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Buchbesprechung: Inés Garland „In den Augen der Nacht“

garland_augenLesealter 15+(Fischer-Verlag 2015, 190 Seiten)

Vor einem Jahr wurde Inés Garland für „Wie ein unsichtbares Band“ der Deutsche Jugendliteraturpreis in der Sparte Jugendbuch verliehen – es war das erste Buch der argentinischen Schriftstellerin, das auf Deutsch erschienen ist. Sehr subtil hatte die Autorin in ihrer Geschichte die latente Gewalttätigkeit in der argentinischen Gesellschaft während der Militärdiktatur um 1980 herum eingefangen. Mit „In den Augen der Nacht“ liegt nun ein zweiter Jugendroman von Inés Garland vor – ich war gespannt darauf.

Inhalt:

Dalila verbringt die Ferien mit ihrer großen Schwester Lucía und den Freundinnen Maite und Petra gemeinsam an einem See. Mit Auto und Zelt sind sie aufgebrochen, um Urlaub zu machen, und Dalila, die meist nur Dal genannt wird, flieht dabei auch vor der schwierigen Beziehung mit Pablo, der sie immer wieder vor den Kopf stößt. So hat Pablo erst kurz zuvor den gemeinsam geplanten Urlaub in Brasilien platzen lassen und verkündet, dass er alleine nach Brasilien reisen will.

Als Dalila sich im Wald auf der Suche nach Beeren verirrt, findet sie Zuflucht bei einer alten Frau namens Saqui. Eine seltsame Frau ist Saqui, und dennoch fühlt sich Dal bei ihr vom ersten Augenblick an wohl. Bald darauf lernt sie auch Saquis Enkelsohn Tharo kennen, von dem Dal sich auf eine bisher unbekannte Weise angezogen fühlt. Tharo ist es auch, der sie zurück zu ihrem Zelt bringt.

Im gemeinsamen Urlaub der vier Freundinnen kommt es bald zu Spannungen. Ausgangspunkt ist, dass Maite sich in einen viel zu alten Mann namens Zasiok verguckt. Während Lucía und Maite viel Zeit mit Zasiok verbringen, versuchen Petra und Dal ihm aus dem Weg zu gehen – sie finden Zasiok unheimlich. Bald erfährt Dal außerdem, dass Zasiok in der Familie Saquis und Tharos eine nicht gerade positive Rolle gespielt hat, und von da ab wird in dem gemeinsamen Urlaub der vier jungen Frauen vieles komplizierter.

Bewertung:

„In den Augen der Nacht“ (Übersetzung: Ilse Layer) ist wie schon „Wie ein unsichtbares Band“ ein sehr literarisches Buch. Sehr behutsam und gefühlvoll wird man in die Geschichte eingeführt, und den bedächtigen Ton behält das Buch bei, auch wenn später durchaus Bedrohliches geschildert wird.

Dalila ist ein Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, das viele Zweifel kennt. Gerade was die Beziehung zu Pablo angeht, versteht Dalila sich selbst oft nicht. Sie durchschaut, dass sie sich schlecht behandeln und ausnutzen lässt, wundert sich jedoch selbst zugleich darüber, dass sie sich das alles gefallen lässt. Der äußeren Fassade der netten Freundin steht im Inneren ein unsicheres Mädchen gegenüber, das seinen Platz im Leben noch nicht gefunden hat.

In Inés Garlands neuem Buch spielt die gesellschaftliche Situation – anders als in „Wie ein unsichtbares Band“ – eigentlich keine Rolle; dennoch kennt das Buch ähnlich wie in Garlands Debütroman im Hintergrund eine Art Bedrohlichkeit, die jedoch vor allem von einer Figur ausgeht: von Zasiok, dem undurchdringlichen, verschlagen wirkenden Mann, für den Maite sich interessiert. Er spielt mit den Mädchen, nach und nach wird klar, dass er einiges auf dem Kerbholz hat – Dalila findet erst in der zweiten Hälfte des Romans heraus, welche unheilvolle Rolle Zasiok in Tharos Familie gespielt hat.

Was „in den Augen der Nacht“ auszeichnet, ist, dass es ein feinsinniges, sehr genaues Porträt eines erwachsen werdenden Mädchens zeichnet. Dalila macht sich tausend Gedanken, weiß eigentlich auch schon, was richtig und was falsch ist, ohne jedoch in der Lage zu sein, dies im Leben umzusetzen. Das ganze Gefühlschaos Dalilas wird – das ist die Stärke des Romans – sehr eindrücklich dargestellt. Dabei geht es nicht nur um Pablo und Tharo, sondern auch um Dals Verhältnis zu ihren Freundinnen und zur großen Schwester, mit denen Dal unterwegs ist.

Lange habe ich mich gefragt, warum mir dieses Buch trotz all seiner Vorzüge immer etwas fremd geblieben ist – bei „Wie ein unsichtbares Band“ ging es mir fast genauso. Eine klare Antwort habe ich nicht gefunden. Ich vermute, dass „In den Augen der Nacht“ eben doch eher ein Roman für Mädchen und Frauen ist. Inés Garlands Roman ist gekonnt geschrieben, aber ich hab mich immer etwas außen vor gefühlt, konnte vieles, was in Dalila vorgeht, nicht so recht nachvollziehen. Es geht dabei zum Beispiel darum, wie ausgeliefert und wehrlos sich das Mädchen anderen, vor allem bestimmten Männern gegenüber fühlt und sich ihrer nicht erwehren kann.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. „In den Augen der Nacht“ ist ein ausgesprochen literarisches Buch; sprachlich sehr bewusst und gewandt geschrieben erzählt es eine Episode aus dem Leben einer jungen Frau, die noch ihre Stellung im Leben sucht. Dalila lernt im Urlaub die Abgründe ihrer eigenen Seele, aber auch die anderer Menschen kennen, sie macht die Erfahrung, wie es ist, sich zu jemandem hingezogen, aber auch sich von jemand anderem abgestoßen zu fühlen – und sie merkt, wie schwer es ihr fällt, zu beidem zu stehen und das eigene Leben danach auszurichten. Dieses Gefühlswirrwarr, in dem Dalila steckt, hat etwas Faszinierendes, auch wenn ich persönlich mich immer wieder damit schwer getan habe.

Ein bisschen sperrig ist dieser Roman: weil er eher langsam in Gang kommt, weil mehr im Inneren der Figuren als in der äußeren Handlung passiert. „In den Augen der Nacht“ ist ein Buch zum Nachdenken, eines, das einen nicht gleich loslässt – das habe ich daran gemerkt, wie lange ich an dieser Buchbesprechung gebastelt habe. Vielleicht ist Inés Garlands Roman darüber hinaus zudem eher ein Erwachsenen- als ein Jugendbuch, auch wenn er vom Fischer-Verlag für Leser ab 14 Jahren angepriesen wird.

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(Ulf Cronenberg, 08.11.2015)

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Kommentare (2)

  1. Literatwo - Binea

    Lieber Ulf, danke für deine Worte – sie sprechen mir aus dem Herzen und ich aus diesem Grund habe ich von meinen Worten zu deinen Worten verlinkt.
    Hab einen schönen Abend und schön hast du es hier. Habe mich soeben umgesehen.
    LG – Bini
    Direktlink: http://literatwo.de/in-den-augen-der-nacht-ines-garland/

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Liebe Bini,
      danke für das Lob und die Verlinkung zu meiner Buchbesprechung wie auch zu Jugendbuchtipps.de generell. Mich freut es auch immer, wenn jemand ein Buch ähnlich wie ich empfunden hat.
      Liebe Grüße
      Ulf

      Antworten

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