(Hanser-Verlag 2016, 251 Seiten)
Ich glaube, ich habe so gut wie alle ins Deutsche übersetzten Bücher von Mats Wahl gelesen, und das sind über mehrere Jahrzehnte hinweg ziemlich viele gewesen. Bei der neue „Sturmland“-Reihe war ich jedoch erst einmal zurückhaltend und skeptisch: Will der schwedische Autor nun wirklich auch auf den dystopischen Zug aufspringen? „Die Tribute von Panem“ aus Schweden … Nachdem ich aber mehrfach Positives über den ersten Band gehört hatte, habe ich ihn mir vor zwei Tagen (just als Band 3 in den Buchhandel kam) geschnappt und hatte ihn in zwei Tagen durchgelesen. Bereut hab ich es nicht – das schon einmal vorab.
Inhalt:
2060. Schweden. Ziemlich unwirtlich ist die Welt geworden. Es hat Atomkatastrophen gegeben, das Klima spielt verrückt, und die Gesellschaft ist in vielem tief gespalten. Mit ihren Geschwistern Lisa (der Jüngsten) und Vagn lebt die 16-jährige Elin bei ihren Eltern Anna und Gunnar sowie ihren Großvater Frans in ländlicher Umgebung. Das Überleben ist nicht einfach: Die Güter sind knapp, das Haus der Familie ist eine kleine Festung, mit Argwohn wird auf technischen Geräten beobachtet, wer sich dem Gebäude nähert und mit Armbrust und anderen Waffen empfängt man mögliche Besucher.
Als Björn Torson eines Tages mit seiner Familie auftaucht, verheißt das nichts Gutes. Björn und Elins Vater verbindet seit einer Auseinandersetzung im Gemeinderat eine Feindschaft. Und in der Tat tritt Björn feindselig auf: Er will von Gunnar ein Windrad-Lager verkauft bekommen, weil er meint, dass Elins Familie vor einiger Zeit mehrere erworben hat. Doch Elins Familie benötigt die zwei Lager, die sie hat, selbst, und Björn reist voller Zorn ab. Ein von Björns Tochter abgeschossener Pfeil verletzt Gunnar vorher noch an der Hand.
Elins Familie befürchtet, dass Björn sich für die Abweisung rächen wird, und als Elin und Vagn zu einem Warenhaus aufbrechen, um einzukaufen, macht die Familie sich Sorgen, dass die beiden von Björns Familie überfallen werden könnte. Die Angst wird realer, als Elin und Vagn in dem Warenhaus Björn und seinen Sohn sehen; und auf dem Rückweg werden Elin und Vagn tatsächlich von den beiden angegriffen – mit schlimmen Ausgang: Elin tötet aus Notwehr Björn und muss fliehen, weil ihre Armbrust beschädigt ist. Vagn wird – das vermutet Elin – von Björns Sohn gefangen genommen.
Bewertung:
71 Jahre ist Mats Wahl inzwischen alt, und nach vielen Büchern über gesellschaftliche Probleme, nach einem längeren Ausflug in das Krimi-Metier wagt der Autor etwas Neues: eine dystopische Saga mit mehreren Bänden. Dass Mats Wahl damit auf einen schon einige Jahre dauernden Trend aufsetzt, kam sicher nicht nur mir in den Sinn. Allerdings haben solche Zukunfsszenarien ja auch ihren Reiz: Wie unser Leben in 50 Jahren aussehen könnte, ist eine spannende Frage, und die Sturmland-Reihe ist ein Versuch, eine Antwort darauf zu geben. Ein positives Bild der Zukunft wird einem in „Sturmland – Die Reiter“ (Übersetzung: Gesa Kunter; Originaltitel: „Blodregn: Ryttarna“) nicht gerade präsentiert.
