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Buchbesprechung: Mats Wahl „Sturmland – Die Gesetzgeber“

Lesealter 13+(Hanser-Verlag 2016, 456 Seiten)

Es ist eine ehrgeizige Sache, auf die sich der schwedische Jugendbuchautor Mats Wahl im Alter von 70 Jahren eingelassen hat: eine 5-bändige Reihe anzufangen. Band 1 der „Sturmland“-Reihe bot einen fulminanten Einstieg, Band 2 dagegen hatte Längen und übte auf mich nicht die Faszination des Einstiegbands aus. Trotzdem habe ich mir vorgenommen, auch noch Band 3 zu lesen, um dann zu entscheiden, ob ich die „Sturmland“-Sage zu Ende lesen werden.

Inhalt:

Elin wurde von ihrer Tante Karin, die inzwischen Justizministerin ist und als der prominenteste Kopf der neuen Regierung gilt, aufgefordert und ermutigt, sich als Kandidatin für den Reichstag zu bewerben. Dementsprechend ist Elins Leben inzwischen von vielen Terminen geprägt. Es sind vor allem Wahlkampfveranstaltungen, die sie geben muss. Obwohl Elin immer wieder in der Öffentlichkeit damit in Verbindung gebracht wird, dass sie bereits zwei Menschen getötet hat, schadet das ihrem Ruf und den Umfrageergebnissen nicht. Sie wird jedoch auch auf Veranstaltungen immer wieder darauf angesprochen und muss sich erklären.

Richtig wohl fühlt sich Elin in ihrer neuen Rolle nicht. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen hat sie das Gefühl, da etwas zu tun, von dem sie wenig Ahnung hat. Sie gibt oft auf Fragen auswendig gelernte Passagen wieder. Zum anderen entfremden sie die vielen Termine – sie ist kaum noch zu Hause – von Gerda, ihrer kleinen Tochter. Gerda reagiert auf Elin inzwischen, wenn sie sich sehen, oft ablehnend und zeigt ihrer Mutter die kalte Schulter.

Während Elin Wahlkampf macht, braut sich im Hintergrund etwas zusammen. Mård, der inzwischen erwachsene Sohn des Ehepaares, das Elin in Notwehr zur Verteidigung ihrer Familie getötet hat, will Rache nehmen. Sein Ziel ist es, Elin zu töten – um seine Eltern zu rächen und um der Borlänge-Gang, die in der Gegend mit krummen Machenschaften das Sagen hat, wieder mehr Macht zu verleihen.

Bewertung:

Wie schon bei den letzten beiden Bänden der „Sturmland“-Reihe fühlen sich die ersten Seiten von „Sturmland – Die Gesetzgeber“ (Übersetzung: Gesa Kunter; schwedischer Originaltitel: „Blodregn: Lagstiftarna“) wie ein Sprung ins kalte Wasser an. Mats Wahls nüchterner Berichtstil entspricht so gar nicht dem, was man sonst bei Jugendbüchern gewohnt ist, so dass man sich erst mal akklimatisieren muss. Der dritte Sprung war jedoch diesmal deutlich weniger heftig, weil ich ja wusste, was mich erwartet.

Recht glücklich war ich schon bald, dass Mats Wahl in Band 3 wieder zu den alten Tugenden zurückgefunden hat: „Die Gesetzgeber“ erzählt eine deutlich spannendere Geschichte als Band 2 „Die Kämpferin“, den ich immer wieder als zäh empfunden habe. Die Spannung in Band 3 resultiert unter anderem daraus, dass hier im Wesentlichen aus zwei Perspektiven berichtet wird. Den einen Teil bilden die Geschehnisse um Elin, den anderen das, was Mård bei seinem Rachefeldzug plant.

Auch wenn nichts direkt über Elins Gefühle geschrieben wird – sehr gut kann man sich in die inzwischen 20-Jährige hineinversetzen, die in etwas hineingeraten ist, das sie als eine Nummer zu groß für sich ansieht. Elin fühlt sich dem, was in der Vergangenheit passiert ist und das sie nicht richtig verarbeitet hat, sowie ihrer Kandidatur für den Reichstag nicht gewachsen. Sie hat das Gefühl, dass sie die ganzen dahinterstehenden politischen Spielchen und Intrigen nicht versteht. Selbst bei ihrer Tante Karin ist sie sich nicht sicher, was diese antreibt und bezweckt.

