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Buchbesprechung: Margit Ruile „God’s Kitchen“

Cover: Margit Ruile „God's Kitchen"Lesealter 14+(Loewe-Verlag 2018, 317 Seiten)

Margit Ruile lebt in München und hat Regie studiert. Sie war als Regieassistentin tätig und hat Drehbücher geschrieben, seit einigen Jahren hat sie sich auch Jugendbüchern zugewandt. „God’s Kitchen“ ist meines Wissens ihr dritter Jugendroman, allerdings habe ich die anderen nicht gelesen. In allen drei Büchern geht es, wenn ich richtig informiert bin, um technische Entwicklungen in der nahen Zukunft: um Überwachung oder wie bei „God’s Kitchen“ um künstliche Intelligenz – beides wichtige Themen, denn was sich hier tut und welche Folgen es haben wird, darüber wird viel zu wenig nachgedacht.

Inhalt:

Celine hat eine Gabe, die für sie eher Fluch als Segen ist: Sie sieht manchmal, ohne das steuern zu können, Szenen aus der Zukunft, und es sind meist schlimme Ereignisse, die sie da vorausahnt. Sie hat deswegen Traumatisches erlebt, denn sie hat den Tod ihrer Eltern vorausgesehen, wollte ihn verhindern, ist aber nicht zu ihren Eltern durchgedrungen. Sie wollten ihr nicht glauben. Seitdem ist Celine Waise. Ihr vor kurzem begonnenes Psychologie-Studium betreibt sie wenig enthusiastisch, auch sonst schwimmt sie im Leben eher und hat kaum Kontakte zu anderen Menschen.

Eine Ausnahme ist Pandora, die sie vor kurzem kennengelernt hat. Als Pandora, die an einem Universitätsinstitut arbeitet, ihr ein Praktikum anbietet, ist Celine geschmeichelt, aber muss sich trotzdem erst überzeugen lassen. Doch schließlich fängt sie in dem Institut zu arbeiten an. Dort hat man einen künstlichen Menschen gebaut, der Chi genannt wird und wie ein Mädchen aussieht. Die Mimik, aber auch die Sprache von Chi sind so echt, dass man sie fast für ein menschliches Wesen halten könnte – allerdings kann Chi sich nicht fortbewegen, weil sie keinen vollständigen Körper hat.

Celine soll helfen, Chi zu perfektionieren. Sie arbeitet dafür mit Kim, einem Institutsassistenten, der wie sie asiatische Wurzeln hat, zusammen. Irgendwann erfährt Celine, dass sie bewusst von Pandora angeheuert wurde, weil diese herausbekommen hat, dass Celine in die Zukunft sehen kann. Chi soll trainiert werden, das auch zu können. Celine findet vieles, was in dem Institut passiert, zunehmend unheimlich …

Bewertung:

Ziemlich unbedarft und unvorbereitet habe ich angefangen, Margit Ruiles „God’s Kitchen“ zu lesen – ich wusste lediglich, dass es um künstliche Intelligenz geht. Die ersten Seiten haben mich gleich in den Bann gezogen, denn hier wird Celine, die Ich-Erzählerin, eingeführt. Mit ihren Zukunftsvisionen einerseits, mit ihrer Schwierigkeit im Leben Fuß zu fassen andererseits, ist sie eine interessante Figur, die sehr eindrücklich beschrieben wird. Das Lebensgefühl von Celine saugt man förmlich in sich auf, und das tat fast weh, weil man Celines traumatische Erlebnisse so nah zu spüren bekommt. Ein unerwarteter Einstieg für einen Roman, bei dem man eine Zukunftsgeschichte erwartet.

Doch auf die trotz der bedrückenden Stimmung beeindruckenden ersten beiden Kapitel folgt ein langatmiger Teil, in dem die Geschichte etwas zu langsam und träge aufgebaut wird. Fast hätte ich hier das Buch nach der anfänglichen Begeisterung wieder aus der Hand gelegt, denn es dauert eindeutig zu lange, bis die Geschichte wieder Fahrt aufnimmt. Erst nach einem guten Drittel beginnen sich Thrillerelemente abzuzeichnen, die mich wieder richtig zum Weiterlesen animiert haben.

