswegen seit einiger Zeit in einer psychiatrischen Klinik. Der Mutter ist das unangenehm und peinlich, sie hat nur wenig Verständnis für ihren Mann. Die Flucht und das Leben in einem fremden Land haben Sheherazades Mutter zunehmend religiöser und fundamentalistischer werden lassen.

Für Sheherazade sieht der Plan ihrer Eltern – vor allem ihrer Mutter – vor, dass sie Ärztin werden soll, doch eigentlich ist es nicht das, was Sheherazade, die meist nur She genannt wird, will. Der Druck, der nicht nur deswegen, sondern auch weil sie in der Schule nicht gerade eine gute Stellung hat, auf Sheherazade liegt, ist für sie ziemlich belastend.

Im Krankenhaus, in dem ihr Vater liegt, lernt Sheherazade ein Mädchen in ihrem Alter kennen, das völlig unvoreingenommen auf sie zugeht. Thea stört es auch nicht, dass She ein Kopftuch trägt. Für She ist das eine Befreiung – endlich hat sie eine Freundin, die Sheherazade akzeptiert, wie sie ist, und mit der sie über alles reden kann.

Doch was dann passiert, verstärkt Sheherazades Probleme: Thea und sie küssen sich und kommen sich körperlich näher. Für ein muslimisches Mädchen geht das ganz und gar nicht. Mal abgesehen davon, dass auch She in sich mit dieser neuen Erfahrung ringt, hat sie große Angst, dass jemand aus ihrer Familie oder dem Bekanntenkreis etwas von der Beziehung zwischen ihr und Thea mitbekommen könnte.

Bewertung:

Ich glaube fest daran, dass wir Bücher wie „Wenn Worte meine Waffe wären“ (Übersetzung: Ulrike Brauns, dänischer Originaltitel: „For enden af din pegefinger“) brauchen. Denn in den letzten Jahren sind viele Flüchtlinge nach Europa gekommen, und es ist nötig, dass uns die Situation von Kindern und Jugendlichen aus andern Ländern und Kulturkreisen erklärt und verständlich gemacht wird. Sheherazade ist da ein gutes Beispiel: Die Eltern sind überfordert mit ihrer Lebenssituation, setzen alle Hoffnungen in ihre Tochter, verharren aber in den alten Werten, das Mädchen ist jedoch durch die Schule in ihrer neuen Lebenswelt angekommen und hat in manchem bereits andere Vorstellungen. Und wie diese zwei Lebenseinstellungen und -welten aufeinandertreffen, das wird in „Wenn Worte meine Waffe wären“ gut beschrieben.

Einfach hat Sheherazade es wirklich nicht, und sie sehnt sich sehr danach, verstanden und akzeptiert zu werden, und genau das bietet ihr Thea, die aus einem sehr modernen Elternhaus kommen. Kennenlernen tun sie sich die beiden übrigens, weil sowohl Theas Mutter als auch Sheherazades Vater in der Klinik sind. Dort begegnen die beiden Mädchen sich vor einem Getränkeautomaten.

Wie authentisch Kristina Aamand in die Seele eines Mädchens, das mit den Eltern aus einem Krisengebiet geflüchtet ist, schaut, kann ich nicht so ganz beurteilen. Ab und zu hatte ich jedoch leichte Zweifel, ob da nicht manches durch die europäische Brille der Autorin gesehen wird – ohne es genau belegen zu können, gab es ein paar Stellen, wo mir manches übertrieben, anderes leicht bagatellisiert vorkam. Die Themenkreise jedoch, um die es geht, sind ganz sicher authentisch.

Eindimensional ist das Buch auf keinen Fall, sondern immer differenziert. Es gibt unter den Gleichaltrigen Klassenkameradinnen, die einen Packen Vorurteile Sheherazade gegenüber haben, weil diese ein Kopftuch trägt. Und es gibt unter ihnen auch verständnisvolle Menschen wie Thea, die als Figur fast etwas zu verständnisvoll rüberkommt. Auf Seiten der muslimischen Freunde und Bekannten von Shes Familie lernt man einerseits starre Traditionalisten kennen, für die ganz vieles haram (also verboten und sündig) ist. Andererseits kommen im Buch aber auch offenere Menschen vor, darunter unerwarteterweise, was man erst spät im Roman erfährt, Sheherazades Vater.

