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Buchbesprechung: Jeff Zentner „Zusammen sind wir Helden“

Cover: Jeff Zentner "Zusammen sind wir Helfen"Lesealter 15+(Carlsen-Verlag 2017, 362 Seiten)

„Zusammen sind wir Helden“ – der Titel hat mich sofort an eine deutsche Band denken lassen … Das Cover jedenfalls finde ich sehr ansprechend, und deswegen hab ich mir den Jugendroman auch gleich, nachdem ich ihn bekommen habe, geschnappt und angefangen zu lesen. Jeff Zentner hat bisher als Musiker (allerdings in der zweiten Reihe mit Größen wie Iggie Pop oder Nick Cave) gearbeitet – als Songwriter und Gitarrist. „Zusammen sind wir Helden“, das schreibt Carlsen in den Informationen zum Roman, sei durch seine Arbeit mit jungen Musikern inspiriert worden.

Inhalt:

Dill, Travis und Lydia stecken im letzten Schuljahr und sind nicht gerade beliebt an ihrer Schule. Von anderen werden sie immer wieder blöd angemacht, weil sie – jeder auf seine Art – nicht stromlinienförmig sind. Lydia, die ein bekanntes Modeblog aufgebaut hat, kleidet sich recht extravagant und zieht vor allem schrille und bunte Sachen an. Auf den Mund gefallen ist sie auch nicht. Travis ist nicht gerade schlank und liebt Fantaysromane. Er läuft auch ständig mit einem verzierten Wanderstab herum. Und Dill hat es vor allem schwer, weil sein Vater, ein umstrittener Prediger, seit einiger Zeit im Gefängnis sitzt: Bei ihm wurden Kinderpornos auf dem Computer gefunden.

Während Lydia aus einem behüteten Elternhaus kommt – ihre Eltern sind Zahnärzte und kümmern sich liebevoll um ihre Tochter –, leben Dill und Travis in ärmlichen und schwierigen Verhältnissen. Travis‘ Vater neigt zu Gewalt und hält seinen Sohn für ein Weichei, der nicht wie er selbst und Travis‘ größerer, in Afghanistan getöteter Bruder hart im Nehmen ist. Dills extrem religiöse Mutter und er kommen kaum über die Runden. Sie haben von Dills Vater viele Schulden übernommen.

Lydia will nach der Schule nach New York an die Universität gehen und hat große Pläne für eine Karriere im Modebusiness. Dill, der seit längerem in Lydia verliebt ist, kommt damit gar nicht zurecht, dass seine beste Freundin bald weg sein wird. Doch einen Ausweg, sein armseliges Leben zu verlassen, sieht er nicht. Lydia will ihn allerdings davon überzeugen, dass er ebenfalls studieren soll – doch er traut sich das weder zu noch würden seine Eltern es erlauben. Doch Lydia gibt nicht auf …

Bewertung:

In Forrestville, Tennesse, wo der Roman spielt, möchte man wirklich nicht wohnen – die Welt von Dill, Travis und Lydia ist alles andere als attraktiv, sie ist extrem beklemmend. Allein, wenn man den religiösen Fundamentalismus von Dills Eltern mitbekommen, läuft es einem eiskalt den Rücken herunter. Die Welt in „Zusammen sind wir Helden“ (Übersetzung: Ingo Herzke; englischer Originaltitel „The Serpent King“) ist verdammt eng, und außer Lydias Eltern, die eine gewisse Weltläufigkeit mitbringen, gibt es neben den drei Hauptfiguren wenige Personen (Lydias Eltern ausgenommen), die man in dem Buch mögen kann. Und deswegen leidet man mit Dill, Lydia und Travis auch von Anfang an mit.

Die drei Charaktere, die Jeff Zentner für sein Buch geschafft hat, sind alleine eine Wucht in ihrer Vielschichtigkeit: Lydia ist selbstbewusst, sie weiß, was sie will, sie ist exzentrisch und hält zu ihren beiden Freunden, die so anders sind als sie. Travis dagegen hält sein Leben nur aus, weil er sich in Fantasy-Büchern vergräbt und sich in Foren mit virtuellen Freunden über die Bücher austauscht – so entkommt er der Gewalttätigkeit seines Vaters und der Trostlosigkeit seines Lebens.

