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Buchbesprechung: Clémentine Beauvais „Die Königinnen der Würstchen“

Cover: Clémentine Beauvais "Die Königinnen der Würstchen"Lesealter 12+(Carlsen-Verlag 2017, 287 Seiten)

Darauf gekommen, dieses Buch zu lesen, wäre ich von alleine ganz bestimmt nicht. Ein seltsames und etwas kitschiges Cover, ein ungewöhnlicher, aber eher nichtssagender Titel – wäre das Buch nicht von anderen entdeckt worden, hätte ich den Jugendroman aus Frankreich übersehen. Aber weil eine befreundete Buchhändlerin den Jugendroman witzig fand, weil er im November 2017 mit dem Luchs von Radio Bremen und Die Zeit aufgezeichnet wurde, habe ich mir das Buch angeschaut und bin größtenteils positiv überrascht worden.

Inhalt:

Jedes Jahr hält Malo, einer der angesagtesten Jungen an der Schule, auf Facebook einen Wettbewerb ab, bei dem der Titel Würste des Jahres an die hässlichsten Mädchen der Schule verliehen wird. Die letzten Jahre hat Mireille, die ziemlich dick ist, den ersten Preis bekommen, und sie ist fast enttäuscht, als sie in diesem Jahr nur die Bronzemedaille holt. Vor ihr liegen Astrid und Hakima.

Die drei Mädchen kennen sich bisher nicht – aber das ändert sich. Erst kommt Astrid angesichts der Wahl am Boden zerstört zu Mireille, gemeinsam suchen sie dann Hakima auf; und die Drei verstehen sich auf Anhieb. Während Mireille sich mit den Mobbingattacken wegen ihrer Figur inzwischen arrangiert und abgefunden hat, tun sich Astrid und Hakima deutlich schwerer damit.

Aus unterschiedlichen Gründen kommen sie auf eine schräge Idee: Sie wollen mit Fahrrädern nach Paris fahren und dabei von Mireilles Großeltern hergestellte leckere Würstchen in einem Anhängerwagen, den sie ziehen wollen, verkaufen. Die Würste des Jahren verkaufen Würstchen! In Paris haben sie ein Ziel: die große Party der Präsidentin im Élysée-Palast am Nationalfeiertag. Denn dort ist Mireilles Vater, Mann der Präsidentin, der nichts von seiner Tochter, die aus einer Affäre stammt, weiß, anwesend; und Mireille will ihm endlich die Meinung sagen.

Doch bis sie losfahren können, sind noch einige Hindernisse zu überwinden – darunter, dass die Eltern Hakimas ihrer erst 12-jährigen Tochter nicht erlauben wollen, mitzufahren. Doch ihr großer Bruder Kader, ein im Krieg verwundeter Rollstuhlfahrer, schließt sich den Mädchen an und verspricht auf sie aufzupassen. Und so geht es dann doch los … – es dauert nicht lange, da haben sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erlangt und Journalisten folgen den Mädchen auf ihrer Tour.

Bewertung:

Eine absurde Geschichte ist es schon, die Clémentine Beauvais in „Die Königinnen der Würstchen“ (Übersetzung: Annette von der Weppen; französischer Orignaltitel: „Les Pétites reines“) erzählt. Da wenden drei dicke Mädchen, die zahlreichen Mobbingattacken ausgesetzt sind, alles ins Positive und verlassen ihre Opferrolle. Ja, das hat etwas: Anstatt sich dick und wertlos zu fühlen, nehmen Mireille, Astrid und Hakima ihr Schicksal in die Hand und machen die Mobbingattacken von Malo, der früher mit Mireille befreundet war, wirkungslos. Im Gegenteil: Am Ende steht Malo schlecht da …

Was einem schon auf der ersten Seite zu gefallen beginnt, ist der satirische Ton, den Clémentine Beauvais ihrer Ich-Erzählerin Mireille in den Mund legt. Bissig-ironisch könnte man ihn nennen, und zugleich trotzdem liebevoll-charmant. Mireille ist jedenfalls ganz und gar nicht auf den Mund gefallen. Sie weiß ihrer Mutter immer etwas entgegenzusetzen, jedes Mal hat sie das letzte Wort, sie lässt sich nichts gefallen und zieht alles ins Lächerliche – das ist ihre Abwehrstrategie für die schwierigen Dinge des Lebens. Man wird angesichts der Story und der Erzählweise des Buchs immer wieder an Schelmenromane erinnert, auch wenn diese Kategorisierung nicht in allem passt.

