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Buchbesprechung: Holly Goldberg Sloan „Glück ist eine Gleichung mit 7“

goldberg_sloan_7Lesealter 12+(Hanser-Verlag 2015, 300 Seiten)

Ein hübsches Cover ziert diesen Jugendroman, und das, was darauf zu sehen ist, ist auch Programm: „Glück ist eine Gleichung mit 7“ handelt von einem Mädchen, das anders als andere ist, das gegen den Strom schwimmt und mit einem Schicksalsschlag zurechtkommen muss. Die Amerikanerin Holly Goldberg Sloan hat früher vor allem als Regisseurin und Drehbuchautorin gearbeitet, aber auch schon andere Jugendbücher veröffentlicht. Allerdings hatte ich davon bisher keines in den Händen.

Inhalt:

Willow wächst als farbiges Adoptivkind bei weißen Eltern auf und macht schon lange die Erfahrung, dass sie anders als gleichaltrige Mädchen tickt, denn sie ist wissbegierig und geht darin auf, wenn sie etwas lernt. Schon lange pflegt sie hinter dem Haus einen eigenen Garten, in dem es wuchert; am liebsten verbringt sie ihre Zeit dort, kümmert sich um die Pflanze, beobachtet Insekten und Vögel und vergisst dabei die Zeit.

In der Schule eckt Willow dagegen ziemlich an, die Vorfreude darauf ist ihr bald vergangen – sie langweilt sich entsetzlich im Unterricht. Und als sie einen Englischtest fehlerlos besteht, wird sie zur Direktorin zitiert, weil diese meint, dass Willow geschummelt habe. Aus diesem Grund wird sie schließlich zu Dell, einem unmotivierten Schulsozialarbeiter, geschickt, dem sie später wiederbegegnen wird. Die nervigen Termine bei Dell führen jedoch dazu, dass Willow endlich wieder eine Freundin findet: Mai ist Vietnamesin, und die beiden lernen sich kennen, weil Mais Bruder ebenfalls zu Dell gehen muss.

Als Willow eines Tages von der Schule nach Hause kommt, steht ein Streifenwagen vor ihrem Haus, und von einem Moment auf den anderen bricht ihre Welt zusammen: Willows Eltern sind bei einem Autounfall beide ums Leben gekommen, und das Jugendamt will sich erst um einen Heimplatz, später um eine Pflegefamilie kümmern. Doch dann tritt Mais Mutter, Vietnamesin und Besitzerin eines Nagelstudios, auf und nimmt Willow mit. Das Jugendamt ist mäßig begeistert, aber erlaubt das vorübergehend. Doch es gibt Probleme: Mais Familie haust in einer beengten Garage, die das Jugendamt nicht zu sehen bekommen darf.

Mais Mutter hat jedoch gleich einen Plan: Sie überzeugen Dell davon, dass sie beim Besuch der Sozialarbeiterin so tun, als würden sie bei ihm wohnen. Ein wenig aussichtsreiches Vorhaben, wie Willow findet, denn bei Dell sieht es nicht nur extrem unwohnlich aus, sondern die ganze Wohnung ist ein Saustall. Doch Mais Mutter lässt sich davon nicht aufhalten und organisiert generalstabsmäßig das Herrichten von Dells Wohnung innerhalb von ein paar Stunden …

Bewertung:

Holly Goldberg Sloans „Glück ist eine Gleichung mit 7“ (Übersetzung: Wieland Freund) ist ein bezauberndes Buch, und das liegt vor allem an seiner Hauptfigur. Willow ist ein ganz eigenes Mädchen: hochbegabt, ein wanderndes Lexikon, interessiert an so vielem, aber gelangweilt in der Schule. Andere Menschen tun sich allerdings schwer mit ihr.

Durch den Autounfall ihrer Eltern wird Willow der Boden unter den Füßen weggezogen, die Welt, in der sich das Mädchen eingerichtet hat, ist auf einmal verschwunden. Wie das dargestellt wird – die Geschichte wird größtenteils aus Willows Sicht erzählt –, ist großartig gemacht. Willow trauert auf ihre ganz eigene Art, sie begreift das alles nicht, versucht dagegen anzukämpfen, sieht aber ihre Grenzen.

Hier kommen die anderen Figuren des Romans ins Spiel: Dell, der völlig demotivierte Sozialarbeiter, aber vor allem auch Mai und ihr Bruder Quang-ha sowie ihre Mutter Pattie. Wie insbesondere Pattie alle Hebel in Bewegung setzt, um Willow zu helfen, über den Tod ihrer Eltern zurückzukommen, ist beeindruckend. Sie hat genau die richtige Mischung aus Tatkraft und Einfühlungsvermögen – ist dabei nur eine einfach Frau, die ein Nagelstudio betreibt und illegal mit ihren Kindern in der Garage dahinter wohnt.

