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Buchbesprechung: Andreas Steinhöfel „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“

Cover: Steinhöfel „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“Lesealter 10+(Carlsen-Verlag 2017, 264 Seiten)

Ich hätte früher mit dem Buch anfangen sollen, denn Band 4 von „Rico und Oskar“, an den niemand mehr geglaubt hat, ist eine Weihnachtsgeschichte … Aber gut, ein paar Tage sind es noch bis zum Heiligabend, und „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“ kann auch noch als Nachweihnachtslektüre durchgehen. Übrigens hatte ich etwas zwiespältige Gefühle, als ich mitbekommen habe, dass bald ein neues Rico- und Oskar-Buch erscheinen wird. Es ist immer so eine Sache, wenn eine Reihe, von der man begeistert ist, fortgeführt wird. Manche Reihen laufen sich tot, weil sie überstrapaziert werden, andere enttäuschen einen, weil der Reiz vorheriger Bände verloren gegangen ist. Aber in dem Fall …

Inhalt:

Der Weihnachtstag ist da, und es schneit ohne Ende. Doch bevor es auf den Abend zugeht, machen sich Rico und Oskar noch einmal auf den Weg zum Karstadt. Dort will Rico ein Geschenk für das Baby kaufen, das seine Mutter bald bekommen wird, und Oskar hat auch noch etwas vor, was er aber vor Rico geheimhalten will. So kaufen sie erst mal getrennt im Karstadt ein, lassen sich an der Wursttheke, an der Frau Dahling arbeitet, noch mit was zu essen versorgen und machen sich dann mit ihren Geschenktüten auf den Heimweg.

Der vorhergesagte Orkan wird schon auf dem Rückweg immer schlimmer, doch Rico und Oskar kommen heil wieder in der Dieffe 93 (wo Oskar ja inzwischen auch wohnt) an. Doch irgendwie ist an diesem Tag der Wurm drin, und das liegt nicht nur an dem Sturm. Rico merkt, dass Oskar sich anders als sonst verhält, und die beiden streiten sich. Rico ist verwirrt und versteht nicht, was los ist. Irgendwas scheint Oskar vor ihm zu verschweigen …

Doch auch sonst geht an dem Tag einiges schief: Irina, die Freundin von Ricos Mutter, taucht völlig aufgelöst auf – einmal mehr hat sie sich mit ihrem Freund gestritten und ersucht in der Dieffe um Exil. Aber noch andere unerwartete Gäste stehen vor der Tür: Checker und Soo Min, Freunde, die Rico im Sommer kennengelernt hat, kommen vorbei, weil Checker sich für einen Vorfall im Sommer bei Oskar entschuldigen will. Doch als sie wieder aufbrechen wollen, stürmt es so sehr, dass sie nicht losgehen können. Seltsamerweise ist ihnen das gar nicht so unrecht … Aber damit nicht genug, denn dann setzen bei Ricos Mutter auch noch die Wehen ein, ganz zu schweigen davon, dass auch Oskar noch etwas zu beichten hat.

Bewertung:

Ja, was soll man sagen: Man fühlt sich bei „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“ von der erste Seite an heimisch – und das, obwohl Band 1 schon fast 10 Jahre alt ist und Band 3 vor 6 Jahren erschienen ist. Aber Rico und Oskar, der Tief- und der Hochbegabte, haben sich ganz vielen Lesern so eingeprägt wie die Geschichten von Erich Kästner: Man kennt sie, man erliegt ihrem Charme, man kommt nicht drum herum, sie zu lieben – und man vergisst ihre Figuren einfach nicht …

Die Zutaten sind auch vierten Band die gleichen. Rico erzählt die Geschichte eines Weihnachtstags gewohnt witzig, leicht schnoddrig, liebevoll und kindlich-naiv; Begriffe wie „Hypnose“ oder „Romantik“ werden in Ricos Lexikoneinträgen kindergerecht und so, dass man schmunzeln muss, erläutert; und zwischen der manchmal leicht autistisch anmutenden Besserwisserei und dem überbordenden Gerechtigkeitssinn eines Hochbegabten und der Begriffsstutzigkeit eines ADHS-Kinds, das ins Förderzentrum geht, spannt sich eine Freundschaft auf, die man grandios finden muss.

Während unsere Zeit seit Band 3 sechs Jahre vorgerückt ist, hat es Ricos Leben gerade mal vom Sommer bis zum Winter geschafft – aber trotzdem ist einiges passiert: Oskar wohnt inzwischen bei Rico im Haus, Ricos Mutter und sein neuer Stiefvater Bühl erwarten ein Kind, Frau Dahling ist seit Monaten glücklich verliebt und hat die grauen Monate hinter sich gelassen. Im Leben der Figuren steckt viel Dynamik – gut so. Neu ist auch, dass ins Buch drei Rückblicke auf den vergangenen Sommer eingebettet sind: Als Oskar im Urlaub war, hat Rico neue Freunde gefunden; und was da im Sommer passiert ist, hat Auswirkungen auf den Weihnachtstag.

