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Buchbesprechung: T. A. Wegberg „Meine Mutter, sein Exmann und ich“

Lesealter 13+(Rowohlt rotfuchs 2017, 253 Seiten)

Fast fünf Jahre ist es her, dass ich mein erstes (und bis jetzt einziges Buch) von T. A. Wegberg gelesen habe: „Klassenziel“, ein Roman, in dem es um einen Amoklauf geht. Auch diesmal hat T. A. Wegberg ein brisantes Thema gewählt, und der Jugendroman fällt allein schon auf, weil er einen genial-kreativen Titel trägt. Das Possessivpronomen „sein“ ist kein Versehen, sondern deutet bereits an, dass es um eine Geschlechtsumwandlung geht … Wie in „Klassenziel“ ist die Hauptperson dabei nicht selbst, sondern indirekt betroffen.

Inhalt:

Joschka lebt mit seiner Zwillingsschwester Liska bei seiner Mutter in Berlin. Die Eltern der beiden sind getrennt und ihr Vater hat inzwischen wieder eine neue Familie. Doch es gibt ein großes Problem – zumindest für Joschka: Seine Mutter fühlt sich schon lange als Mann, hat das lange negiert, will sich jetzt aber operieren lassen, um endlich auch biologisch das passende Geschlecht zu haben. Joschka ist das extrem peinlich, und so zieht er erst mal zu seinem Vater.

Doch dort kriselt es ziemlich, weil die neue Frau seines Vaters und Joschka nicht gerade gut miteinander zurechtkommen. Allerdings will Joschka auch nicht zurück zu Liska und seiner Mutter, die nun männlich ist und sich Frederik nennt. Schlimm ist auch, dass er es schon lange vermeidet, seinen Freunden davon zu erzählen, dass seine Mutter nun ein Mann ist. Immer größer werden die Probleme, das zu verheimlichen. Joschka glaubt, dass seine Freunde keinerlei Verständnis dafür haben werden, er glaubt, dass er dann von anderen aufgezogen und gemieden würde etc.

Als die Klasse von Joschka ein Projektthema sucht, schlägt Emma, in die er schon lange verliebt ist, ausgerechnet das Thema LSBT (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) vor – und die Klasse wählt das Thema auch noch. Joschka wird es ganz anders, weil er mit dem Thema Schwierigkeiten hat und nach wie vor fürchtet, dass die anderen das mit Frederik erfahren.

Bewertung:

Dass ich den Titel des Jugendromans richtig gut finde, habe ich in der Einleitung ja schon erwähnt. „Meine Mutter, sein Exmann und ich“ erzählt zwar sicher keine Geschichte, die viele Jugendliche so erleben dürften – aber es ist ein Buch, mit dem ganz klar für Toleranz Menschen gegenüber geworben werden soll, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht wohlfühlen und sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen. Und das ist meiner Meinung nach schon mal ein gutes Anliegen.

Dass die Geschichte aus der Sicht eines 15-jährigen Jungen erzählt wird, dessen Mutter sich schon immer als Mann gefühlt hat, sich aber erst als Mutter zweier Jugendlicher dazu bekennen kann und Konsequenzen daraus zieht, hat seinen Reiz und ist zugleich geschickt, weil man so Jugendliche gut erreichen kann. Denn auch wenn Joschkas Erlebnisse eher ein Sonderfall sein dürften, die Toleranz gegenüber Lesben, Schwulen und Transsexuellen ist sicher nicht bei allen Jugendlichen groß. Auch wenn das Buch sicher nicht vermag, jemandes Vorurteile, sofern sie stärker ausgeprägt sind, zu verändern – wer eine Offenheit mitbringt und sich auf das Thema einlässt, wird doch in seiner grundsätzlich vorhandenen toleranten Haltung bestärkt – allein dadurch, dass man sich ansonsten mit dem Thema wohl eher noch nicht auseinandergesetzt hat und in T. A. Wegbergs Buch einiges Neue erfahren dürfte.

Auch wenn die Geschichte vielleicht erst mal sehr gekünstelt angelegt wirkt – ich hatte vorab auch so meine Bedenken, ob das Buch funktionieren wird –, T. A. Wegbergs Roman ist erfrischend, und das liegt an den Figuren, aber auch am lockeren Erzählton, den der Autor anschlägt. Die Stärke von „Klassenziel“ war es schon, dass die jugendlichen Figuren lebensnah und authentisch wirken, und das gilt auch für „Meine Mutter, sein Exmann und ich“. Joschka ist ein typischer Jugendlicher: eher schüchtern, heimlich schon länger in Emma verliebt, und er hat vor allem massive Schwierigkeiten, dass seine Mutter nach der Operation ein Mann ist und Frederik heißt.

Joschkas tiefe Zerrissenheit – er fühlt sich seiner Mutter näher als seinem Vater, kommt aber nicht mit ihrer Geschlechtsumwandlung zurecht – wird sehr nachvollziehbar dargestellt. Was nach der Operation Frederiks beginnt, ist ein Versteckspiel, das sehr plausibel davon erzählt, wie ein Junge sich darin verrennt, wie es immer schwieriger wird, daraus auszusteigen.

Was das Buch aber auch leistet, ist – und hier geht es behutsam vor –, dass es andeutet, wie schwierig die Situation für Joschkas Mutter Frederik (ja, unsere Sprache macht es nicht einfach, darüber zu schreiben – mir fehlt hier auch der passende Wortschatz) ist. Lange bekommt man beim Lesen davon nichts mit, erst gegen Ende gesteht Frederik Joschka gegenüber, wie verletzend er das Versteckspiel durch Joschka fand, wie sehr er darunter gelitten hat, dass der eigene Sohn nie mit ihm gesehen werden wollte. Gut, dass dieser Teil am Ende noch kommt, gut aber auch, dass man so lange erst mal nur die Sicht Joschkas präsentiert bekommt.

Ansonsten ist „Meine Mutter, sein Exmann und ich“ eher traditionell erzählt – chronologisch, ab und zu aber auch mit Zeitsprüngen von ein paar Wochen. Perspektivenwechsel oder sonstige Sperenzchen findet man in dem Buch nicht – nein, das Buch bliebt konsequent bei Joschka, aber das stört in diesem Fall nicht nur in keiner Weise, sondern ist dafür verantwortlich, dass das Buch keinen pädagogisch-belehrenden Touch hat.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. T. A. Wegberg gelingt es, ein brisantes Thema in eine recht locker daherkommende Geschichte zu packen, die dennoch nicht verharmlosend ist – und das macht das Buch sympathisch. Man hätte angesichts des Themas Geschlechtsumwandlung ein Problembuch erwarten können, aber das ist „Meine Mutter, sein Exmann und ich“ ganz und gar nicht. Die Geschichte um Joschka wird unterhaltsam, ernsthaft und humorvoll zugleich erzählt.

Das Buch hat mir – und das dürfte vielen Lesern ähnlich gehen – ein Thema nähergebracht, mit dem ich mich bisher kaum beschäftigt habe. Ich habe zudem gelernt, wie schwer es ist, in der deutschen Sprache über das Thema Transsexualität zu schreiben – da fehlt mir der passende Jargon, und ich hoffe, meine Besprechung wird angesichts dieser Wortarmut nicht als anstößig erlebt. „Meine Mutter, sein Exmann und ich“ ist kein literarisch hoch anspruchsvolles Buch, aber es ist ein ehrlicher Entwicklungsroman, der in die heutige Zeit passt, und den man Jugendlichen ab 13 Jahren empfehlen kann.

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(Ulf Cronenberg, 19.03.2017)


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Kommentar (1)

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