(dtv 2015, 375 Seiten)
Karin Bruders Debütroman „Zusammen allein“ war ein Buch, das mich ziemlich beeindruckt hatte und das auch gleich für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert worden war. Hätte ich die Autorin deswegen nicht in guter Erinnerung gehabt, hätte ich „Panama“ wohl kaum gelesen. Ich finde das Cover einfach nur furchtbar: kitschig, klischeehaft, und wenn man das Buch gelesen hat, fragt man sich, was das große, an eine Kreuzfahrt erinnernde Schiff darauf soll. Die Hauptfigur reist jedenfalls nicht damit …
Inhalt:
Einen seltsamen Auftrag hat Liana, die gerade ihr Abitur hinter sich hat, von ihrem Großvater bekommen: Sie soll nach Panama reisen, um dort dessen Enkel Pablo zu ihm in die Schweiz zu holen. Dessen Vater, Lianas Bruder, ist tot, seine mittelamerikanische Mutter angeblich auch, und von Europa aus hat der Großvater fast alles geregelt, damit Pablo zu ihm kommen kann.
Doch als Liana vor Ort ist und sich mit dem Rechtsanwalt des Großvaters in Panama trifft (der ihr übrigens nicht gerade sympathisch ist), stellt sich heraus, dass alles doch etwas komplizierter ist. Die Behörden verweigern nach wie vor die Ausreise Pablos, weil noch nicht alle erforderlichen Dokumente vorhanden seien. Liana erfährt schließlich, dass Pablo in einem Heim untergekommen ist und besucht ihn dort.
Doch Pablo redet kein Wort – weder mit Liana noch mit den Erzieherinnen, die sichtlich genervt von dem Jungen sind. Dennoch zwingt sich Liana, möglichst jeden Tag zu Pablo zu fahren – sie hofft so, nach und nach sein Vertrauen zu gewinnen. Doch es dauert sehr lange, bis Pablo spricht. Umso erstaunter ist Liana, als sie mitbekommt, dass Pablo Deutsch kann und überhaupt ein intelligenter Junge zu sein scheint. Allerdings verhält er sich nach wie vor meist sehr zurückgezogen.
Liana beschließt, sich nach Santa Fe aufzumachen, wo Pablo wahrscheinlich auch gelebt hat. Und weil es Pablo im Heim nicht gut geht, nimmt sie ihn kurzerhand mit. In Santa Fe gerät Liana jedoch in mehrere seltsame Situationen: Nicht nur, dass sie irgendwann weitere Familiengeheimnisse aufdeckt, Liana wird auch von Ruud, einem Halbniederländer, dem sie schon vorher begegnet ist, umworben. Liana hält Ruud auf Distanz, wird aber dennoch in etwas reingezogen, was die Rückreise nach Europa immer schwieriger macht.
Bewertung:
„Panama“ beginnt mit vier Seiten, die schon etwas Späteres aus der Geschichte vorwegnehmen, bevor dann Lianas Erlebnisse in Panama chronologisch erzählt werden. Es geht in der Eingangsszene um den Abschied von Ruud, der Liana zum Flughafen bringt – aber danach wird man erst mal in der Luft hängen gelassen.
Karin Bruders neuer Roman thematisiert eine Familiengeschichte, die reichlich kompliziert ist: Der Bruder Lianas ist gestorben, ihre früher in Panama lebende Mutter mit einem Flugzeug verunglückt; Lianas Vater, der seine Kinder in Deutschland großgezogen hat, nachdem Lianas Mutter und er sich getrennt hatten, ist im Clinch mit dem Großvater; und hinzu kommt noch, dass Lianas Mutter nach der Trennung von Lianas Vater mit dem Zwillingsbruder ihres Ex-Manns zusammen war. Ganz schön viel Patchwork, und der Großvater versucht alles wie ein kleiner Diktator zusammenzuhalten. Und so will er auch Pablo zu sich zurückholen, denn für ihn ist alles, was zählt, die Familie.
Ein ungewöhnliches Szenario ist das schon. Und später wird manches noch komplizierter, aber da will ich nicht zu viel vorwegnehmen. Liana macht jedenfalls nicht nur eine Reise nach Mittelamerika, wo sie schon mal mit ihren Eltern als Kind gelebt hat, sondern auch eine Reise zu den Abgründen ihrer Familie. Im Laufe der Zeit stellt Liana die angeblich gut gemeinte Fürsorge ihres Großvaters, den sie bisher so verehrt hat, in Frage.
Interessant fand ich das alles schon, und Karin Bruder vermag die Geschichte auch sprachlich virtuos zu erzählen. Immer wieder findet man gelungene Metaphern und sprachliche Bilder, die das, was in der Ich-Erzählerin Liana vorgeht, sehr gekonnt darstellen. Die Geschichte hat mich recht schnell in den Bann gezogen, nur am Anfang der zweiten Hälfte hat sie mal leichte Längen. Das ist aber auch der einzige Kritikpunkt, den ich an dem Buch habe.
Ansonsten ist „Panama“ ein psychologisch dichtes Buch. Insbesondere wie das Zusammentreffen von Ruud und Liana beschrieben wird, hat mir gefallen. Liana ist vom ersten Moment an von Ruud beeindruckt, will und kann das aber nicht zulassen und zeigt ihm statt Zuneigung die kalte Schulter. Diese Mauer hält sie ziemlich lange aufrecht, so wie Pablo seine Mauer Liana gegenüber ebenfalls standfest verteidigt.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. „Panama“ ist ein besonderes Buch, das davon handelt, wie ein erwachsen werdendes Mädchen sich mit seiner Familie auseinandersetzt und dabei auf einige Geheimnisse stößt. Zugleich lernt Liana im fremden Land einiges über sich selbst und beginnt eigene Wege jenseits des vom Großvater sehr brachial aufgespannten Netzes zu gehen. All das wird intensiv und plausibel dargestellt, auch wenn die bizarre Familiensituation Lianas schon fast etwas zu viel des Guten scheint.
Dass in der Mitte des Romans mal kurz ein bisschen die Luft raus ist, sollte man nicht überbewerten, insgesamt bietet das Buch einige Spannung – auf psychologischer Ebene wie auf der Handlungsseite. Außerdem merkt man, dass Karin Bruder dem fremden Land mit viel Empathie begegnet – wohl eine Folge davon, dass die Autorin Panama bereist haben dürfte und Spanisch gelernt hat (beides lässt die Danksagung am Ende des Romans vermuten). Von „Panama“ dürften der weiblichen Hauptfigur, aber auch der Erzählweise wegen eher Mädchen begeistert sein. Gefallen hat mir als Mann das Buch aber trotzdem.
(Ulf Cronenberg, 11.12.2015)
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