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Buchbesprechung: Stefanie Höfler „Der große schwarze Vogel“

Cover: Stefanie Höfler „Der große schwarze Vogel“Lesealter 13+(Beltz & Gelberg-Verlag 2018, 182 Seiten)

Einen Elternteil plötzlich und unerwartet zu verlieren, ist eine schlimme Erfahrung für Kinder und Jugendliche – wie das ist, davon handelt Stefanie Höflers neuer Jugendroman, auf den ich sehr gespannt war. Höflers letztes Buch „Tanz der Tiefseequalle“ war für mich eines der besten deutschsprachigen Bücher des letzten Jahres – das sehen auch andere so, denn es wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2018 nominiert. Jedenfalls war ich sehr gespannt auf Stefanie Höflers neuen Jugendroman und habe ihn nicht lange auf meinem Lesestapel liegen lassen …

Inhalt:

Von einem Moment auf den anderen wird das Leben des 14-jährigen Ben auf den Kopf gestellt. Er erwacht, weil an einem Morgen im Herbst Sanitäter im Haus sind, die versuchen – das bekommt er bald mit –, seine Mutter ins Leben zurückzuholen. Doch vergebens: Bens Mutter ist völlig unerwartet, wahrscheinlich an einem Herzstillstand, gestorben.

Bens Vater ist total geschockt und kommt gar nicht mit der Situation zurecht. Während Bens deutlich jüngerer Bruder Karl – Krümel genannt – erst heult, dann alles neugierig und irgendwie unverkrampft verfolgt, weiß Ben nicht so recht, was er empfinden soll. Um zu helfen, taucht bald Tante Gerda, die Schwester von Bens Vater, auf und kümmert sich um alles. Sie nimmt die beiden Brüder auch mit zu sich nach Hause, denn Bens Vater ist völlig überfordert damit, für seine Söhne da zu sein.

Ben selbst weiß nicht so recht, wie er mit dem Tod seiner Mutter umgehen soll … Einerseits überkommen ihn immer wieder Erinnerungen an Erlebnisse mit ihr, andererseits spürt er nicht wirklich Trauer in sich. Sonderbarerweise sieht Ben in den folgenden Tagen immer wieder Erscheinungen seiner Mutter, die plötzlich neben ihm auftaucht und ihm etwas mitteilt oder einfach nur dasteht.

Bewertung:

Seltsam, ich war nicht darauf vorbereitet, dass mich Stefanie Höflers neues Buch am Anfang so gar nicht gepackt hat. Ich hatte es einfach nicht erwartet und war irritiert. Jedenfalls gingen mir die ersten 50 Seiten des Romans überhaupt nicht nahe, und das, obwohl es um eine ziemlich emotionale und verstörende Situation geht, wenn eines Morgens ohne Vorankündigung die überhaupt nicht gesundheitlich beeinträchtigte Mutter des Ich-Erzählers Ben tot ist. Mein Eindruck war, dass da einfach das, was so einen unerwarteten Todesfalls ausmacht, runtergespult wird – irgendwie vorhersehbar, mit den zu erwartenden Stimmungen und Gefühlen. Ben beschreibt das alles aus seiner Sicht, aber das Buch bleibt hier fad, immer in der Nähe des Erwartbaren …

Der Moment, wo dieses Empfinden bei mir gekippt ist, lässt sich klar benennen: Es ist, als Ben wieder in die Schule geht – eine schwierige Situation, weil weder Lehrkräfte noch Mitschüler/innen so richtig wissen, wie sie mit ihm nach dem Tod seiner Mutter umgehen sollen. Ben nimmt das sehr genau wahr und tut sich schwer damit … Was die Veränderung bewirkt, ist eine neue Figur, die auftaucht.

Lina wurde bisher von Ben in der Schule eher als Außenseiterin, recht arrogant und distanziert, erlebt; aber plötzlich ist sie die Einzige, die ihn nicht in einen schonenden Kokon zu betten versucht, sondern ihn neugierig, interessiert und vor allem unverblümt mustert und fast herausfordernd-frech auf ihn zugeht. Es ist das Unerwartete und Geheimnisvolle, das hier ins Buch kommt und endlich etwas in Gang setzt. Lina belebt das Buch, weil mit ihr der bisher irgendwie erwartbare Wege der Handlung verlassen wird.

