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Buchbesprechung: Lilli Thal „Die Puppenspieler von Flore“

thal_puppenspielerLesealter 14+(Gerstenberg-Verlag 2015, 476 Seiten)

Obwohl Lilli Thal bereits einige ausgezeichnete Jugendromane geschrieben hat, habe ich noch kein Buch der deutschen Autorin gelesen – „Die Puppenspieler von Flore“, das ich wärmstens ans Herz gelegt bekommen habe, war also meine Erstbegegnung mit der Autorin. Der Titel gibt, finde ich, nicht so wirklich wieder, um was es in dem Buch geht. Man erwartet am ehesten ein Kinder- oder Fantasybuch, aber beides ist Lilli Thals Roman nicht. Wenn man den Roman schon in eine Kategorie einordnen wollte, dann würde ich ihn am ehesten als Dystopie, die in einer anderen Welt spielt, bezeichnen.

Inhalt:

Am Tag seiner Schulabschlussfeier wird Tomaso aus der Schule geholt, ohne dass er vorher darüber informiert worden wäre. Seine Eltern hatten zu Hause schon eine Feier vorbereitet, aber daraus wird nichts, denn mit 19 anderen Jugendlichen wird Tomaso in einem Bus außer Landes gebracht und landet schließlich mit ihnen in einem Wüstencamp. Dieses befindet sich in Corona, dem angrenzenden Land von Parman, wo Tomaso bei seinen Eltern gelebt hatte.

Nach und nach wird klar, was hier los ist. Die 20 Jugendlichen sind eigentlich Kinder coronischer Eltern, wurden aber als Kleinkinder in parmanische Pflegefamilien gegeben. Nun sollen sie im Camp auf eine Geheimdienstoperation für Corona vorbereitet werden. Im diktatorisch geführten Flore, das Corona bedroht, sollen sie nach ihrer Ausbildung als Hausbedienstete eingesetzt werden – und zwar bei hochrangigen Personen, um sie zu bespitzeln.

Die Zeit im Camp ist für Tomaso schlimm, nicht nur weil er von seinen Eltern getrennt wurde … Die Ausbildung ist gnadenlos, immerhin freundet er sich mit einigen der anderen Jugendlichen an. Nach mehreren Monaten wird er schließlich als parmanischer Junge in das Haus des gefürchteten Geheimdienstgeneral Utuk weitergeschickt. Dort bekommt er bald mit, was für ein schreckliches Regime dieser führt. Im Keller des Hauses werden regelmäßig Aufständische hingerichtet.

Die neue Arbeit als Mechaniker im Haus des Generals ist hart, wenigstens gibt es aber ein paar andere Hausbedienstete, die es gut mit Tomaso meinen. Tomaso lernt außerdem den Sohn des Generals kennen, der Puppenspieler ist. Von den Puppenspielen ist Tomaso völlig fasziniert, während General Utuk nur Verachtung dafür übrig hat.

Bewertung:

Ich lese selten Bücher, die in einer anderen Welt spielen, aber ich habe es als Abwechslung genossen, in die Welt, die Lilli Thal da hervorzaubert, einzutauchen. In vielem ist „Die Puppenspieler von Flore“ ein düsteres Buch, eine Art Dystopie. Das politische System in Flore ist ein Schreckensregime: Gegner werden verfolgt und hingerichtet, überall sind Propaganda-Lautsprecher, die wirken, als wären sie George Orwells „1984″ entstiegen, angebracht, und den Menschen jenseits der Machthaber und High Society geht es nicht gerade gut.

Tomaso erlebt im Laufe des Buchs einen Albtraum: Sein bisher ruhiges Leben, das er geschätzt hat, wird durch die Verschleppung ins Camp und später nach Flore auf den Kopf gestellt, immerhin findet er bei den anderen Jugendlichen im Camp, vor allem bei einem Mädchen, etwas Halt. Doch als er schließlich im Haus des Generals Utuk arbeitet, beginnt für ihn eine schwere Zeit, in der er immer wieder er am Verzweifeln ist … Die Welt, die Lilli Thal beschreibt, ist zweifelsohne düster, sie ist kalt, kein Ort zum Wohlfühlen – aber beschrieben wird sie in sich stimmig. Hoffnung bieten hier und da allenfalls einige wenige Menschen.

Geschickt gemacht ist, dass Tomaso bald Zeuge der Proben für ein großes Puppenspiel wird, das die Frau des Generals und dessen Sohn für die bevorstehenden Puppenspiel-Wettkämpfe einüben. Eine Geschichte in der Geschichte wird hier aufgebaut, und das Märchen um einen Alchemisten, der die Weltherrschaft erringen will, spiegelt auf anderer Ebene die Welt Flores mit seiner Grausamkeit und Lieblosigkeit wider. Dieses Puppenspiel-Märchen, in Etappen erzählt, schlägt einen in Bann und ist grandios erzählt. Darüber hinaus bekommt der auch metaphorisch angelegte Begriff der „Puppenspieler“ (Tomaso und die Jugendlichen werden in vielem wie Marionetten von anderen gesteuert) in der Geschichte eine geschickte erzählerische Pointierung.

Im letzten Drittel legt der Roman noch einmal deutlich an Spannung zu – viele Verwicklungen und unerwartete Wendungen warten hier auf den Leser. „Die Puppenspieler von Flore“ zeigt spätestens hier, dass es nicht nur Dystopie, sondern auch ein packendes Abenteuerbuch ist. Langweilig wird einem bei diesem Buch ganz bestimmt nicht. Das liegt auch daran, dass Lilli Thal der Geschichte viel Leben einzuhauchen versteht – auch weil man als Leser Tomaso schon nach wenigen Seiten liebgewonnen hat. Man trifft neben Tomaso auf sympathische, herzensgute, manchmal geheimnisvolle Figuren, dann aber auch auf undurchsichtige und verschlagene Personen.

Der Leader, der Geheimdienstchef der Coroner vor Ort in Flore, ist zum Beispiel so eine nicht zu durchschauende Figur. Alle Mittel sind ihm heilig, um seine Ziele zu erreichen, und mit Tomaso kommt es hier immer wieder zu Konflikten, denn Tomaso will nicht nur Handlanger sein. Er glaubt an das Gute im Menschen, auch wenn die Welt um ihn anders aussieht. Auch aus diesem Kampf resultiert ein großer Teil der Spannung, die das Buch ausmacht.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Die Puppenspieler von Flore“ ist ein vielschichtiger, ein gelungener Jugendroman, der mir gut gefallen hat. Schade, dass das Cover so nichtssagend ist und meiner Meinung nach nicht gerade Werbung für das Buch macht – die Geschichte hätte etwas anderes verdient … Als Leser wird man jedoch gekonnt in eine Welt entführt, in der Machtkämpfe das Leben bestimmen; und Tomaso, ein unbedarfter Junge, wird in die Wirren der Geheimdienste hineingezogen und muss hier überleben.

Lilli Thal entfaltet die Geschichte mit viel Können: sprachlich gewandt, passend und raffiniert erzählt – insbesondere auch durch das Motiv des Puppenspiels, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. „Die Puppenspieler von Flore“ ist eine bisschen Dystopie, ein bisschen Abenteuerroman und dürfte Mädchen wie Jungen ab einem Alter von 14 Jahren gefallen, die „Tribute von Panem“ lieben, gerne in andere Welten abtauchen und dabei auch Spannung haben wollen.

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(Ulf Cronenberg, 15.10.2015)

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