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Buchbesprechung: Erin Jade Lange „Halbe Helden“

lange_heldenLesealter 13+(Magellan-Verlag 2015, 331 Seiten)

Erin Jade Langes Debütroman „Butter“ war ein gelungenes Jugendbuch, weil es auf tragikomische Art und Weise die Möglichkeiten, über soziale Netzwerke Aufmerksamkeit zu bekommen, auf die Spitze getrieben hat. Nun liegt in anderem Verlag der zweite Jugendroman der noch recht jungen Amerikanerin vor: „Halbe Helden“ – was für ein toller Titel, der allerdings nicht aus dem Englischen übernommen wurde, wo das Buch „Dead Ends“ heißt.

Inhalt:

Dane ist ein Schüler, der ziemlich schnell handgreiflich wird, und dass er noch nicht von der Schule geflogen ist, hat er seinen guten Noten zu verdanken. Der Direktor will ihn seiner Schulleistungen wegen gerne behalten – aber so langsam wird es eng angesichts Danes wiederkehrender Ausraster.

Eines Tages steht vor dem Nachbarhaus von Dane ein Umzugswagen. Mit seiner Mutter ist dort ein etwa gleichaltriger Junge eingezogen, wie Dane bald erfährt. Billy D, wie der Junge sich nennt, ist etwas seltsam: Er mustert Dane ausgiebig von unten nach oben und bleibt dabei unerschrocken vor Dane stehen – was sich sonst keiner traut. Dane hat gleich den Eindruck, dass mit Billy D etwas nicht stimmt. Außerdem ist Billy D anhänglich: Schon am nächsten Tag folgt er Dane auf Schritt und Tritt auf dessen Schulweg, was Dane mehr als lästig findet. Doch abschütteln kann er Billy D nicht …

Als Dane kurz davor ist, die Schule verlassen zu müssen, kommt von unerwarteter Seite Hilfe: Das Direktorat will Dane gegenüber noch einmal Nachsicht zeigen, wenn dieser sich um Billy D kümmert und seine schützende Hand über ihn hält. Dane hat darauf überhaupt keine Lust, aber letztendlich hat er keine andere Wahl, will er nicht der Schule verwiesen werden.

Mit Billy D, der das Down-Syndrom hat, beginnt von da ab eine seltsame Freundschaft. Wie Dane wächst Billy D ohne Vater auf – während Dane seinen Vater nicht kennt, hat der Vater von Billy D erst vor einigen Jahren die Familie verlassen. Billy D hat sich in den Kopf gesetzt, ihn zu finden, und mit Hilfe eines Atlas voller Rätsel über Orte mit seltsamen Namen, den sein Vater hinterlassen hat, glaubt Billy D auf der richtigen Spur zu sein … Billy D will Dane davon überzeugen, dass auch dieser nach seinem Vater suchen soll – doch Dane will davon nichts wissen.

Bewertung:

Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: „Halbe Helden“ (Übersetzung: Jessika Komina und Sandra Knuffinke) hat mir ziemlich gut gefallen, weil es ein ernstes wie unterhaltsames Buch ist, das einige brisante Themen anpackt, ohne sie problemschwer abzuhandeln.

Da geht es zuerst einmal um das Down-Syndrom – Dane spricht Billy D gleich zu Beginn in seiner nicht gerade empathischen Art als „Mungo“ an … Wie Erin Jade Lange Billy D schildert, wirkt authentisch – einfühlsam, aber ohne Mitleid: Billy D wird als Junge mit ganz normalen Wünschen und Sehnsüchten beschrieben, der allerdings renitent und dickköpfig auftreten kann. Bei Dane eckt er damit ziemlich oft an. Aber es dauert trotzdem nicht lange, bis man Billy D als Leser liebgewinnt, ohne nicht jedoch weiterhin zu verstehen, wie nervig er sein kann.

Dane ist dagegen zwar im eigentlichen Sinn kein „behinderter“ Junge (darf man das Wort „behindert“ in einer Zeit überkorrekter politischer Sprachtendenzen überhaupt noch verwenden?) – so ganz stimmt das jedoch nicht, denn als normal kann man Dane auch nicht beschreiben. Hochexplosiv ist er, könnte man sagen. Es muss nicht viel passieren, und schon juckt es ihm in den Fäusten, und dann dauert es meist nicht mehr lange, bis er auf andere losgeht und sie verprügelt. Die Impulse dazu hat er natürlich auch Billy D gegenüber, aber an „Schwächeren“ will er sich nicht vergreifen. Jedenfalls sind beide Jungen auf ihr Art und Weise nicht ganz normal, und was das Buch leistet, ist, dass die Grenzen zwischen „normal“ und „nicht normal“ zunehmend verschwimmen.