Geschickt hat Stefanie Höfler ihren Roman aufgebaut. Da wird zum einen chronologisch die Woche nach dem Tod der Mutter erzählt; aber da das allein zu öde wäre, werden zum anderen zwischen die Kapitel immer wieder kurze Erinnerungs- und Erlebnissplitter eingefügt – in kursiver Schrift, überschrieben in der ersten Hälfte mit „Davor“, dann einmal in der Mitte mit „Jetzt“, und in der zweiten Hälfte dann mit „Danach“.

Diese episodenhaften Einschübe beschreiben Momente, die Ben mit seiner Mutter erlebt hat oder mit ihr verbindet. Hier erfährt man zum Beispiel, dass Ben Bäume und Pflanzen liebt, wie seine Mutter das ganz genau weiß und ihn darin bestärkt. Diese Einschübe reichen zeitlich in der zweiten Hälfte deutlich über die Woche nach dem Tod der Mutter hinaus. Da wird z. B. Karls siebter Geburtstag im Juni des Folgejahres beschrieben oder man erfährt, wie Ben langsam wieder ins Leben zurückfindet, indem er sich für ein Praktikum in einer Gärtnerei bewirbt.

War der Anfang des Buchs etwas langsamtig, so bietet es später noch Skurriles – ja, es gibt zwei Szenen, die man sich so richtig gut auch in einem Film vorstellen könnte. Die eine betrifft die Beerdigung von Bens Mutter, und wie hier Bens Vater auf die salbungsvollen Worte des Pfarrers reagiert, dürfte zwar nicht aus dem wirklichen Leben gegriffen sein, man liest es aber mit großem Schmunzeln.

Das sich abzeichnende Verliebtsein zwischen Ben und Lina bleibt übrigens sehr sachte … Hier geht Stefanie Höfler wie in „Tanz der Tiefseequalle“ sehr behutsam mit ihren Figuren um. Was man wissen will, erfährt man auch irgendwann nach längerer Wartezeit: Warum Lina sich so ungewöhnlich Ben gegenüber verhält, als er nach dem Tod der Mutter wieder in die Schule kommt. Und wie Ben dann doch noch irgendwann richtig Trauer empfindet, wie er mit dem Verlust der Mutter langsam leben lernt, wird auch beschrieben.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Am Ende war ich mit dem Buch versöhnt, ja von ihm angetan, denn sprachlich ist der Roman virtuos geschrieben und nach dem ersten Drittel kann da auch die Geschichte mithalten. Aber schade ist es trotzdem, dass die ersten 50 Seiten so dröge und langatmig daherkommen. Da hätte man noch mal drübergehen müssen – aber so wirkt es ein bisschen, als hätte Stefanie Höfler sich selbst erst mal warmschreiben und in die Geschichte reinfinden müssen. Mich wurmt das, denn letztendlich sind es ja immer die ersten Seiten, die einen zum Weiterlesen motivieren, und hier macht das Buch meiner Meinung nach keine gute Figur.

Immerhin: Mit der Einführung von Lina wird alles anders – das Buch verlässt die bekannten Trampelpfade von Büchern, in denen es um Trauer geht. Stefanie Höfler läuft in „Der große schwarze Vogel“ endlich zur bekannten Hochform auf und lässt zum einen die Klischees hinter sich, weiß zum anderen aber auch im Spiel zwischen den Figuren Spannung aufzubauen. Neben Lina ist es auch Karl alias Krümel, der immer interessanter wird, weil er mehrfach einfach verschwindet (und dabei einmal für die bereits erwähnte zweite filmreife Szene sorgt).

Auch wenn man erst mal über eine Durststrecke hinwegkommen muss: Alles in allem lohnt es sich dann doch, „Der große schwarze Vogel“ zu lesen. Am Ende hat man den brav-routinierten Einstieg hinter sich gelassen und schon fast vergessen.

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(Ulf Cronenberg, 03.09.2018)

Kommentare (2)

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