(dtv 2018, 266 Seiten)
Es gibt nach wie vor eingefleischte Science-Fiction-Fans. Im Jugendbuchbereich führen Science-Fiction-Bücher im Vergleich zu Fantasy allerdings eher ein Schattendasein – obwohl ich glaube, dass es viele Jungen gibt, die solche Bücher mögen. Auch ich hatte vor langer Zeit eine Phase, in der ich sehr viele Zukunftsroman gelesen habe – zum Beispiel von der kürzlich gestorbenen Ursula K. LeGuin. Meine grundlegende Sympathie für das Genre ist geblieben, auch wenn ich mich darin nicht mehr gut auskenne. Unter dem Pseudonym R. T. Acron haben nun zwei Autoren – Frank Maria Reifenberg und Christian Tielmann – Band 1 einer Science-Fiction-Trilogie mit dem Titel „Ocean City“ herausgebracht.
Inhalt:
Jackson lebt mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester Celine in Ocean City – einer auf dem Meer schwimmenden riesigen Stadt, in der es den Menschen deutlich besser geht als auf den Kontinenten. Dennoch haben die Menschen viel zu schuften und müssen alles mit Zeit – der Währung von Ocean City – bezahlen, und die ist immer Mangelware. Wie seine Freunde Hank und Crockie geht Jackson auf eine angesehene Schule, und die drei Freunde haben in letzter Zeit an einem Gerät gebastelt, mit dem sie Zeitkonten illegal auffüllen können.
Auf dem Weg in die Schule werden Crockie und Jackson eines Morgens von mehreren bewaffneten Personen verfolgt – die Vermutung liegt nahe, dass der Geheimdienst von ihren illegalen Machenschaften Wind bekommen hat. Crockie und Jackson versuchen zu fliehen, doch die Verfolger erwischen sie an einem Hafenbecken und schießen auf Crockie, der ins Wasser stürzt. Seltsamerweise scheinen sie nur an Crockie, nicht an Jackson interessiert zu sein.
Jackson ist entsetzt. Sein Freund kann nicht schwimmen, und Jackson ist sich sicher, dass Crockie tot ist. Ihm bleibt nichts anderes übrig als abzuhauen, was ihm auch gelingt – die Verfolger lassen ihn entkommen. Jackson fragt sich, was passiert ist: Anscheinend hat Crockie das von ihnen entwickelte Gerät wirklich benutzt, und so ist ihm die Geheimpolizei auf die Spur gekommen. Hank und Jackson selbst sind nun auch in Gefahr – sie sollten vor allem das Gerät finden, das Crockie verwendet hat, bevor es der Polizei in die Hände kommt.
Bewertung:
Ein interessantes Szenario ist es, das in „Ocean City – Jede Sekunde zählt“ entworfen wird: Eine riesige Stadt schwimmt auf dem Ozean und versorgt sich gänzlich selbst. Nur am Rande bekommt man etwas zu den technischen Hintergründen geboten: wie die Stadt stabilisiert wird, wie die Versorgung mit Lebensmitteln vor sich geht, etc. Angedeutet wird auch nur, dass die Menschen auf den Kontinenten in schwierigen Zeiten leben: Die Versorgungslage ist schlecht, es gibt kriegerische Auseinandersetzungen und größere gesellschaftliche Probleme. Ich hätte da gerne noch mehr erfahren, aber im Buch steht die Handlung um die drei Jungen im Vordergrund.
Spannend ist „Ocean City“ in jedem Fall. Ohne dass man etwas über die Hintergründe weiß, sitzt Jackson und Crockie gleich zu Beginn die Geheimpolizei auf den Fersen. Ein solcher Paukenschlag auf den ersten Seiten birgt immer die Gefahr, dass die Geschichte später dahinplätschert, weil die anfängliche Spannung nicht gehalten wird. Aber das habe ich beim Buch von Frank Reifenberg und Christian Tielmann nicht so empfunden.