Dill schließlich sei etwas genauer unter die Lupe genommen, denn hier kann man gut zeigen, wie komplex Jeff Zentner seine Figuren gestaltet: Dills Mutter ist eine einfache, hochgläubige Frau, die ihr Geld ehrlich mit einfachen Jobs verdient und das Beste versucht, um sich und ihren Sohn durchzubringen. Dill weiß vieles an ihr zu schätzen und bemüht sich, nett zu ihr zu sein, aber er spürt auch, wie sehr seine Mutter ihn einengt und begrenzt. Das liegt vor allem auch an ihrer bedingungslosen Liebe zu Dills Vater, dem charismatischen Schlangenprediger – in seiner Gefängnisstrafe sieht Dills Mutter eine Prüfung Gottes. Dill dagegen findet seinen Vater unheimlich, er flößt ihm Angst ein, jeder Besuch im Gefängnis ist eine Qual. Dill befindet sich in einem Double Bind: Er hält es eigentlich zu Hause nicht mehr aus, aber er weiß, dass er sich um seine Mutter kümmern muss. Ein Albtraum.

Die Freundschaft von Dill, Travis und Lydia beruht darauf, dass sie alle drei Außenseiter und einsam unter Gleichaltrigen sind – aber wegen ihrer unterschiedlichen Herkunft und Lebensziele ist ihre Freundschaft auch etwas, um das sie mehrmals ringen müssen. Was Lydia bei Dill rauszukitzeln versucht, ist sein musikalisches Talent – keine einfache Aufgabe, die sie sich da gestellt hat: Dill schreibt Songs, in denen er zur Gitarre singt. Und Lydia ist Geburtshelferin dabei, dass er bei einem schulischen Talentwettbewerb mitmacht und danach erstmals auch ein wenig an seine Fähigkeiten glaubt. Aber bis Lydia das erreicht hat, gibt es einige Konflikte, und es ist großartig, mit welchem psychologischen Gespür Jeff Zentner diese darstellt. In grandiosen Dialogen kreisen Lydia und Dill hier umeinander.

Überhaupt: Die Spannung, die in der Geschichte steckt, ist sehr gekonnt aufgebaut und rührt von verschiedenen Momenten her. Neben der Freundschaft der drei so unterschiedlichen Hauptcharaktere kommt sie daher, dass die Schulzeit der Freunde zu Ende geht und somit ihre Freundschaft einem Ende zugehen dürfte. Und sie basiert darauf, dass in der Geschichte einiges passiert – darunter auch etwas sehr Tragisches, das man beim Lesen wirklich nicht erwartet und das einen ziemlich schockt. Aber das gibt der Geschichte eine große Tiefe.

Letztendlich ist „Zusammen sind wir Helden“ ein Entwicklungsroman, ein Buch, das zeigt, wie man sich – nicht alleine, sondern mit guten Freunden – aus seinem schwierigen Leben schälen kann. Travis, Dill und Lydia sind Figuren, die sich einem ins Herz brennen, die man ungerne nach gut 350 Seiten loslässt, denn man wüsste gerne, wie ihre Geschichte weitergeht. Aber es ist wie mit einem guten Urlaub: Man sollte sich freuen, dass er schön war, und muss sich damit abfinden, dass er endlich ist. Es hilft nur, möglichst viel davon in seinen Alltag zu retten.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Jeff Zentners „Zusammen sind wir Helden“ ist ein herausragendes Buch, das ich nur jedem ans Herz legen kann. Ich habe mich manchmal anfangs dabei ertappt, dass ich diesen religiösen Fanatismus in Dills Familie übertrieben fand, aber diese etwas eigentlich teuflische Religiosität, die sich als wahre Religion versteht, passt als Repräsentation der menschlich-dämonischen Seite ins Buch und hat mich später nicht mehr gestört. Doch ansonsten gab es absolut nichts, über das ich gestolpert bin und das mich gestört hat. „Zusammen sind wir Helden“ ist ein wahrhaftiges, ein ernstes Buch, das mich beeindruckt hat und nach wie vor nicht loslässt.