Über das, was in den Jahrzehnten zuvor passiert ist, schweigt Mats Wahl sich in dem Buch aus. Der Roman spielt – und das ist gekonnt gemacht – einfach in der Gegenwart des Jahres 2060. Es gibt keine Rückblenden, wie die Atomkatastrophe ausgesehen hat, es wird einem als Leser nur präsentiert, dass zum Beispiel Wildschweine so stark kontaminiert sind, dass sie von speziellen Trupps getötet und dann abtransportiert werden. Auch die Entstehung der Klimakatastrophe, die unter anderem zu heftigsten Stürmen geführt hat, wird nicht weiter erklärt. Wenn von den Figuren irgendwann mal zurückgeblickt wird, dann nur, um gegenüberzustellen, wie es in früheren Zeit im Vergleich zum Jahr 2060 ausgesehen hat. Aber Erklärungen für den Wandel der Welt bis zum Jahr 2060 bleiben aus, und das ist gut so, denn in anderen Büchern mündet das schnell in Rückblenden mit einem moralischen Zeigefinger.
Ziemlich düster wird das Leben in der Zukunft gezeichnet – ja, man fühlt sich fast an mittelalterliche Szenarios erinnert, wenn die Menschen sich mit Speeren, Armbrüsten, Axten und Messern verteidigen. Zugleich gibt es moderne Kommunikations- und Hilfsmittel, die jedoch nur leidlich funktionieren und immer wieder ausfallen. Und die Nachrichten, die man auf dem Bildschirm sehen kann, sind geprägt von Propaganda, der Elins Familie wenig Glauben schenkt.
Diese Zukunftsvision hat es jedenfalls in sich und liefert den Hintergrund zu einem Plot, in dessen Zentrum letztendlich ein Familienzwist steht. Das ist nicht unbedingt ein neues Thema, und wenn es dann im Laufe des Buchs sogar eine Romeo-und-Julia-Geschichte gibt, könnte man Mats Wahl schon fast der Einfallslosigkeit bezichtigen. Doch ziemlich unerschrocken lässt er die Romeo-und-Julia-Anleihen dann auch wieder fallen. Gut so.
Erzählt wird die Geschichte übrigens im Präsens personal aus Elins Sicht – nicht untypisch für Mats Wahl. Das klingt anfangs, gerade in Verbund mit der ebenfalls für Mats Wahl typischen, fast sachlich-neutralen Erzählweise, ungewohnt, fast ungehobelt. Doch schnell ist man über dieses erste Erstaunen hinweg, denn die Geschichte schlägt einen bald in Bann. Ja, es ist fast ein Sog, in den man beim Lesen gerät. Und will man dechiffrieren, was hinter diesem Sog steht, so sind das mehrere Elemente.
Da gehört Elin als widersprüchliche und widerspenstige Figur dazu – meist findet man sie sympathisch, dann jedoch staunt man auch wieder über ihren Pragmatismus und ihre Kaltschnäuzigkeit. Nicht alle Figuren sind in dem Buch gleich gut gezeichnet, aber insgesamt ist die Figurenzusammenstellung passend. Hinzu kommt das packende Szenario des Romans: diese düstere Zukunftsversion, die ein Stück Mittelalter ins Landleben zurückholt. Man schießt nicht nur wieder mit der Armbrust, sondern ist auch zu Pferd unterwegs. Und schließlich passt eben Mats Wahl nüchterner Stil zu dem Ganzen. Mats Wahl beschreibt, er gibt Gefühle meist nur über die Aussagen der Figuren wieder, hält sich aber als Erzähler ansonsten zurück.
Fazit:
5 von 5 Punkten. Hätte ich Band 2 der Sturmland-Saga hier, würde ich gleich weiterlesen wollen – aber so muss ich mich wohl noch etwas gedulden. „Sturmland – Die Reiter“ hat mich jedenfalls wider Erwarten gefesselt und gepackt, in nicht mal zwei Tagen (gottseidank sind Sommerferien) hatte ich das Buch ausgelesen. Wiederholen muss ich beim Fazit nicht noch einmal, was Mats Wahls Anfangsband der Sturmland-Sage auszeichnet.