Meine Befürchtung übrigens, die ich in der Buchbesprechung zu Band 2 ausgesprochen habe, dass die „Sturmland“-Reihe zu einem Abklatsch von „Die Tribute von Panem“ werden könnte, hat sich nicht bewahrheitet. Elin ist – und das ist gut so – doch eine anderes konturierte Figur als Katniss, auch wenn es Parallelen gibt. Und die „Sturmland“-Reihe ist, zumindest bisher, auch deutlich weniger actionlastig als die „Tribute“-Bücher.

Überzeugt hat mich „Die Gesetzgeber“ auch, weil die seltsame, aber faszinierende Zukunftswelt im Schweden der 2060er Jahre ein bisschen an Kontur gewinnt. Man erlebt zum Beispiel die Fortschritte bei Robotern mit, die nur noch extrem schwer von richtigen Menschen zu unterscheiden sind. Gerade in Hilfsberufen (zum Beispiel bei Kellnern oder Bediensteten) sind sie inzwischen weit verbreitet. Auch autonomes Fahren ist im Buch etwas ganz Normales: Autos sind intelligente Maschinen mit einer künstlichen Intelligenz, die nicht nur Befehle empfängt, sondern sogar Gespräche führen und dabei dem Fahrer fast die Wünsche und Bedürfnisse an den Lippen ablesen kann.

Der zweite große Handlungsstrang ist es ansonsten, der „Die Gesetzgeber“ seine Spannung gibt, weil darin beschrieben wird, dass auf Elin ein Attentat verübt werden soll. Mård als Hauptperson bei diesem Racheakt ist glücklicherweise keine eindimensionale Figur. Man bekommt mit, dass er es im Leben schwer hatte und hat, weil er das Erbe seiner Eltern als Anführer der Borlänge-Gang fortführen soll, sich damit zu arrangieren versucht, aber im Laufe des Buchs zunehmend auch Zweifel bekommt. Seine Frau Maya, die ein Kind erwartet, spielt hier eine wichtige Rolle.

Es gibt noch etwas, was mir an Band 3 der Sturmland-Saga besonders gefallen hat: eine neue Figur, die auftritt. Es ist die 25-jährige Königin Schwedens, die ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz verloren hat. Lucille, wie die Königin sich nennt, ist, auch wenn sie offiziell nichts zu sagen hat (im Hintergrund zieht sie aber durchaus noch Fäden), eine bemerkenswerte Person, deren Rolle in allem politischen Ränkespiel auch am Ende des Buchs noch nicht geklärt ist – das liefert neues Futter für die Folgebände. Die Königin freundet sich in „Die Gesetzgeber“ mit Elin an, daraus erwächst eine interessante, aber – typisch für das Buch – zugleich auch etwas undurchsichtige Freundschaft.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. „Alles wieder gut“ – so könnte man mein Bewertung nach dem dritten Band zusammenfassen. Zwar ist auch „Die Gesetzgeber“ ein klein wenig vom „50-Seiten-zu-viel-Virus“ befallen – am Ende des zweiten Drittels kommt mal zwischendrin etwas Langeweile auf –, aber ansonsten bietet der dritte Teil der Geschichte um Elin wieder die packende Dystopie, wie man sie im Band 1 „Die Reiter“ kennen gelernt hat.

Den realistischen Berichtstil, den Mats Wahl anschlägt, mag man oder man mag ihn nicht – mich hat er diesmal, weil mich die Geschichte gefesselt hat, gar nicht gestört (das war bei Band 2 anders). Ja, dieser Erzählstil verlangt von einem als Leser einiges ab – aber das kann man wie die Skandinavistin und Germanistin Elisabeth Eggenberger in 1001 Buch (Heft 1/17, S.72) positiv sehen: Man ist angesichts von Mats Wahls Schreibstil als Leser gezwungen, sich eigene Bilder und Deutungen zu machen – wie im richtigen Leben, wo den Menschen ja auch Gefühle und Gedanken nicht auf die Stirn geschrieben stehen.

Mats Wahl hat bei seinen Büchern etwas gewagt, er hat etwas geleistet, weil er anders erzählt, und als Leser ist man gefordert, weil wir sonst ja meist in Büchern verwöhnt werden und die Gefühlswelten frei Haus geliefert bekommen … Allein schon deswegen ist für mich nun auch klar, dass ich auch Band 4 und 5 der Sturmland-Reihe lesen werde, aber auch, weil ich gespannt bin, wie Elins Geschichte weitergeht.

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(Ulf Cronenberg, 30.04.2017)


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