(dtv 2017, 287 Seiten)
Meine Angewohnheit, vorab keine Klappentexte und auch oft keine Autoreninfos zu lesen, führt mitunter zu seltsamen Blüten. So habe ich knapp 50 Seiten gebraucht – denn da wird das das erste Mal explizit erwähnt –, um zu kapieren, dass die Personen, die in Jason Reynolds Jugendroman „Love oder Meine schönsten Beerdigungen“ vorkommen, alle Farbige sind. Leider waren die Bilder der Figuren in meinem Kopf eben die von weißen Jugendlichen und Erwachsenen, und es war ganz und gar nicht einfach, mir neue Bilder von ihnen zu machen …
Inhalt:
Matt hat vor kurzem seine Mutter verloren – sie hatte Brustkrebs –, und weder er noch sein Vater haben inzwischen wieder Tritt gefasst. Im Gegenteil: Matt beutelt es noch immer, auch wenn er es oft nicht zeigt, und sein Vater hat wieder zu trinken angefangen. Dabei hatte er, seit er Matts Mutter kannte, keinen Alkohol mehr angerührt – davor war er jedoch an der Schwelle zum Alkoholiker.
Weil das Geld bei Matt und seinem Vater knapp ist, sucht Matt, der noch zur Schule geht, einen Nebenjob. Er versucht es bei Huuhn’s, einem Schnellrestaurant, das angeblich gut zahlt. Er füllt zwar das Bewerbungsformular aus, aber es kommt anders. Bei Huuhn’s wird er zum ersten Mal auf ein Mädchen aufmerksam, das dort arbeitet und die blöden Sprüche eines Jungen gekonnt pariert.
Zufällig trifft Matt dort auch Mr Ray, den Bestatter, der auch die Beerdigung seiner Mutter organisiert hat, und dieser bietet ihm einen lukrativen Job in seinem Beerdigungsinstitut an. Doch Matt zögert: Er will nicht Leichen waschen oder anziehen. Mr Ray verspricht ihm jedoch andere Tätigkeiten, und so willigt Matt ein.
Matt ist überraschenderweise fasziniert von Beerdigungen und verfolgt sie immer mit Interesse. Sie geben ihm das Gefühl, nicht allein mit seinem Kummer zu sein … Und eines Tage begegnet er dort dem Mädchen aus dem Schnellrestaurant wieder, weil deren Oma gestorben ist. Love, wie das Mädchen seltsamerweise heißt, ist ziemlich gefasst, und Matt, der von Love fasziniert ist, unterhält sich auf der Beerdigung länger gut mit ihr. Das ist nicht ihr letztes Treffen …
Bewertung:
Leichtigkeit in ein Buch zu bringen, das eigentlich ein schweres Grundthema hat, ist eine besondere Kunst – aber immer wieder gibt es Autoren, denen das richtig gut gelingt. Und so ist das auch bei Jason Reynolds‘ „Love oder Meine schönsten Beerdigungen“ (Übersetzung: Klaus Fritz; englischer Originaltitel: „The Boy in the Black Suit“). Ja, es gibt viele schwere Themen in dem Roman: Da ist natürlich vor allem der Tod von Matts Mutter zu nennen, über den er selbst und sein Vater schwer hinwegkommen – aber später in dem Buch gibt es noch etwas anderes sehr Schweres, und das betrifft Love, die auch einen schlimmen Schicksalsschlag zu verkraften hat – doch darüber hier zu schreiben, hieße, anderen Lesern zu viel Spannung zu nehmen.
Wie Jason Reynolds für Leichtigkeit sorgt, lässt sich ganz gut rekonstruieren: Da wäre einmal der selbstironische Ton, den der Ich-Erzähler Matt anschlägt. Matt nimmt sich ernst und eben doch auch wieder nicht – er kann sich mit einer gewissen Selbstdistanz beobachten und vieles reflektieren. Außerdem wird der Ernst der Geschichte durch einige skurril-witzige Situationen durchbrochen, so dass immer wieder für Heiterkeit gesorgt ist. Über allem steht zudem eine augenzwinkernde Grundhaltung, mit der Jason Reynolds sein Buch geschrieben hat.