Dass diesmal keine richtige Detektivgeschichte erzählt wird, hat mich nicht gestört – im Gegenteil: „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“ bleibt konsequenter bei den Figuren und ist so liebevoll erzählt, dass es keine Detektivelemente braucht. Nur ein kleines Geheimnis steckt in dem Kinderroman: Oskar schmuggelt eine obdachlose Frau ins Haus, die niemand kennt und die etwas zu verbergen hat. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte – von dem ich mir am Ende allerdings gewünscht hätte zu erfahren, wer die obdachlose Frau denn nun eigentlich ist. Da wird man hängen gelassen.

Was mir an „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“ wieder besonders gefallen hat, waren die Stellen, an denen Rico und Oskar aus ihrer Sicht über Erwachsenenthemen sprechen – der eine überrational und altklug, der andere naiv. Da geht es zum Beispiel über die Veränderung in Ricos Leben, weil seine Mutter ein Kind erwartet. Rico schildert das so:

„Na ja, Mama hat eigentlich fast nur noch den Laden und das Baby im Kopf. Wahrscheinlich bringt sie es dort zur Welt – also, nicht im Kopf, sondern im Laden –, dann kann sie es zwischen ein paar warme Stoffballen legen, ihm einen Schnuller verpassen und gleich weiterarbeiten.“ (S. 93)

Oskar kapiert, was bei Rico los ist, und versucht seinen Freund mit einer Erklärung zu stützen:

„Also, ich sags mal so […]. Du denkst, erst hätte der Bühl dir deine Mama weggeschnappt. Und dass sie jetzt ein Baby von ihm kriegt, das dir noch mehr von deiner Mama wegschnappen wird. […] Liebe ist, glaube ich, etwas Unerschöpfliches. Dir wird nichts weggenommen – wenn jemand Neues dazukommt, wächst für den einfach neue Liebe dazu. Deshalb muss man auch keine Vorräte davon anliegen, es ist immer genug für alle da.“ (S. 94)

Das ist, was ich an den Rico- und Oskar-Büchern so mag: dieses kindliche Philosophieren über das Leben, das oft lebenspraktischer ist, als wenn Erwachsene über das Gleiche reden würden. Wie Andreas Steinhöfel hier mit zwinkernden Augen seine Kinderfiguren erzählen lässt, wie er sie ernst nimmt und ihnen Ernsthaftigkeit gibt, das ist einfach einzigartig.

Das alles funktioniert diesmal besonders gut, weil eben nicht gleichzeitig eine Detektivgeschichte erzählt werden muss; und es funktioniert auch, weil „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“ dramaturgisch geschickt aufgebaut ist. Die drei Rückblicke auf den Sommer erweitern das Buch, und dass am Heiligabend so einiges passiert, was nicht geplant war, macht das Buch spannend. Und mir hat auch gefallen, wie im Buch mit der Weihnachtsgeschichte gespielt und sie variiert wird.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Man muss „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“ einfach lieben; und war ich vorher skeptisch, ob ein neuer Band meine Erwartungen erfüllen wird, so muss ich sagen, dass er für mich sogar der beste der vier Rico- und Oskar-Bände ist. Mir gefällt daran besonders die Dynamik zwischen den Figuren im Dieffe-93-Kosmos, die diesmal noch mehr als sonst im Zentrum der Geschichte steht. Das mag vielleicht nicht jedem so gehen, aber für mich braucht es den Spannungsanreiz einer Detektivgeschichte nicht …

Wahrscheinlich muss man niemanden davon überzeugen, dass die Rico- und Oskar-Bücher Kinderbuchklassiker sind (übrigens meiner Meinung nach gerade auch, weil sie auf der Gender-Ebene nicht wie viele andere Kinderbücher Fragwürdiges enthalten). Wer jedoch noch davon überzeugt werden muss, für den/die sei hier statt meiner Worte noch ein Lexikoneintrag von Rico wiedergegeben:

„Genom: Erbgut. Aber nicht, was man kriegt, wenn einer stirbt, sondern was man hat, wenn man auf die Welt kommt, so was wie Charakter und Aussehen und Begabung. Damit Eltern sich nicht streiten müssen, erhält man alle guten Anteile von der Mutter und alle guten Anteile vom Vater. Die schlechten Anteile kommen von Kartoffelchips, Computerspielen, Fernsehen und den Großeltern.“ (S. 121)

Muss man mehr sagen? Wer Kinderbücher mag und „Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“ noch nicht hat, dem kann man nur raten: Ab in den Buchladen und an den hoffentlich verschneiten Weihnachtstagen lesen! (Band 1 bis 3 sollte man allerdings schon kennen …)

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(Ulf Cronenberg, 17.12.2017)

Lektüretipp für Lehrer!

„Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch“ ist ein tolles Buch zum Vorlesen in der Schule (dafür braucht es dann aber etwas Zeit) oder als Lektüre für 5. Klassen in der Vorweihnachtszeit. Aus der Buchbesprechung kann man ja auch schon ablesen, warum: Das Buch ist witzig, es ist kindgerecht und es bietet Anlass für viele wichtige Gesprächsthemen. Und kreative Schreibaufträge lassen sich sicher auch ohne Probleme daraus ableiten.


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Kommentare (2)

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