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Buchbesprechung: Tamara Bach „Mausmeer“

Cover: Tamara Bach „Mausmeer“Lesealter 14+(Carlsen-Verlag 2018, 142 Seiten)

Nach einer längeren Schaffenspause veröffentlicht Tamara Bach im Abstand von ein bis zwei Jahren wieder regelmäßig wieder Jugendromane. „Was vom Sommer übrig ist“, „Marienbilder“ und „Vierzehn“ waren alles schmale Bändchen mit etwas über 100 Seiten, in denen es mit einer sehr ausgefeilten Sprache um die Lebenssituation von Jugendlichen heute geht – alles Bücher, die etwas Besonderes waren. Die mit „Mausmeer“ nun vier dünnen Bändchen, deren Cover in verschiedenen Farben gehalten sind, würden sich übrigens gut als Sammelband in einem Schuber machen …

Inhalt:

Ben ist 18 Jahre alt geworden und feiert vor dem Osterwochenende zu Hause seinen Geburtstag. Die Eltern haben ihn und seine große Schwester Annika zurückgelassen und sind in einen Kurzurlaub gefahren – nicht ohne Annika vorher zu verstehen zu geben, dass sie auf ihren jüngeren Bruder aufpassen soll. Von seiner Mutter hat Ben das Auto geliehen bekommen, mit dem er nun als Volljähriger endlich fahren darf.

Als Ben Pizza für die Party holen will, sucht er jemanden, der mitfährt. Schließlich erklärt sich Annika dazu bereit. Annika, die einiges an Alkohol intus hat, schläft im Auto ein, und als sie wach wird, sind sie nicht bei einer Pizzeria, sondern ganz woanders: Ben ist zum seit längerem leerstehenden Haus ihrer Großeltern in einem Dorf an einem See gefahren. Anscheinend hat Ben das alles von langer Hand geplant – jedenfalls hat er den Schlüssel des Hauses und Lebensmittel mitgenommen. Von Ben erfährt Annika auch, dass ihre Eltern das Haus und Grundstück verkaufen wollen. Das Haus soll abgerissen werden.

Annika ist ziemlich sauer auf Ben, weil er sie quasi entführt hat, und sie hat keine Ahnung, was die Gründe dafür sind. Am nächsten Morgen reicht es ihr, und sie will mit dem Bus zurückfahren … Sie steht schon an einer Bushaltestelle, steigt dann aber doch nicht in den Bus. Im Haus der Großeltern ist weiterhin dicke Luft zwischen Ben und Annika. Irgendwann streiten beide sich so richtig. Am Ende liegt der Schlüsselbund mit Auto- und Haustürschlüssel im See, womit klar ist, dass die Geschwister den Rest des Osterwochenendes gemeinsam dort verbringen werden müssen.

Bewertung:

Wer Bücher mit einem eigenen Sprachstil mag, der ist bei Tamara Bach schon immer richtig gewesen – die in Berlin lebende Autorin wagt in ihren Büchern etwas und traut sich, sprachlich zu experimentieren. Das gilt auch für „Mausmeer“. Vollständige Sätze findet man in dem Buch selten, es ist alles assoziativ wie im Gedankenstrom geschrieben – da hüpfen die Worte mit den Gedanken der beiden Erzähler. Anfangs erzählt vor allem Annika, nur ab und zu Ben, später berichten dann Ben und Annika im Wechsel. Von Wortneuschöpfungen über Wortspiele und assoziative Wortketten bis hin zu Bibelanspielungen wird einiges geboten …

Das führt mitunter dazu, dass man anfangs ein Weilchen braucht, um in die Geschichte hineinzukommen – etwas, was man schon von anderen Büchern Tamara Bachs kennt. In „Mausmeer“ wird auch nicht kenntlich gemacht, wer von den beiden Geschwistern gerade erzählt – wechselt die erzählende Figur mitten im Kapitel wird das immerhin durch ein Sternchen zwischen den Absätzen markiert. Überhaupt, es wird auch wenig vorab erläutert, man erfährt auch nichts über die Vorgeschichte, man steigt als Leser einfach in die Geschichte ein. Auch deswegen muss man sich erst mal etwas einlesen.