Was mir auch gefällt: Jeff Zentner hat ein Buch geschrieben, das Mädchen wie Jungen gleichermaßen lesen können – etwas, das für viele Bücher leider nicht gilt. Das große Plus in Jeff Zentners Roman sind seine Figuren, die sich vielleicht nicht immer heldenhaft benehmen, aber sich wie Helden durch ihr schwieriges Leben kämpfen. Von daher passt der deutsche Titel besser als der amerikanische zu dem Buch.

Das neue Lesejahr fängt jedenfalls gut an … Hoffen wir, dass es weitere solche positiven Überraschungen für uns bereit hält. „Zusammen sind wir Helden“ ist jedenfalls ganz ganz großes Kino. Ein Buch zum Wiederlesen.

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(Ulf Cronenberg, 06.01.2018)


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Kommentare (8)

  1. Britta Kiersch

    Lieber Ulf, ausnahmsweise bin ich mal nicht mit Dir einer Meinung, denn mich hat ziemlich viel in dem Buch gestört.
    So ist mir dieses schon fast fanatische Benehmen von Dills Mutter extrem auf den Keks gegangen. Kann es eine Mutter geben, die unter den gegebenen Umständen lieber dem Sohn die Schuld an der Inhaftierung ihres schon fast geisteskranken Mannes mit pädophiler Neigung gibt, ohne ein offenes Gespräch mit dem Sohn zu führen? Wie schlecht kennt sie ihren eigenen Mann? Die es außerdem nicht für nötig erachtet mit dem Jungen ausführlich über seine Zukunft zu sprechen, die nicht einsieht, dass es in der Tat auch für sie selbst sinnvoll sein könnte, wenn er studiert, um ihr dann noch besser beim Abzahlen ihrer Schulden zu helfen – was er ihr ja in Aussicht stellt.
    Der Vater von Lydia hat mir auch nicht wirklich gefallen, denn der wird einfach zu lieb, zu gut, zu verständnisvoll dargestellt. Natürlich gibt er Dill einen Job, als er in dem Laden aufhört und natürlich ist der Junge dann auch krankenversichert, logisch, dass er ihn zu seinem Vater ins Gefängnis fährt – man hat ja auch grenzenlos Zeit. Das geht mir auch alles zu weit.
    Nee, Deine überbordende Begeisterung kann ich wirklich nicht teilen. Mir erscheint das Buch in vielen Bereichen zu unrealistisch und dann auch manchmal zu theatralisch.
    Liebe Grüße, Britta

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Liebe Britta,
      ich freue mich ja immer auch, wenn mir jemand widerspricht und das begründet. Dass dir das fanatische Benehmen (und das ist es) auf den Keks geht, kann ich verstehen, das ging es mir auch. Aber ich glaube, dass es solche religiösen Fanatisten gibt – und da wird alles eben umgedeutet, und Ausbrechen, wie Dill es eigentlich will, ist tiefste Sünde. Das mit dem Schlangenprediger ist da schon etwas kritischer und sehr übertrieben … Lydias Vater ist wirklich einen Tick zu heil. Aber das Wesentliche war für mich die Freundschaft zwischen Travis, Lydia und Dill, und die ist einfach gut inszeniert, und wir beide wissen, dass da absolut keine heile Welt ist und etwas Tragisches passiert. Das fand ich jedenfalls stimmig.
      Liebe Grüße, Ulf

      Antworten
      1. Britta Kiersch

        Hallo Ulf,
        es gibt solche religiösen Fanatiker, das stelle ich auch nicht in Frage. Mich hat nicht überzeugt, wie der Autor die Auseinandersetzung zwischen Dill und der Mutter darstellt. Er will zwar (was die Ausbildung betrifft) einen anderen Weg beschreiten, als denjenigen, den die Mutter sich für ihn vorstellt, aber er will sich ja nicht vom Glauben abwenden und er wird durchaus als gläubig beschrieben. Darüber spricht er allerdings gar nicht mit ihr und das fehlt einfach im Buch. Dabei ist das doch neben dem Freundschaftsthema für ihn von großer Bedeutung.
        Liebe Grüße, Britta