Sehr subtil sind diese Spannungselemente, und sie haben etwas damit zu tun, dass man irgendwann merkt, dass Chi mit den Personen, die mit ihr arbeiten, Spielchen spielt – die künstliche Intelligenz von Chi hat sich verselbständigt. Da werden mit psychologischen Tricks durch Chi Geheimnisse aus anderen herausgelockt, Chi gibt zu erkennen, dass sie mehr kann, als ihr eigentlich erlaubt ist (z. B. hat sie entgegen den Vorgaben Zugang zum Internet), und Chi steht im Verdacht – das findet Celine irgendwann heraus –, einen Menschen getötet oder zumindest in den Tod getrieben zu haben. Ja, das ist ziemlich unheimlich, gruselig, surreal …

Die Spannung im letzten Drittel macht aus, dass Celine erfährt, dass der vorherige Mitarbeiter, den sie ersetzt hat, tot ist. Berechtige Sorgen breiten sich in ihr aus, dass sie selbst in Gefahr ist, die seltsamen Warnungen der Empfangsdame, als sie das erste Mal das Institut betreten hat, kommen ihr wieder in den Sinn. Trotz ihrer Ängste möchte Celine herausfinden, was genau und warum es passiert ist … Doch anstatt Klarheit zu bekommen, wird letztendlich alles immer komplizierter. Und ganz am Ende – das ist geschickt gemacht – beenden einige unerwartete Wendungen das Buch.

Das letzte Drittel wirft Fragen auf: Was ist mit intelligenten Computersystemen? Können sie sich irgendwann verselbständigen und so zum Feind der Menschen werden? Es gibt einige Science-Fiction-Filme, in denen genau das passiert, und es gibt Forscher, die davor warnen, dass künstliche Intelligenz zu mächtig werden könnte. Margit Ruile stellt diese Frage nicht direkt, aber sie steht im Raum. Für meinen Geschmack hätte hier das Buch noch deutlicher werden können, doch „God’s Kitchen“ bleibt eher Psychothriller, als dass der Roman pointiert mögliche Zukunftsentwicklungen aufzeigt. Der Fokus liegt auf dem Geschichtenerzählen; und seien es die Zukunftsvisionen von Celine oder die mystischen Elemente im Buch, es gibt einiges, was das Buch eben nicht zum Science-Fiction-Roman macht.

Margit Ruile spielt dabei auch immer wieder mit Figuren und Themen der griechischen Mythologie. Pandoras Name ist der Mythologie entlehnt: Die verführerische Pandora trägt in einer Büchse alles Übel der Welt, aber auch die Hoffnung (vgl. Wikipedia-Artikel). Das passt natürlich perfekt zur Figur Pandoras in dem Buch. Weitere Figuren und Namen, die auftauchen sind Kairos (der Bruder des von Chi in den Tod getriebenen Eric) und Hector, der Chef des Chi-Projekts. Auch hier sind die Namen durchaus passend entlehnt …

Fazit:

3-einhalb von 5 Punkten. „God’s Kitchen“ hat einige Stärken, es hat aber auch Schwächen. Durch das Buch tragen letztendlich vor allem zwei Dinge: zum einen die Hauptfigur Celine, die es mit ihren Zukunftsvisionen nicht leicht hat, zum anderen die sich leider etwas spät entwickelnde psychologische Spannung der Thrillergeschichte mit Chi. Das Unheimliche ist im Roman gut platziert und kriecht in den Leser hinein, leider ist der Weg bis dahin ein bisschen lang. „God’s Kitchen“ hätte gerne 50 Seiten kürzer sein dürfen …

Ob man die etwas mystisch angelegte Ausrichtung des Romans mag oder nicht, ist Geschmackssache. Mir wären einerseits etwas mehr Zukunftselemente und -fragen lieber als die Mystik gewesen. Andererseits bekommt die Geschichte durch die Figur Celines mit ihren Zukunftsvisionen ihren eigenen Stempel. Ich hätte mich unterm Stich dennoch mehr mit dem Buch anfreunden können, wenn es etwas mehr Realismus hätte und wenn die ethisch-philosophischen Fragen in Bezug auf künstliche Intelligenz etwas pointierter dargestellt würden. Auf die mythologischen Anspielungen hätte ich dagegen eher verzichten können – die Figuren außer Celine bleiben oft etwas blass und sind unnahbar.

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(Ulf Cronenberg, 19.07.2018)

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