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Buchbesprechung: Yomoto Kazumi „Am Ende des Sommers“

Cover: Yumoto Kazumi „Am Ende des Sommers"Lesealter 12+(Baobab Books 2017, 184 Seiten)

Taufrisch ist Yumoto Kazumis Kinder-/Jugendbuch „Am Ende des Sommers“ nicht mehr so ganz. Das Buch stammt aus dem Jahr 1992 und wurde 1995 unter dem Titel „Gespensterschatten“ schon einmal in der Reihe Baobab bei Nagel und Kimche aufgelegt. Ins Deutsche übersetzte Kinder- und Jugendromane aus Japan gibt es jedoch sehr wenige, von daher war ich neugierig auf das Buch. Dass ich von Yomoto Kazumi bereits vor vielen Jahren mal ein Buch gelesen und besprochen habe, war mir nicht von Anfang an klar: „Eine Schublade voller Briefe“ hat mir damals sehr gut gefallen.

Inhalt:

Der Sommer naht, und für Kawabe, Yamashita und Kiyama, die in die 6. Klasse gehen, endet bald ein Lebensabschnitt. Nach der 6. Jahrgangsstufe werden sie auf eine weiterführende Schule wechseln, und um auf eine der angesehenen Privatschulen zu kommen, besuchen die Drei die Nachmittagsschule, in der sie auf die Aufnahmeprüfungen vorbereitet werden. Kawabe hat gute Aussichten, die Prüfungen gut zu bestehen, bei dem etwas dickeren Yamashita, der wie sein Vater Fischhändler werden will, und dem zappeligen Kiyama stehen die Chancen schlechter.

Wegen der Beerdigung von Yamashitas Großmutter, die er nicht gut kannte, sprechen die drei Jungen über den Tod. Sie sind von dem Thema fasziniert, zugleich ist ihnen das Thema jedoch auch unheimlich. Sie kommen darauf, dass in ihrem Viertel ein alter Mann wohnt, der ihrer Meinung nach nur noch ganz kurz zu leben hat; und sie beschließen, den alten Mann zu beobachten, weil sie sich davon erhoffen, mitzuerleben, wie ein Mensch stirbt. Immer, wenn die drei Freunde Zeit haben, postieren sie sich vor dem Haus des alten Mannes, sie blieben dabei aber nur kurze Zeit unentdeckt.

Anfangs ignoriert der alte Mann sie, dann jedoch spannt er sie einfach für seine Haus- und Gartenarbeit ein. Kawabe, Yamashita und Kiyama bringen Müll weg, jäten Unkraut und machen anderes für ihn – nach und nach kommen sie mit dem alten Mann ins Gespräch und freunden sich mit ihm an. Der alte Mann erzählt ihnen irgendwann auch von seinem nicht immer nur glücklichen Leben: von seiner Frau, die ihn verlassen hat, und vom Krieg, in dem er Schlimmes erlebt und getan hat.

Bewertung:

„Am Ende des Sommers“ (Übersetzung: Yoko Koyama und Peter Siebert; japanischer Originaltitel: „Natsu no niwa“) ist ein gänzlich leiser Titel – das merkt man schon auf den ersten Seiten, und so bleibt es auch. Es passiert in dem Buch zwar nach und nach einiges, aber alles wirkt recht andächtig – sowohl in Bezug auf die Handlungsführung als auch in Bezug auf die Erzählweise.

Was Yomoto Kazumi erzählt, ist eine Geschichte über den Tod, eine Geschichte über das Ende der Kindheit und den Beginn des Erwachsenwerdens, eine Geschichte über die Freundschaft zwischen drei Jungen, aber auch zwischen ihnen und einem alten Mann, der nicht mehr lange zu leben hat. Kawabe, Yamashita und Kiyama leben noch in großer kindlicher Naivität: Sie denken, dass der alte Mann in den nächsten Tagen tot umfallen wird, und das wollen sie unbedingt mitbekommen, weswegen sie vor dem Haus des Mannes Posten beziehen.

Ihre anfänglich kindlichen Reflexionen über den Tod und manch anderes werden, als sie sich mit dem alten Mann anfreunden, erweitert. In das Buch kommt so eine neue Perspektive. Die Drei erfahren, wie ein alter Mensch das Leben sieht, sie bekommen mit, dass nicht alles immer gut läuft: Der Mann lebt zurückgezogen und einsam, weil sein Frau ihn vor langer Zeit verlassen und eine neue Familie gegründet hat – und weil Kawabe, Yamashita und Kiyama meinen, dass der alte Mann seine Frau noch mal sehen will, machen sie sich kindlich naiv auf die Suche nach ihr.

Dass auch das Leben der drei Jungen nicht rosig ist, erfährt man eher nebenbei: Kawabes Mutter ist Alkoholikerin, sein Vater arbeitet extrem viel; Yamashita mag geschickt mit Messern Fische ausnehmen, aber in der Schule tut er sich schwer und wird, weil er dick ist, gehänselt. Und Kiyamas Mutter hat einen neuen Mann kennengelernt, mit dem sie zusammenziehen will. Das sind zwar noch nicht so schlimme Sachen wie im Leben des alten Manns, aber schon hier zeichnet sich für die drei Jungen ab, dass ihr Leben nicht nur heil verlaufen wird.

Eine besondere Begebenheit im Buch ist für mich, als der alte Mann vom Krieg erzählt: dass er dort Menschen getötet hat – was und wie genau, sei an dieser Stelle nicht erzählt. Was die drei Jungen hier erfahren, ist eigentlich etwas, das sie überfordert – aber es zeigt auch, was für eine wunderbare Freundschaft hier zwischen einem alten, oft griesgrämigen Eigenbrötler und drei Kindern entstanden ist. Für den alten Mann sind die drei Jungen ein Lichtblick am Ende des Lebens, ja man könnte sagen, sie bringen Leichtigkeit und Erleichterung in sein Leben – weil er mit ihnen manches noch mal Revue passieren lässt. Und für Kawabe, Yamashita und Kiyama? Sie lernen etwas über das Leben der Erwachsenen, das in großen Schritten auf sie zukommt …

Fazit:

4 von 5 Punkten. Dem Reiz des fast meditativen Erzählens in „Am Ende des Sommers“ wird sicher nicht jeder erliegen – das Buch ist mit der Ruhe, die es ausstrahlt, schon sehr speziell und eben (man nehme mir das Wort nicht übel) etwas altmodisch. Wer Spannung und eine sich überschlagende Handlung sucht, der wird Yomoto Kazumis Kinderbuch ganz bestimmt nicht mögen. „Am Ende des Sommers“ ist zwar grundsätzlich auch ein Kinderbuch – aber sicher nur für wenige Leser ab 12 Jahren. Meine Hypothese ist, dass das Buch öfter bei Erwachsenen als bei Kindern Gefallen finden wird. „Am Ende des Sommers“ ist für mich ein ein Kinderbuch für Erwachsene – auch wenn das paradox klingen mag …

Wer sich an das Buch herantraut, wird jedoch auch belohnt: mit einem Blick auf die Kinderwelt einer anderen Kultur – wobei einem Kawabe, Yamashita und Kiyama gar nicht so fremd vorkommen; und mit einer philosophisch angehauchten Geschichte, die viele Fragen stellt, ohne sie zu beantworten. Ein besonderes Buch für besondere Leser, eine zeitlose Geschichte, die man noch einmal veröffentlichen kann, die aber sicher nicht so ganz leicht ihre Stellung auf dem Kinderbuchmarkt behaupten wird.

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(Ulf Cronenberg, 25.08.2017)

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