        Antworten
        1. Ulf

          Liebe Britta,
          ich sehe das etwas anders, weil es komplexer ist. Dill hat nicht den tiefen Glauben der Mutter, er wendet sich vom Vater ab, die Mutter will das verhindern und nicht zulassen. Sie spürt doch, dass Dill sich durch ein Studium emanzipieren würde, und genau das will die Mutter nicht. Von daher finde ich die (fehlende) Kommunikation zwischen Mutter und Sohn durchaus glaubwürdig (mit Fundamentalisten kann man schlecht reden, denn sie sehen in anderem immer das Böse), und den Zwiespalt, in dem Dill so lange festsitzt, ebenfalls.
          Viele Grüße, Ulf

          Antworten
  2. Manfred Stenz

    Dass das Buch diese Kontroverse (siehe Kommentare zwischen Ulf und Britta) auslösen würde, erstaunt weiter nicht. Aus meiner Sicht sind die Figuren nicht überzeichnet (höchstens klar umrandet – wäre das Buch ein Bild, dann sicher kein Aquarell.)
    Der Roman ist ein Sozialdrama. Obere Mittelschicht trifft auf Unterschicht. Und diese Unterschicht ist radikalisiert. Für einmal nicht im muslimischen Kontext, sondern im christlichen. Wir Westeuropäer haben ja immer das Gefühl, das Christentum habe sich zu einer liberalen Religion entwickelt. Leider geht Liberalismus häufig einher mit annehmbaren Lebensumständen. Und das zeigt dieses Buch auf brillante Art und Weise. Zudem erscheint mir das Buch wie aus dem echten Leben geschnitzt. Man weiss beim Umblättern der Seiten nie, was gleich passieren wird. Und wie im richtigen Leben, ist man froh darum, es nicht zu wissen. Der Autor nimmt den Leser bei der Hand und führt ihn durch all das Schwere, Leichte, Hoffnungsvolle und Trostlose.
    Aus meiner Sicht ein absolut gelungener Roman, der auch gar nicht zwingend ein Jugendroman ist. Eine Adoleszenz Geschichte, bei der die Erwachsenen zwar im Hintergrund agieren, sich die Auswirkungen ihrer Erziehung aber in den Köpfen ihrer Kinder festgekrallt hat und ihr Handeln beeinflusst.
    Toll gemacht, intensiv, fesselnd.

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    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Freut mich, dass ich da nicht allein bin mit meiner Meinung. Vielleicht ist „Zusammen sind wir Helden“ eher ein Buch für Jungen und Männer?

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      1. Beate Widmann

        Ich bin ganz und gar begeistert von „Zusammen sind wir Helden“ und weiß auch genau warum. Dieses „unbedingt wegwollen“ aber nicht genau wissen wie, weil man von seinen Eltern nicht mitbekommt, dass es wichtig im Leben ist, etwas zu verfolgen, wofür man wirklich brennt, sondern eher, die Regeln der Kleinstadt zu befolgen und dort zu bleiben, wo man aufgewachsen ist, nicht zuletzt, um den Eltern das zurückgeben zu können, was sie investiert haben … all das ist etwas, was ich sehr gut kenne. Ganz so heftig wie bei Dill und Travis, war es zwar nicht, aber ich weiß sehr gut, wie engstirnig, hartherzig und egoistisch und bigott die Bewohner einer Kleinstadt im ländlichen Raum sein können. Klar ist Lydias Vater ein wirklich Guter und am Anfang der Geschichte gingen mir Lydia und ihre Eltern tatsächlich auch fast ein wenig auf die Nerven, aber zugegeben, eher aus Neid, als aus edleren Beweggründen … Jeff Zentner beschreibt einfach unheimlich gut, was Freundschaft ist und lässt den drei Jugendlichen viel Raum, um sich in der Geschichte weiterzuentwickeln und sich freizuschwimmen, und der große Wert ECHTER Freundschaften kann gar nicht oft genug in Jugendbüchern beschrieben und erzählt werden. Ich glaube schon, dass das Buch für Jungs und Mädchen gleichermaßen gut geeignet ist, und werde als Buchhändlerin alles dafür tun, damit es auch Erwachsene, die irgendetwas mit Jugendlichen zu tun haben, lesen und weitergeben können.
        Beate

        Antworten
        1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

          Danke für die Einschätzung – ist doch immer gut, wenn man mehrere Meinungen zu einem Buch mitbekommen und sich so orientieren kann.

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