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Buchbesprechung: Bettina Obrecht „Opferland“

obrecht_opferlandLesealter 13+(cbj-Verlag 2015, 286 Seiten)

Das letzte gelesene Buch – Daniel Höras Kurzroman „Auf dich abgesehen“ – hatte das gleiche Thema wie Bettina Obrechts Jugendbuch „Opferland“: Es geht in beiden Büchern um Mobbing, die Hauptfiguren sind Mobbingopfer. Vielleicht mag die Sensibilität für das Thema in den letzten Jahren etwas gestiegen sein, aber dass es deswegen kein Mobbing mehr gibt, kann man wahrlich nicht sagen. Von daher hat Bettina Obrecht, deren Erstroman „Isoliert“, der schon 6-einhalb Jahre alt ist und mir gut gefallen hat, wieder ein aktuelles und heikles Thema aufgegriffen.

Inhalt:

Cedric geht in die 10. Klasse, wohnt aber nicht bei seinen Eltern. Zumindest unter der Woche. Nach jahrelangen schlimmen Mobbing-Erfahrungen in verschiedenen Schulen, in deren Nähe seine Eltern gewohnt haben, haben er und seine Eltern beschlossen, dass er einen Neuaufang an einem ganz anderen Ort starten soll. Freunde der Eltern nehmen Cedric deswegen unter der Woche auf, und dort geht er in eine Schule, wo ihn niemand von früher kennt.

Ganz einfach ist das anfangs für Cedric nicht, denn er vermisst seine Eltern. Außerdem hat er noch immer große Angst, dass das Mobbing auch an der neuen Schule wieder beginnen könnte. Als der Leiter der Filmgruppe, in die Cedric gerne geht, vorschlägt, dass sie einen Film zum Thema Mobbing drehen könnten, wird Cedric panisch. Niemand weiß von seinen persönlichen Erfahrungen damit. Als Lars, ein beliebter Schüler, beim Rausgehen aus der Schule Cedric auch noch das Wort „Loser“ an den Kopf wirft, rastet Cedric aus und schlägt Lars so, dass er blaue Flecken im Gesicht hat.

Cedric bereut seinen Ausraster sofort, denn er will nicht gewalttätig sein … Doch Lars will natürlich nicht hinnehmen, was passiert ist, auch wenn Cedric sich mehrfach dafür entschuldigt. Cedric möchte am liebsten wieder fliehen, die Filmgruppe verlassen; Charly, der betreuende Lehrer, kann ihm das aber ausreden. Doch die Situation spitzt sich zu, weil Lars über Facebook danach fragt, ob jemand Cedric, der ihn übel zugerichtet hat, kennt. Cedric hat Angst, dass ihn seine Vergangenheit einholen könnte …

Bewertung:

Es gibt viele Jugendbücher über das Thema Mobbing (eine Auswahl der von mir besprochenen Bücher dazu ist hier zu finden), und da ich beruflich auch viel mit dem Thema zu tun habe, interessiere ich mich immer wieder für Jugendromane darüber. Über Mobbing zu schreiben, ist sicher nicht einfach. Nicht auf stereotype Schuldzuweisungen, Erklärungsmuster und Persönlichkeitsbeschreibungen von Schülerinnen und Schülern zurückzugreifen, sondern differenziert zu bleiben, das fällt mitunter gar nicht leicht.

Bettina Obrechts Buch ist rein aus der Opferperspektive geschrieben. Cedric berichtet auf zwei Ebenen, was ihm passiert: einmal aus der „Gegenwart“ in der 10. Klasse, einmal aus der Vergangenheit, als das Verhängnis in der Grundschule seinen Lauf genommen hat. Die früheren Schilderungen sind kursiv als Art Zwischenkapitel in den Text eingefügt, die Vermutung (die am Ende quasi eine Bestätigung findet) liegt nah, dass es sich dabei um frühere Aufzeichnungen von Cedric handelt.

Zu Beginn habe ich mich etwas schwer getan, in das Buch zu kommen – gepackt hat mich der Roman erst nach gut 50 Seiten. Der Einstieg ist vielleicht etwas spröde, auch wenn es objektiv da eigentlich nichts zu mäkeln gibt. Die Dynamik zwischen den verschiedenen Personen kommt jedoch erst nach einer Weile in Schwung, und von da an fand ich „Opferland“ auch spannender.