Es geschieht im Laufe des Buchs weiterhin einiges – das macht das Autorenduo schon ganz richtig. Da zieht eine Person, deren Identität man erst auf der letzten Seite erfährt, im Hintergrund die Strippen, es gibt eine revolutionäre Gruppe, die gegen die Regierung von Ocean City vorgehen will und die an Jackson und seinen Freunden interessiert ist, und es gibt auch Mächtige, die mit allen Mitteln – nicht nur mit dem Geheimdienst, sondern auch mit einem verborgenen Ermittler – den Zeitkontenbetrug von Crockie, Hank und Jackson aufdecken und ahnden wollen.
Ab und zu wird die Geschichte allerdings leicht unübersichtlich – es sind wie so oft die Actionszenen, die ein paar glückliche Zufälle zu viel enthalten, um richtig glaubwürdig zu bleiben. Gerade der Showdown, der in dem Buch nicht fehlen darf, liegt für meinen Geschmack jenseits der Grenze der Übertreibung. Es würde mich nicht wundern, wenn man hier bei genauem Lesen auch einige Ungereimtheiten finden würde. Aber gut, „Ocean City“ ist auf Action ausgelegt, und da wird man gut bedient: Im Zentrum steht der Plot mit Geheimdienst, geheimen Machenschaften, Verfolgungsjagden, Gefängnisausbrüchen – es ist alles da, was man für ein spannendes Jungen-Leseabenteuer braucht.
Ja, die Figuren: Da wird ebenfalls alles geboten, was ein rasanter Jugendroman braucht. Jackson und Crockie sind sympathisch, Hank nicht so ganz – auch weil er ein bisschen im Verdacht steht, zu kollaborieren. Im Gegensatz zu seinen beiden Freunden stammt Hank auch aus einer privilegierten Familie. Ein hübsches Mädchen – kampfbereit und im Geheimen operierend – kommt irgendwann auch ins Spiel, eine machtbesessene Anführerin darf ebenso nicht fehlen. Ein bisschen zu sehr nach typischem Actionrezept klingt das vielleicht doch, wenn man darüber nachdenkt – aber wenn man in der Geschichte drinsteckt, ist trotzdem alles stimmig.
Fazit:
4 von 5 Punkten. Mit Tempo und aus mehreren Perspektiven erzählt, mit interessanten Figuren ausgestattet – darunter z. B. Lou, die von der revolutionären Zelle auf Jackson angesetzt wird … All das weiß an dem Buch zu gefallen und dürfte für 10- bis 12-jährige Leser so passen. Wer älter ist, würde sich vielleicht hier und da noch etwas mehr Tiefgang sowie eine etwas weniger genretypische Figurenauswahl wünschen – die der Geschichte zugrundeliegende Idee würde das durchaus ermöglichen. Außerdem hätten die Autoren noch mehr über die vorgestellte Zukunft schreiben können – ich habe das Konzept vom Zahlungsmittel Zeit zum Beispiel nicht so richtig verstanden.
Das mag etwas kleinlich kritisiert sein; man sollte dem Buch aber zugutehalten, dass mit „Ocean City – Jede Sekunde zählt“ für die anvisierte Zielgruppe ein spannendes Leseabenteuer geboten wird, das jüngeren Lesemuffeln einigen Anreiz gibt, sich in ein Buch zu vertiefen. Dass zu Beginn mit der Verfolgungsjagd nicht lange gezappelt wird, dass die Story nicht langsam und mühsam aufgebaut wird, erleichtert den Einstieg in das Buch für weniger erfahrene Leser. Und damit hat das Buch allein schon mal im Bereich der Jungenleseförderung seine Berechtigung. Alles in allem ist das Buch trotzdem so sympathisch und spannend, dass ich mir durchaus vorstellen kann, auch Band 2 und 3 zu lesen …
(Ulf Cronenberg, 25.03.2017)
P. S.: Wer noch ein bisschen mehr von den beiden Autoren über das Buch erfahren will, der kann sich ein YouTube-Video-Interview mit den den beiden anschauen …
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