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Buchbesprechung: Hanna Jansen „Über tausend Hügel wandere ich mit dir“

jansen_huegelLesealter 15+(Peter-Hammer-Verlag 2015, 289 Seiten)

„Über tausend Hügel wandere ich mit dir“ ist inhaltlich kein ganz neues Buch, denn bereits 2002 ist unter gleichem Titel ein Jugendroman von Hanna Jansen erschienen, der wie das vorliegende Buch die Geschichte des Mädchens Jeanne während des Völkermords in Ruanda erzählt. Das Buch damals machte die Autorin und ihre Adoptivtochter aus Ruanda ziemlich berühmt, wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und in anderen Ländern fast noch positiver als in Deutschland aufgenommen. Das jetzt 2015 im Peter-Hammer-Verlag erschienene Werk ist kein reines Jugendbuch mehr, es stellt eine auch für Erwachsene gedachte Überarbeitung des damals im Thienemann-Verlag herausgegebenen Jugendromans dar.

Inhalt:

Jeanne ist zehn Jahre alt und wächst mit ihrem großen Bruder Jando und der kleinen Schwester Teya in Ruanda auf. Der Familie geht es im Großen und Ganzen gut, sie besitzt ein kleines Anwesen und hat einige Bedienstete. Jeannes Familie gehört den Tutsi an – einem Volksstamm, der in Ruanda eine Minderheit darstellt.

Das relativ behütete Leben Jeannes und ihrer Familie hat jedoch ein Ende, als in Ruanda im Jahr 1994 der Bürgerkrieg ausbricht. Die ersten Anzeichen sind geflohene Verwandte, die bei der Familie auftauchen und Unterschlupf suchen. Bald erreicht der Bürgerkrieg auch das Städtchen, in dem Jeanne lebt. Die Stimmung zwischen den Hutu und den Tutsi, die bisher alles in allem friedlich zusammengelebt haben, heizt sich von einem Moment auf den anderen auf. Auch Jeannes Eltern beschließen zu fliehen, als immer mehr Soldaten auftauchen und die Tutsi schikanieren. Ohne große Vorbereitung befindet sich die Familie plötzlich auf der Straße und versucht so, den zunehmenden Gräueltaten zu entkommen.

Auf der Flucht wird die Familie bald getrennt – Jeannes Mutter und Teya sind irgendwann weg, und Jeanne bekommt mit, wie ihr Bruder Jando skrupellos ermordet wird. Auch ihren Vater verliert Jeanne, als er sich um etwas zu essen kümmern will, aber nicht mehr zurückkommt. Jeannes selbst lebt wie in einem Albtraum weiter und versucht sich irgendwie durchzuschlagen.

Bewertung:

Die geschilderten Erlebnisse Jeannes sind nicht fiktiv, sondern Hanna Jansen erzählt in dem Buch das nach, was Jeanne ihr über den Bürgerkrieg und ihr Schicksal berichtet hat. Jeanne, deren gesamte Familie während des Bürgerkriegs ermordet wurde, war irgendwann nach Deutschland gekommen, von der Familie Hanna Jansens aufgenommen und schließlich adoptiert worden. Wie Hanna Jansen im Nachwort zu dem Buch schreibt, hat das Mädchen in den ersten Jahren lange und sehr ausführlich immer wieder von seinen schlimmen Erlebnissen erzählt.

In der Einleitung zu dieser Buchbesprechung wurde schon erwähnt, dass dem nun erschienenen Buch 2002 ein inzwischen vergriffener Jugendroman mit gleichem Titel vorausgegangen war, der Hanna Jansen (und Jeanne) berühmt gemacht hat. Mehr als zehn Jahre später wollte die Autorin Jeannes Geschichte noch einmal erzählen – vielleicht mit etwas mehr Distanz, in jedem Fall aber mit mehr Wissen über Ruanda, u. a. weil Hanna Jansen das Land vor einigen Jahren bereist hat. Wie Hanna Jansen schreibt, ist die Neuauflage von „Über tausend Hügel wandere ich mit dir“ nun kein reines Jugendbuch mehr, sondern hat eine etwas erwachsenere Perspektive. Das ist auch daran zu erkennen, dass vor den Kapiteln immer kurze Begebenheiten geschildert werden, wie Hanna Jansen die Gespräche oder bestimmte Situationen mit Jeanne damals erlebt hat. (Ich gehe davon aus, dass diese in dem Jugendroman, den ich nicht kenne, fehlen.)

