(Carlsen-Verlag 2015, 280 Seiten)
Beim Wettbewerb um den längsten Buchtitel eines Jugendromans dürfte Jordan Sonnenblicks neues Buch einen der vorderen Ränge einnehmen. Das hat natürlich was … Davon abgesehen: Auf einen Debütroman mit dem Wort Schlagzeuger im Titel, in dem es eigentlich um Leukämie ging, folgt im Titel nun eine Gitarre, und es geht eigentlich auch wieder um etwas anderes …
Inhalt:
Richies Eltern waren Ende der Sechziger Jahre Jugendliche, doch von ihrer bewegten Jugend (Richies Vater besuchte 1969 sogar das Woodstock-Festival) merkt man nicht mehr viel. Sie sind als Eltern eines Jugendlichen schon recht alt, außerdem bieder und überbehütend, was Richie immer wieder auf die Palme bringt; sie erlauben ihrem Sohn nur sehr wenig. Ein Problem ist es deswegen auch, als Richie einer Freundin verspricht, auf einer Protestdemonstration (er weiß gar nicht, worum es geht) mit seiner Gitarre aufzutreten und ein paar Lieder vorzutragen. Er muss das heimlich tun, denn seine Eltern würden es nie erlauben, zumal sie Richies Freundin nicht ausstehen können.
Bei dem Auftritt geht jedoch einiges schief. Richie wusste nicht, dass pro Cannabis-Konsum für Kranke demonstriert wurde. Ein am Ende etwas naiv vorgetragener Protestsong aus den 60ern, der dazu auffordert, high zu werden, führt zum Eklat – am Ende wird Richie von der Polizei abgeführt. Seine Eltern sind empört.
Etwas Ungewöhnliches passiert ein paar Tage später, dem Todestag von Michael, dem großen Bruder seines Vaters, der zwei Monate nach Woodstock an einer Überdosis Heroin gestorben ist. Richie schleicht sich in den Kellerraum seines Vaters und entdeckt dort eine alte E-Gitarre sowie einen Verstärker im Schrank. Schnell wird ihm klar, dass er das Instrument vor sich hat, auf dem Jimi Hendrix in Woodstock gespielt hat; und ein Zettel fordert ihn auf, einen bestimmten Akkord zu spielen. Kaum hat er das getan, findet er sich im Jahr 1969 wieder, nackt mitten auf einer Straße, wo er von einem Cadillac angefahren wird.
Die Jugendlichen, die ihn angefahren haben, sind schockiert – Richie jedoch noch mehr, als er bemerkt, dass er seinen Vater, dessen Bruder und seine Freundin vor sich hat und mit ihnen auf dem Weg nach Woodstock ist. Seine Identität hält Richie geheim, wahrscheinlich würde ihm sowieso niemand glauben. Schon bald lernt er seinen Vater von einer ganz anderen Seite kennen, erlebt außerdem das Festival live mit …
Bewertung:
Ja, ich muss schon sagen, Jordan Sonnenblicks Roman (Übersetzung: Gerda Bean) ist eine ganz ungewöhnliche Zeitreisen-Geschichte. Kein Science-Fiction-Buch. Es gibt keine seltsame Zeitmaschine, die Richie in die Vergangenheit katapultiert, sondern es ist eine Gitarre. Was sich dann abspielt, ist eine ganz eigenwillige Entdeckungsreise: den eigenen Vater als Jugendlichen kennenzulernen, mit dem Gefühl, dass man sich in einem surrealen Traum befindet.
„Die total irre Geschichte mit der Gitarre meines Vaters …“ (ich werde den Titel jetzt nicht immer ganz ausschreiben) ist eine grandiose Umsetzung der Zeitreisen-Idee. Richie, der an seinen ziemlich alten, biederen und übervorsichtigen Eltern immer wieder leidet, darf erfahren, wie sein Vater zu dem geworden ist, was ihn als Erwachsenen ausmacht. Ziemlich viele Geheimnisse sind es, auf die Richie nach und nach stößt, und viel dreht sich dabei um den Bruder seines Vaters: vom Vater fast vergöttert und dann an Drogen gestorben.