Man kann nun natürlich den Vergleich mit „Die Tribute von Panem“ bemühen, und ich bin mir sicher, das den meisten Fans der Panem-Reihe auch die Sturmland-Bücher gefallen dürften. „Tribute von Panem“ ist das gefälliger geschriebene Buch, aber es spielt in einer Welt, die wenig mit der unseren zu tun hat. Die Sturmlandsaga dagegen entwirft ein Zukunftsszenario für Schweden in 50 Jahren – und das macht ihren zusätzlichen Reiz aus.
Ich freue mich jedenfalls auf die Fortsetzung, und ich hoffe sehr, dass sich die Geschichte Elins nicht irgendwann totläuft. Band 2 und 3 sind bereits erschienen, die Titel von Band 4 und 5, die im Frühjahr bzw. Herbst 2017 erscheinen sollen, sind auch schon bekannt. Da kommt also etwas Längeres auf uns zu.
(Ulf Cronenberg, 26.08.2016)
Lektüretipp für Lehrer!
Ja, warum nicht mal ein etwas reißerischeres Buch im Deutschunterricht? Ein Buch, das einer ganzen Klasse (Mädchen wie Jungen) gefallen könnte. Ich halte es durchaus für eine gute Idee, Band 1 der Sturmland-Reihe im Deutschunterricht zu lesen. Das kann zu spannenden Diskussionen über die Zukunft führen, man kann mit Schülern diesen eigenwilligen Erzählstil erkunden, und man kann verschiedene Brücken (zum Mittelalter, zu „Romeo und Julia“ etc.) schlagen.
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Leider kann ich die Begeisterung über dieses Buch nicht teilen. Die Sprache ist kantig und hat es mir als Leser nicht einfach gemacht,das Buch mit Freude zur Hand zu nehmen. Aber das liegt sicher auch am Plot, denn Mats Wahl verrät auf den ersten 300 Seiten nicht wahnsinnig viel. Alles hängt in der Luft. Der Cliffhanger am Ende des Buches hat mich auch nicht wirklich überrascht. Mein Fazit: Die nächsten Bücher müssen andere lesen. Mich hat Mats Wahl für diese Serie als Leser verloren.
Ja, ich kann das verstehen … Die Sprache ist durchaus kantig, aber ich habe mich daran gewöhnt und sie hat mich nicht mehr gestört nach 50 Seiten. Und dass man eher wenig über die Hintergründe erfährt, fand ich eher reizvoll.
Hallo Ulf,
Paul (mein Sohn, 12 Jahre) und ich lesen gerade den ersten Band (ich lese vor, weil er das neben selber Lesen immer noch genießt), uns gefallen die kurzen Sätze, die die harte rauhe Welt gut darstellen.
2 Anmerkungen:
1) Die Bücher sind miserabel übersetzt mit vielen Fehlern, was schade ist, und gerade beim Vorlesen sehr auffällt.
2) Paul fehlt nichts an Hintergrund, er findet die Mischung von alt (Pferde, Armbrust) und neu (Mobiles, Kameras) ziemlich cool.
Ansonsten bin ich großer Fan der Site und wir haben in den letzten 2 Jahren zig Buchempfehlungen gefunden und bis auf wenige Fälle die Punktevergaben geteilt.
Danke und viele Grüße aus Hamburg
Sylke
Hallo Sylke,
freut mich zu hören, dass ihr meine Einschätzung teilt und dass die Buchbesprechungen euch schon öfter geholfen haben.
Viele Grüße
Ulf
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Hallo erstmal,
also, wir lesen dieses Buch im Deutschunterricht, und ich finde es total langweilig; und so geht es vielen in meiner Klasse.
Immer, wenn ich anfangen will, es zu lesen, schlafe ich ein … Ich würde es jedenfalls nicht weiterempfehlen, da es meiner Meinung nach schwer zu verstehen ist und halt langweilig ist.