Diese Kapitelleinleitungen sind kurze Situationssplitter, die aufzeigen, wie Jeanne versucht, ihre schlimmen Erlebnisse zu verarbeiten, sie verdeutlichen aber auch in Ansätzen, wie Hanna Jansen einfühlsam versucht hat, Jeanne aufzufangen, dabei aber auch immer wieder an ihre Grenzen gestoßen ist – denn Erklärungen für das, was in Ruanda passiert ist, gibt es nicht wirklich. Wertvoll sind diese Kapiteleinleitungen, weil sie die Perspektive einer Person einbringen, die mit den Schrecken konfrontiert wird, sie aber nicht erlebt hat – eine Perspektive, die man als Leser indirekt und abgemildert ja auch hat. Ansonsten gibt der Roman in Ich-Form konsequent aus der Sicht Jeannes deren Erlebnisse wieder, und die sind eindrücklich und schockierend, weil man sich eigentlich nicht vorstellen kann, wie man als Mädchen in diesem Alter so etwas jemals verkraften kann.

Bewundernswert finde ich, wie gut Hanna Jansen sich in die Welt Jeannes einfühlt – man hat nicht den Eindruck, dass hier ein Deutsche schreibt, die das alles nur aus Erzählungen und Berichten kennt. Jeannes kindliches Entsetzen, ihr Nichtbegreifen von dem, was passiert, ihr trotz der Schrecken vorhandener Überlebenswillen – all das wird sehr genau beschrieben.

Leichte Kost bietet „Über tausend Hügel wandere ich mit dir“ ganz bestimmt nicht, denn hier wird nichts beschönigt – es ist ein ehrliches, ein notwendiges Buch, das aus der persönlichen Sicht eines Kindes von etwas Unvorstellbarem erzählt. In 100 Tagen verloren mehrere Millionen von Menschen ihr Leben, wurde ein Land ins Chaos gestürzt, aus dem es nur langsam wieder auftaucht …

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Über tausend Hügel wandere ich mit dir“ ist das dritte Buch von Hanna Jansen, das ich gelesen habe, und wie „Herzsteine“, in dem es auch um Ruanda geht, und „Zeit der Krabben“ ist auch dieses Buch ein runder und gelungener Roman. Literarisch gekonnt erzählt die Autorin die kaum auszuhaltenden Erlebnisse eines Mädchens während des Bürgerkriegs in Ruanda nach. Man merkt auf jeder Seite, dass Hanna Jansen sich sehr intensiv mit Jeanne auseinandergesetzt und sich um das Mädchen gekümmert hat – anders wäre diese Intensität, mit der hier berichtet wird, nicht möglich gewesen. Dem Buch wünsche ich jedenfalls viele Leser, denn wir Menschen sollten uns mit solchen Dingen auseinandersetzen und die Frage stellen, wie es dazu kommen konnte und wie man Ähnliches verhindern kann – auch wenn es keine einfachen und passenden Antworten geben mag.

Darüber hinaus ist „Über tausend Hügel wandere ich mit dir“ ein gekonnter Brückenschlag zwischen Erwachsenen- und Jugendliteratur – auf der Webseite des Peter-Hammer-Verlags findet man das Buch im Bereich „Literatur“, nicht im Jugendbuchprogramm. Dennoch: Leser ab 14 oder 15 Jahren können dieses Buch bedenkenlos lesen – auch die eingestreuten Reflexionen der Autorin sind ab diesem Alten problemlos zu erfassen.

Es stellt immer ein Wagnis dar, wenn Autoren aus der nördlichen Hemisphäre ein Buch über Afrika oder andere Entwicklungsländer auf der Südhalbkugel schreiben – aber in diesem Fall kann ich nur noch einmal meine grenzenlose Bewunderung darüber ausdrücken, wie authentisch der Roman ist. Danke für dieses Buch, möchte ich nur sagen.

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(Ulf Cronenberg, 28.08.2015)

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Kommentare (2)

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