Zwei große Themen sind es, die sich durch das Buch ziehen: Wie bewältigt man den Tod eines nahen Angehörigen bzw. einer nahen Angehörigen? Und: Wie traut man sich trotz schwieriger Lebensumstände, eine Liebesbeziehung einzugehen? Dass Matt Gefallen an Beerdigungen findet, dass sie ihm Trost spenden, weil er mitbekommt, wie andere Menschen trauern, wie sie ihre Trauer ausdrücken, wie sie den Tod verarbeiten – das beschreibt Jason Reynolds nicht ohne eine gewisse Komik. Matts Verhalten sieht anfangs voyeuristisch aus, aber letztendlich ist es das nicht. Es ist seine Form der Trauerarbeit, die er durchaus mit Ernst verfolgt und bei der er mit anderen mitfühlt. Zu sehen, wie andere mit dem Tod Angehöriger umgehen, macht Matt Mut und es ist für ihn der Wendepunkt in seiner eigenen Trauerarbeit.
Das zweite große Thema wird recht behutsam eingeführt: Bis die Liebesgeschichte in das Buch kommt, hat man fast schon die Hälfte des Romans hinter sich. Auch hier lebt der Jugendroman von einer besonderen Figur: Love hat nicht nur einen eigenwilligen Namen, sondern sie ist ein Mädchen, das viel mitgemacht hat. Sie ist bei ihrer Großmutter aufgewachsen, diese hat Love nicht nur Lebensfreude, sondern auch ein Lebensziel mitgegeben: dass man sich um andere kümmern sollte. Matt wird durch Love in eine andere Welt gebracht, denn Love nimmt ihn mit in das Obdachlosenheim, in dem sie sich mit ihrer Großmutter immer engagiert hat.
Matts Vater ist übrigens die Figur in dem Roman, die am meisten ins Schleudern kommt. Anstatt seinen Sohn zu stützen, ist es Matt, der stärker ist, während sein Vater seinen Kummer im Alkohol zu ertränken versucht. Komisch ist ein wenig, dass Matt einfach nur zuschaut, wie sein Vater abdriftet, anstatt ihm ordentlich die Meinung zu sagen – nicht der Hauch einer Bemerkung fällt hier; Vater und Sohn können auch nicht miteinander über den Tod von Matts Mutter und schon gar nicht über ihre Gefühle reden. Mich hat das befremdet und vielleicht am meisten in dem Buch gestört. Aber es soll natürlich Menschen geben, die sich so verhalten …
Fazit:
5 von 5 Punkten. Ernsthaft, ganz und gar nicht oberflächlich, aber trotzdem erfrischend – diese Zusammenstellung beschreibt Jason Reynolds‘ „Love oder Meine schönsten Beerdigungen“ recht gut. Der große Trumpf des Buchs sind neben dessen Plot seine Figuren: Nicht nur der eher schüchterne Matt und die eher selbstbestimmte Love sind bezaubernde Figuren – da sind auch einige andere zu nennen, insbesondere Mr Ray, der Bestatter, der für Matt zum Ersatzvater wird, als sein eigener Vater aus der Bahn geworfen wird. Letztendlich haben alle Figuren im Buch die Schattenseiten des Lebens kennengelernt – das gibt ihnen Tiefe, das gibt ihnen Menschlichkeit, und sie haben nach einer längeren Krisenzeit wieder Lebensmut gefunden.
Genau das ist die sympathische Botschaft des Jugendromans: Man muss sich den schlimmen Erlebnissen im Leben stellen, man sollte, denn dann geht es am besten, mit anderen darüber zu reden. Nur so kann man dem Leiden etwas entgegensetzen und ihm die destruktive Kraft nehmen. Matt, der sehr an seiner Mutter gehangen war, gelingt das, weil er in ein soziales Netz gefallen ist, das ihn aufgefangen hat. Dass diese Botschaft von Jason Reynolds kurzweilig an den Leser gebracht wird, macht den Roman empfehlenswert – übrigens für Jungen wie Mädchen gleichermaßen.
(Ulf Cronenberg, 25.06.2017)
Lektüretipp für Lehrer!
Jason Reynolds‘ Buch hat kein Thema, das auf den ersten Blick etwas für den Deutschunterricht ist – in den Fächern Ethik und Religion kann man es sicher eher als Lektüre unterbringen: weil es in dem Roman letztendlich um den Lebensinn geht. Was das Buch zur geeigneten Lektüre macht, ist außerdem die gelungene Mischung aus Ernsthaftigkeit und Unterhaltsamkeit. Außerdem ist es ein Buch, das sowohl bei Jungen wie bei Mädchen gut ankommen dürfte – ich würde sagen bei Leserinnen und Lesern am Ende der 7. oder in der 8. Jahrgangsstufe.
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