Sheherazades Vater ist neben seiner Tochter und Frau sowie Thea eine der zentralen Figuren im Roman – ein gebrochener Mann, der von drei Jahren im Gefängnis traumatisiert ist und damit nicht zurechtkommt. Als er ziemlich am Ende anfängt, wieder sein früheres offenes Ich zu aktivieren, gerät die Welt Sheherazades wieder ein wenig in Ordnung. Aber wie schwierig das ist, weil es auch weiterhin sehr viele Personen gibt, die eine lesbische Muslimin nicht akzeptieren wollen, zeigt, dass das Buch nicht blauäugig ist. Wie im richtigen Leben gibt es kein wirkliches Happy End.

Was „Wenn Worte meine Waffe wären“ auszeichnet, ist, dass Sheherazade eine weitere Form hat, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken. Sie erstellt kleine Magazine, Zines genannt – nur mit einem Schwarzweißkopierer, ausgeschnittenen Bildern und ihrer Mädchenschrift. Immer wieder sind in das Buch solche Zines eingestreut, und sie berichten auf eine andere Art von Shes Gedankenwelt und Lebenswirklichkeit. Hinzu kommen ab und zu Stellen, wo ein weißer reiner und ein schwarzer teuflischer Engel Zwiegespräche führen – quasi stellvertretend für Sheherazades Zerrissenheit. All das lockert den Roman auf. Weder Zines (siehe z. B. Jennifer Mathieus „Moxie“) noch widerstrebende Engel sind in Jugendromanen ganz neue Elemente. Aber sie fügen sich gut in das Buch ein und erweitern es, und als Leser versteht man dadurch nach gut 250 Seiten, wie es in Sheherazade aussieht.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Für Kristina Aamands Roman muss man dankbar sein, denn er bringt ein Thema zur Sprache, das heute und in den nächsten Jahren von Bedeutung ist bzw. sein wird: Wie gehen Jugendliche mit einem fremdländischen Hintergrund mit den kulturellen Widersprüchen um, in denen sie leben. Wie Sheherazade, die Hauptfigur in „Wenn Worte meine Waffe wären“ das macht, kann als Vorbild für Jugendliche aus anderen Kulturkreisen dienen. Das Buch hilft Lesern jedoch vor allem auch, sich besser in solche Jugendliche hineinzuversetzen. Es ist zu hoffen, dass wir in unserer Gesellschaft das Fremdländische nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung ansehen können – dazu kann dieser Roman beitragen.

Wie Kristina Aamand sich in Sheherazade einfühlt, wirkt unverkrampft und ehrlich, auch wenn man die europäische Brille leicht hindurchspürt. Das ist vielleicht mein einziger Kritikpunkt – aber da es für erst kürzlich nach Europa gekommene Flüchtlinge schwer möglich ist, selbst Bücher zu schreiben, geht es nur auf diesem Weg. In 10 oder 20 Jahren dürfte da sicher das ein oder andere mit sehr persönlichen Erfahrungen geschriebene Buch entstehen – man kennt das z. B. aus den Jugendromanen Que Du Luus, die u. a. in „Im Jahr des Affen“ auch ihre kulturelle Zerrissenheit verarbeitet (ihre Eltern waren vor knapp 40 Jahren als Boatpeople aus Vietnam nach Deutschland gekommen).

Zu guter Letzt: Ich hätte mir für das Buch ein ansprechenderes und werbewirksameres Cover gewünscht – aufgrund des Covers hätte ich jedenfalls sicher nicht zu diesem Buch gegriffen.

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(Ulf Cronenberg, 26.12.2018)

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