Was die Hauptfiguren angeht: Annika ist schon immer die Vernünftige gewesenen, die, der die Eltern vertrauen, der sie viel zutrauen. Ben dagegen ist der, der schon immer Probleme gemacht hat und überall aneckt, anscheinend auch mit Drogen und Alkohol zu tun hatte. Die Rollen in der Familie – das wird klar – sind abgezirkelt, festgeschrieben, und es gibt da diese skurrile Situation, in der Annika ihren Eltern, die gerade im Urlaub sind, am Telefon erklärt, dass sie die Schlüssel „verloren“ hat – doch ihre Eltern sind fest davon überzeugt, dass Ben das verbockt hat, und glauben ihr nicht.

Hier ist man dann aber schon in der zweiten Hälfte der Geschichte, und bis dahin ist es ein leicht dröger und spannungsarmer Weg. Mich hat nicht gestört, dass die Geschichte medias in res beginnt und sprachlich anspruchsvoll ist, aber ich fand, dass sie auf den ersten 70 Seiten dramaturgisch nachlässig erzählt wird. Eigentlich ist das ja ein tolles Szenario: die große Schwester vom eigenen Bruder entführt – aber so richtig etwas raus holt Tamara Bach, finde ich, hier nicht. Und als die Geschwister im Haus der Großeltern angekommen sind, plätschert die Geschichte weiterhin viel zu lange vor sich hin. Das findet übrigens auch im Erzählerischen seine Repräsentation: Annika erzählt recht lange alles aus ihrer Sicht, Ben bleibt als Erzähler eher eine Nebenfigur. Vielleicht hätten der Geschichte häufigere Erzählerwechsel in der ersten Hälfte gut getan.

Der Moment, von dem ab die Geschichte endlich rasanter wird, lässt sich klar benennen: Es ist die Seite 70, als Annika nach dem Streit mit Ben dessen Schlüsselbund in den schlammigen See wirft. Dadurch kommt endlich Gruppendynamik ins Spiel, denn hat Ben Annika vorher mit den vor ihr versteckten Schlüsseln quasi in der Hand gehabt, so sind sie auf einmal beide aufeinander angewiesen. Und infolgedessen passiert noch so einiges – auch, weil sie in einem Dorf sind, an dem an Ostern so einiges Seltsame geschieht.

Fazit:

3-einhalb von 5 Punkten. „Mausmeer“ ist das Buch der letzten Jahre von Tamara Bach, das mich am wenigsten begeistert hat. Grund dafür ist nicht die Sprache, mit der sicher nicht jeder jugendliche (oder erwachsene) Leser etwas anfangen kann, die ich aber mag, sondern es ist die Dramaturgie. Zu lange passiert auf der Handlungseben zu wenig, die Geschichte tritt bis zur Mitte des Büchleins etwas auf der Stelle.

Das ist schade, denn man kann der Geschichte zumindest im zweiten Teil vieles abgewinnen. Die Familienkonstellation von Ben und Annika mit den genervten Eltern im Hintergrund ist gut gewählt, der Mief des Dorflebens (mir wird immer ganz anders, wenn ich so etwas lese) wird zaghaft liebevoll, größtenteils aber einengend und befremdlich dargestellt. Das passt alles. Aber auf den ersten 70 Seiten wird die Geschichte durch das wenige, was passiert, einfach nicht so richtig getragen. Dennoch: Wer gerne Bücher abseits des Massentauglichen liest, der mag sich mit „Mausmeer“ anfreunden, sofern man auch damit leben kann, dass die Geschichte auf der Handlungsebene zum Teil etwas stockt.

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(Ulf Cronenberg, 17.03.2018)

Kommentar (1)

  1. Thomas Decker

    5 Sterne, rundum gelungen. Knüpft an „Was vom Sommer übrig ist“ an.

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