Was „Halbe Helden“ nicht nur in Bezug auf Dane und Billy D ausmacht, sind dessen Figuren: Danes Mutter hat z. B. ihre Spleens und löst ihre Rubbellosgewinne (durchaus beachtliche Summen) nie ein, um nicht das Glück zu gefährden. Irgendwann kommt außerdem die ziemlich burschikose Seely hinzu, ein nach außen hin toughes, im Inneren aber sehr einfühlsames Mädchen … – eine eigenwillige gute Fee, die mehrmals schlichtet, wenn es zwischen Billy D und Dane mal wieder ordentlich gekracht hat.

Was die Story in Gang hält, ist die Suche nach dem Vater von Billy D, der sich mit der Lösung der Atlas-Rätsel auf dem richtigen Weg glaubt. Dane und Seely helfen Billy D, die Rätsel nach und nach zu lösen, aber oft eher, um Billy D nicht zu enttäuschen, als dass sie glauben, dessen Vater so wirklich zu finden. Der glorifizierte Vater von Billy D bekommt im Laufe der Geschichte so einige Kratzer ab, so dass Dane sich irgendwann fragt, warum Billy ihn überhaupt sucht. „Halbe Helden“ ist damit auch ein Buch über Jungen, die ohne Vater aufgewachsen sind und die – ob sie es sich eingestehen oder nicht – darunter leiden.

Dass der Roman am Ende ein wenig zu einem Roadmovie wird, sich außerdem nicht alles in Wohlgefallen auflöst, tut dem Buch gut – lange hatte ich ein rührseliges Ende befürchtet, das jedoch gottseidank nicht eingetreten ist.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Die zweiten Bücher von Autorinnen und Autoren sind oft kritisch – schon bei vielen Autoren habe ich erlebt, dass auf einen grandiosen Debütroman ein eher langweiliges Zweitwerk folgt. Bei Erin Jade Lange ist das glücklicherweise nicht der Fall. Langes Erstlingswerk über den übergewichtigen Butter war etwas Besonderes, hatte aber kleinere Schwächen; „Halbe Helden“ dagegen ist fast makellos – am ehesten kann man einwenden, dass hier fast ein bisschen zu viele Rezepte modernen Creative Writings (schräge Figuren, Witz, ein besonderer Aufhänger etc.) eingearbeitet sind. Doch letztendlich passt hier alles, sind in dem Buch alle Klippen erfolgreich umschifft: Dane wird durch Billy D kein wirklich geläuterter Mensch, Billy D findet eben nicht am Ende einfach seinen Vater etc. Der Titel „Halbe Helden“ beschreibt ganz gut, um wen und was es hier geht.

Erin Jade Lange erzählt – noch einmal zusammengefasst – eine unterhaltsame Geschichte, deren Mischung stimmt. Ernste Themen und Schicksalsschläge auf der einen Seite, Heiteres und Lebensglück auf der anderen Seite halten einander die Waage, und die Hauptfiguren des Buchs wachsen einem als Leser recht schnell ans Herz. Ein Buch wie geschaffen als Urlaubslektüre, für Jungen wie für Mädchen.

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(Ulf Cronenberg, 06.08.2015)

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Kommentare (2)

  1. Pingback: Bücher | Vienna News

  2. Ami

    Da ich sehr gerne Bücher lese, deren Charaktere „anders“ sind, habe ich mir dieses Buch gekauft und es hat mir sehr gut gefallen. Dane, ein Rowdy, ist zunächst nicht gerade begeistert davon, jeden Tag zusammen mit Billy zur Schule gehen zu müssen und findet es peinlich, mit ihm zusammen gesehen zu werden. Doch bald schließt er den Jungen mit Down-Syndrom ins Herz, was er sich selbst aber erst allmählich eingesteht.
    Eine ziemlich unschöne Szene gibt es, als Billy, dem Dane Selbstverteidigung beibringt, zwei Jugendliche attackiert, ohne von diesen selbst angegriffen worden zu sein.
    Was das Buch auch interessant macht ist die Tatsache, dass die Vatersuche letztlich nicht so endet, wie man es sich als Leser zunächst vorstellt. Wohin die Hinweise in Billys Atlas die beiden schließlich führen, darauf weist schon der englische Originaltitel hin. Es kommt heraus, dass es Billy in Wahrheit um etwas anderes geht, eine Frage, auf die er sich durch die Suche eine Antwort erhofft.
    Auf jeden Fall bin ich mit dem Ende voll und ganz zufrieden, es gibt nichts, was mich als Leser mit einem unbefriedigendem Gefühl zurückgelassen hätte. Von mir gibt es daher auch fünf Punkte!

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