Keine einfache Kindheit hatte Richies Vater: Die Eltern waren Alkoholiker, wurden mitunter gewalttätig, Michael hat über den jüngeren David (wie Richies Vater heißt) seine schützende Hand zu halten versucht, wollte ihn vor dem Schlimmsten bewahren. Die Reise nach Woodstock markierte so etwas wie den Wendepunkt in der Bruder-Beziehung, denn David wird klar, dass sein Bruder etwas vor ihm verheimlicht – und was das war, weiß Richies Vater auch mehr als 30 Jahre später noch nicht. Richie dagegen, der von den anderen auf dem Woodstock-Festival Gabriel genannt wird (Richies Zweitname), weil er wie ein Engel vom Himmel gefallen ist, bekommt irgendwann heraus, was Michael vor seinem Bruder geheimhält: Michael vertraut sich ihm an.
Für Richie ist vieles, was ansonsten beim Festival passiert, recht heftig: Er bekommt mit, dass sein Vater ständig bekifft ist, er lernt eine lockere und heitere, aber auch fürsorgliche Seite an seinem Vater kennen, die diesem später abhanden gekommen ist. Dieses Aufdecken von Familiengeheimnissen durch den Zeitreisentrick ist gut gemacht – auch psychologisch plausibel. Ganz nebenbei erfährt man ziemlich viel über das Jahr 1969 und über Woodstock – der Roman hat also auch einen gewissen Bildungsaspekt.
Richie alias Gabriel und seine neuen Freunde lernen auf dem Festival auch einige Musiker kennen: John Sebastian hat einen Auftritt, am Rande auch Janis Joplin, schließlich spielt Jimi Hendrix eine Rolle. So wichtig diese Begegnungen für die Story sind, für mich haben sie zu den am wenigsten gelungenen Stellen des Romans gehört – sie waren mir nicht glaubwürdig genug. Wie Jimi Hendrix sich z. B. auf Gabriel einlässt, mit ihm spricht – das wirkt nicht gerade authentisch, auch wenn Jordan Sonnenblick hier auf Jimi Hendrix‘ auch in der Wirklichkeit schwierige Beziehung zu dessen Vater anspielt. Geschuldet ist das, ganz klar, der Geschichte, die sonst nicht funktionieren würde.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. Jodan Sonnenblicks „Die total irre Geschichte mit der Gitarre meines Vaters …“ ist ein hochsympathisches Buch mit einer ungewöhnlichen Idee, ein Buch, das um viele Themen kreist, insbesondere um das Verhältnis zwischen einem Vater und dessen Sohn. Richie, der oft von seinen Eltern genervt und enttäuscht ist, lernt durch die Reise in die Vergangenheit seinen Vater verstehen, weil er die prägenden Erfahrungen seines Vaters miterlebt. Eine solche Zeitreise täte vielleicht vielen Jugendlichen gut, die mit ihren Eltern nicht zurechtkommen …
Woodstock ist ein Geschichtskapitel, das einem heute in einer Zeit oft fremd anmutet, wo Jugendliche verwöhnt und materiell bestens versorgt aufwachsen. Auch hier gefällt das Buch, weil es das Lebensgefühl von damals zumindest in Ansätzen zu transportieren weiß. Dass gerade die Figuren der Musiker, die in dem Buch auftreten, etwas klischeehaft und brav skizziert werden, ist schade, kann man aber vernachlässigen. „Die total irre Geschichte mit der Gitarre meines Vaters …“ ist ja keine Biografie von Jimi Hendrix, sondern die Umsetzung eines Gedankenspiels, und als solches funktioniert das Buch auch hervorragend. Alles in allem wird man gut unterhalten, kommt ins Grübeln und zum Nachdenken – was will man mehr?
(Ulf Cronenberg, 01.10.2015)
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