Mireilles Spott macht vor kaum etwas halt: Als Erzählerin verwendet sie z. B. nicht die „echten“ Namen vieler Personen, sondern vergibt an sie Pseudonyme. Die Ehegattin ihres Vaters und Präsidentin Frankreichs heißt Barack Obamette, der General, der Kaders militärischen Einsatz, bei dem er beide Beine verloren hat, zu verantworten hat, heißt Martin Oeder oder M. Oerder. Der sprachliche Witz nimmt einen von der ersten Seite an für dieses Buch ein und trägt einen durch einen Großteil des Romans.

Die Geschichte, die in Bourg-en-Bresse (nördlich von Lyon) beginnt und in Paris nach gut 400 km Radtour endet, wird anfangs sehr leichtfüßig erzählt. Im Verlauf der fast 300 Seiten ermüdet die Geschichte jedoch ein klein bisschen, sie verliert ihre Leichtfüßigkeit, und das große Finale in Paris, als Mireille ihrem Vater und Kader seinem General bei den Festlichkeiten des Nationalfeiertags gegenübertreten will, ist nicht der Höhepunkt des Buchs. Das ist eindeutig eine verpasste Chance in dem Buch. Der Spannungsbogen ist für mich die Schwäche der Romans, der nach dem fulminanten ersten Drittel immer wieder mal ein wenig dahinplätschert.

Dennoch: Wie es Clémentine Beauvais gelingt, Mireille, Astrid und Hakima als lebenslustige und zunehmend selbstbewusste Figuren aufzubauen, ohne dass man mit ihnen Mitleid haben muss, hat mir gefallen. Die Drei lassen die Demütigungen, die sie erfahren, nicht nur an sich abprallen, sondern sie nehmen ihr Leben in die Hand. Und als Leser steht man letztendlich von der ersten Zeile an auf der Seite der Mädchen.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Clémentine Beauvais erzählt eine unkonventionelle Geschichte – das gilt für den schnoddrigen Ton der Ich-Erzählerin Mireille wie für das ungewöhnlich behandelte Thema Mobbing. „Die Königinnen der Würstchen“ ist ein Roadmovie durch Frankreich auf dem Fahrrad, der Roman ist ein Schelmenstück, das einen frechen Blick auf die Unbarmherzigkeiten des Lebens wirft, er ist ein Entwicklungsroman, weil die Hauptfiguren am Ende bereichert und gewachsen sind.

Dennoch: Der großen Begeisterung vieler anderer Rezensenten kann ich mich nicht ganz anschließen. Mich jedenfalls hat gestört, dass der Roman das Slapstickhafte im Laufe des Buchs etwas verliert und die Geschichte dadurch abflacht. Ich mag Bücher, die wie ein Paukenschlag beginnen, aber wenn die Spannungskurve dann immer weiter absackt, so hat ein Roman für mich eine falsche Dramaturgie, weil die Lust aufs Weiterlesen kleiner statt größer wird. Was dem Buch fehlt, ist ein Paukenschlag am Ende, doch der bleibt leider aus. Das ist vielleicht zu pointiert formuliert, und das soll nicht heißen, dass „Die Königinnen der Würstchen“ nicht ein originelles Buch ist, das das Herz auf dem richtigen Fleck hat – nein, Clémentine Beauvais‘ Jugendroman ist geistreich und frisch, die Figuren schleichen sich einem ins Herz; aber ich habe mit zunehmender Lesedauer eben den Reiz und Kitzel des ersten Drittels etwas vermisst – und das war schade.

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(Ulf Cronenberg, 10.12.2017)

Kommentar (1)

  1. Benedikt Kunze

    Nach so einer Bewertung klingt das ja ganz interessant…

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