An manchen Stellen entfaltet „Glück ist eine Gleichung mit 7“ Slapstick – wie Pattie z. B. binnen Stunden die Wohnung Dells von verlotterter Junggesellenwohnung in ein behagliches Zuhause verwandelt, lässt einen schmunzeln. Immer wieder zeigt der Roman traumhafte Anwandlungen, und es ist diese Mischung aus Trauerbuch angereichert mit surrealen Elementen, die dem Buch trotz des schweren Themas eine ungewöhnliche Leichtigkeit gibt.

Nach und nach fängt auch Willow an, wieder ins Leben zurückzufinden, und dabei gibt das Mädchen, das anfangs so hilfsbedürftig ist, den anderen Figuren vieles zurück und bringt deren Leben auf einen guten Pfad. Dell beginnt sein Leben zu ändern, Quang-ha wird vom Schulvermeider zum erfolgreichen Schüler; und eine andere wichtige Rolle spielt ein Taxifahrer, dessen Leben durch Willow ebenfalls eine positive Wendung nimmt. All das wird von Holly Goldberg Sloan bravourös beschrieben, denn sie trifft den Ton eines 12-jährigen eigensinnigen Mädchens extrem gut. Raffiniert ist überhaupt die Anlage des Buchs. Immer wieder sind kurze Kapitel eingestreut, in denen die Ich-Erzählung Willows einer personalen Erzählweise weicht. Unter anderem bei Dell, Pattie oder dem Taxifahrer wird so immer mal wieder kurz gezeigt, was in ihnen vorgeht.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Wenn du dich um andere kümmerst, nimmst du das Scheinwerferlicht von deinem eigenen Leid.“ Das sagt Willow fast am Ende auf Seite 283 – und das ist ein entscheidender Satz. Durch gute Geister gelingt es Willow, den schrecklichen Verlust ihrer Eltern zu verkraften, um kurz darauf mit ihrem neugierigen Wesen andere Menschen mitzuziehen und zu bezaubern. Holly Goldberg Sloan hat mit Willow eine Figur geschaffen, die einen als Leser bereichert und ganz bestimmt nicht kalt lässt.

Was mich an diesem Buch fasziniert hat, ist, dass es einen spielerischen Ton anschlägt – was der gleich zu Beginn geschilderte Tod von Willows Eltern nun wirklich nicht vermuten lässt. Der Roman weiß auf der ganzen Klaviatur von depressiven Stimmungen bis hin zu Glücksmomenten zu spielen, und das macht das Buch zu einem herausragenden Leseerlebnis. Willow vergisst man nicht so schnell, und das geht einem bei den anderen Figuren nicht anders. Ich muss schon sagen: Die Geschichte, die Holly Goldberg Sloan erzählt, hat mich extrem beeindruckt.

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(Ulf Cronenberg, 29.10.2015)

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Kommentare (2)

  1. Ami

    „Glück ist eine Gleichung mit 7“ ist ein tolles Buch über ein wirklich außergewöhnliches Mädchen. Willow, die es als Hochbegabte unter Gleichaltrigen schwer hat, denn niemand ihrer Mitschüler interessiert sich für Gespräche über Pflanzenzucht und Krankheiten. Da mir so eine Situation selbst bekannt ist, konnte ich mich super in sie hineinversetzen, fast schon wie eine richtige Freundin. Man leidet auch richtig mit ihr mit, als sie ihre Eltern verliert. Richtig empört war ich, als die Direktorin ihr wegen ihrer hervorragenden Testergebnisse Betrug unterstellt, aber andererseits begegnet Willow erst dadurch den vielen Menschen, die schließlich zum festen Teil ihres Lebens werden. Und dass sie nicht nur eine Freundin findet und eine liebevolle Familie, in der sie unterkommt, sondern dass sie auch im Leben der Menschen jede Menge Positives bewirkt, ist das wirklich Wunderbare an der Geschichte. Da ist zum Beispiel Dell, der seinen Job nie mit Begeisterung erledigt hat, und der nun endlich sein Leben in den Griff bekommt, Verantwortung übernimmt und dem Willow zeigt, dass man Menschen eben nicht so einfach in Kategorien einteilen kann. Oder der Taxifahrer Jairo, der nun endlich den Anstoß bekommt, aufs College zu gehen. Und wie schließlich sogar Quang-ha, der anfangs nicht gerade begeistert über den Familienzuwachs und die damit verbundenen Veränderungen gewesen war, sie nicht mehr gehen lassen möchte.
    Ich jedenfalls drücke die Daumen, dass das Buch auf die Nominierungsliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2016 kommt!

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Ja, ich finde auch, dass es nominiert werden sollte – ob als Kinder- oder Jugendbuch (eine schwierige Entscheidung).

      Antworten

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