(Hanser-Verlag 2017, 233 Seiten)
Des Covers wegen hätte ich dieses Buch wohl nicht gelesen – nein, ich habe es gelesen, weil ich die beiden ersten Bücher von John Corey Whaley richtig gut fand. Sowohl „Hier könnte das Ende der Welt sein“ als auch „Das zweite Leben des Travis Coates“ waren besondere Bücher mit leicht abstrusen Geschichten – ganz und gar nicht Mainstream. Von daher war klar, dass ich mir auch vom dritten ins Deutsche übersetzte Buch des in Louisiana (USA) lebenden Schriftstellers ein Bild machen wollte.
Inhalt:
Seit einem Vorfall in der Schule vor drei Jahren, bei dem Salomon schließlich in einem Brunnen vor der Schule untergetaucht war, geht der Junge nicht mehr vor die Tür und lebt nur noch zu Hause. Er leidet unter einer starken Agoraphobie und traut sich deswegen nicht mehr unter Leute und auf öffentliche Plätze. Unglücklich ist Salomon trotzdem nicht – er hat sich in seinem Leben zu Hause gut eingerichtet, und seine Eltern unterstützen ihn, so weit es geht.
Der Vorfall mit dem Brunnen hatte damals großen Wirbel in der Schule verursacht, war jedoch nach ein paar Wochen wieder von allen vergessen worden. Nur Lisa hat sich immer wieder gefragt, wie es mit Salomon wohl weitergegangen ist. Das kommt nicht von ungefähr: Lisa will Psychologie studieren, und zwar an einer der angesehensten Universitäten in den USA. Doch um es dorthin zu schaffen, muss sie eine Arbeit einreichen, in der es um eine persönliche Erfahrung mit psychischen Störungen geht. Aus diesem Grund hat sie sich vorgenommen, mit Salomon Kontakt aufzunehmen. Sie will wissen, wie es ihm geht, aber sie hat Größeres vor Augen: Sie will es schaffen, dass Salomon wieder das Haus verlässt. Vom Bericht dieser Heilungsgeschichte erhofft sie sich, das Stipendium an der Universität zu bekommen.
Tatsächlich gelingt es Lisa auf raffinierte Art und Weise, mit Salomon in Kontakt zu treten – ja, noch mehr: Schon bald besucht sie ihn jeden Tag. Lisa ist fasziniert, wie witzig Salomon ist, sie ist gerne bei ihm. Und irgendwann nimmt sie auch Clark, ihren Freund, mit. Auch Clark versteht sich auf Anhieb mit Salomon. Und bald gibt es ein erstes Ziel: Für Salomon soll im Garten ein Swimmingpool gebaut werden – es soll der erste Schritt sein, das Haus zu verlassen und darin zu schwimmen …
Bewertung:
„Hochgradig unlogisches Verhalten“ (Übersetzung: Andreas Jandl; amerikanischer Originaltitel: „Highly illogical behavior“) – das konnte man sich angesichts des Buchtitels schon fast denken – passt sehr gut zu den beiden bisherigen Büchern von John Corey Whaley, denn auch hier wird eine besondere Geschichte erzählt. Ich habe mich schon bei den anderen Büchern gefragt, woher John Corey Whaleys Plots kommen, und auch bei seinem neuen Buch konnte ich nur mal wieder staunen, was für eine leicht schräge und kuriose Geschichte hier erzählt wird: von einem Jungen mit massiver Angststörung, von einem ehrgeizigen Mädchen, das Psychologie studieren will und an Salomon zeigen will, wie toll sie für das Studium geeignet ist.
Erstaunlich ist, mit welcher Sicherheit John Corey Whaley seine Geschichte, die mich von Anfang an fasziniert hat, aufbaut. Das ganze Buch über wechselt alle 7 bis 15 Seiten die Erzählperspektive zwischen Salomon und Lisa – es wird allerdings nicht in der Ich-Form, sondern aus personaler Sicht erzählt. Das schafft eine wohltuende Distanz zu den Figuren, die in ihrem Inneren sicher weniger abgeklärt sind, als sie dem Leser erscheinen. Diese Distanz tut den Figuren, sie tut dem Buch gut, denn man bleibt immer ein bisschen augenzwinkernd außen vor und verliert sich nicht in der Agoraphobie Salomons. Diese wirkt manchmal fast etwas lakonisch dargestellt – aber zugleich trotzdem liebevoll.
Auch wenn die Geschichte recht durchsichtig angelegt scheint – sie hält die ein oder andere Überraschung für den Leser bereit. Dazu zählt, dass das Thema Homosexualität auftaucht (mehr ist mir hier nicht zu entlocken), dazu zählt das Ende, das irgendwie so kommen muss, das jedoch erst nach ein paar Hakenschlägen erreicht wird. Das ist alles gut inszeniert, lediglich nach zwei Dritteln geht der Geschichte mal kurz ein wenig die Luft aus.
Von was das Buch lebt, ist klar: Es sind neben dem Plot seine Figuren – und zwar nicht nur die Hauptfiguren, sondern ebenso die Nebenfiguren. Hervorzuheben wäre hier vor allem Salomons Oma, eine lebensfrohe Frau, die als Immobilienmaklerin erfolgreich ist und nie ein Blatt vor dem Mund nimmt, dabei aber trotzdem liebevoll bleibt. Gute Seelen gibt es auch sonst einige in dem Buch – sei es Clark, seien es Salomons Eltern.
Im Zentrum des Romans steht anfangs das Duo Salomon und Lisa, aus dem sich später mit Clark eine interessante Dreierkonstellation, die zu einigen Irritationen führt, entwickelt. Was zwischen den Dreien passiert, wie sich ihre Beziehungen im Laufe des Buchs entwickeln, das ist psychologisch hochgradig – ja, das Wort ist geklaut – interessant. Es kommt im Laufe des Buchs zu einigen Verletzungen – mehr sei aber auch hier nicht verraten …
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. Auch John Corey Whaleys dritter ins Deutsche übersetzte Jugendroman ist ein gelungenes Buch – wer seine bisherigen Bücher mochte, wird auch hier nicht enttäuscht sein. Dennoch: „Das zweite Leben des Travis Coates“ hat mir noch einen Tick besser gefallen, es ist ein noch raffinierteres Buch, das auch mehr philosophische Fragen aufwirft als „Hochgradig unlogisches Verhalten“. Der neue Roman ist dafür aber ein lesenswertes Buch, das von den Höhen und Tiefen mehrerer Freundschaften erzählt.
Was die Bücher des amerikanischen Autors auszeichnet und von vielen anderen Büchern abhebt, ist ihr lakonisch-distanzierter Stil, der jedoch immer einfühlsam mit den Figuren umgeht. Darüber hinaus stehen Hauptfiguren in seltsamen Situationen im Zentrum – das fünf Jahre eingefrorene Gehirn von Travis Coates war natürlich noch skurriler als der seit drei Jahren nicht mehr aus dem Haus gehende Salomon. Aber man liest „Hochgradig unlogisches Verhalten“ gerne, man schließt die Figuren ins Herz – gerade auch Salomon, den man schrullig, aber dennoch sympathisch findet. Allein schon deswegen lohnt es sich, den Roman zu lesen.
Ich schätze mal, ich werde, was John Corey Whaley angeht, zum Wiederholungstäter und mir auch Roman Nummer 4, so er denn geschrieben und ins Deutsche übersetzt wird, lesen …
(Ulf Cronenberg, 19.09.2017)
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