Cedric ist anders als Gleichaltrige – eine Erfahrung, die wohl fast alle Mobbingopfer kennen. Einen großen Sonderling kann man den Jungen nicht nennen, aber er ist in der Grundschule vielleicht kindlicher als andere, zugleich aber auch schlau und interessiert an vielem, spielt zudem nicht gerne Fußball und ist nicht gertenschlank. Um als Projektionsfigur für Aggressionen zu gelten, reicht das schon aus. Und so bekommt Cedric schon bald vieles ab: Ihm werden Sachen weggenommen, zufällig stehen ihm Beine im Weg, so dass er stolpert, er wird mit Schimpfwörtern bedacht, seine Klamotten in der Turnhallenumkleide verschwinden – und das alles immer wieder, ohne dass ihm jemand in der Schule zur Seite steht.

Und die Lehrkräfte in der Grundschule? Die bekommen immer nur mit, dass Cedric sich unbeholfen wehrt, indem er rumschreit. Die Strafe bekommt dann er aufgebrummt, nicht der Verursacher. Cedric ist so bald als schwieriger und impulsiver Schüler verschrien, der den Unterricht mit seinen überzogenen Reaktionen stört und torpediert.

Ausgehen tut das alles in der Grundschule insbesondere von einem Schüler: Marvin. Dass er dann später im Buch wieder auftaucht, weil er mit Cedrics Schwester anbandelt, ist geschickt gemacht. Überhaupt kennt der Jugendroman viele gut platzierte Verschränkungen und andere Ebenen, die das Buch nicht eindimensional werden lassen: die Filmgruppe, die sich des Themas Mobbing annehmen will, was dazu führt, dass bei Cedric alles hochkommt; eine alte Frau im Mehrfamilienhaus von Cedrics „Pflegeeltern“, die die anderen Mitbwohner loswerden wollen, weil sie angeblich alleine nicht mehr zurecht kommt und verschroben ist; oder ein Schüler, der in der Filmgruppe anonym auf einem Zettel bekundet, dass er zu Hause geschlagen wird. Das Letzte ist vielleicht die fragwürdigste, weil etwas klischeehafte Konstruktion von „Opferland“, denn der Geschlagene – das erfährt man spät im Buch – ist ein Mobbing-Täter.

Doch ansonsten behandelt Bettina Obrecht das Thema wirklich sehr differenziert. Das Buch zeigt, wie die ganze Familie von Cedric in all das mit hineingezogen wird, alle Versuche der Eltern zu helfen, fehlschlagen, wenn nicht sogar die Situation verschlimmern. Konkreten Schuldzuweisungen verwehrt sich das Buch, aber natürlich wird klar, dass so viele Personen einfach nichts unternehmen, um Cedric zu helfen – sie machen die Augen zu, wollen nicht hinter die Kulissen blicken. Es tauchen auch eine Schulpsychologin und eine Sozialarbeiterin auf, die beide Cedric zur Seite stehen wollen – doch letztendlich agieren auch sie nur machtlos.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Eigentlich alles richtig gemacht, würde ich sagen. „Opferland“ ist ein vielschichtiges, ein gelungenes Buch, das sich dem Thema Mobbing sehr differenziert nähert und insbesondere die massiven Einschränkungen und schlimmen Auswirkungen nicht nur für das Opfer, sondern auch für dessen Angehörige behandelt. Wer wissen will, wie Mobbing seinen Verlauf nimmt, wie die Situation für das Opfer immer unerträglicher wird und eskaliert, wie sich ein Gemobbter fühlt und wie er jahrelang an den Attacken zu leiden hat, der findet in „Opferland“ ein Buch, wo all das haargenau beschrieben wird.

Dass mir der Titel des Romans und sein Untertitel („Wenn die anderen dich kaputt machen“) nicht so ganz gefällt, weil sie beide etwas reißerisch sind, sei nicht weiter beachtet. Immerhin weiß die Autorin den Begriff des Titels im letzten Absatz des Buchs auch gut zu nutzen: in der anspielungsreichen Formulierung „Und Opferland? Ist abgebrannt.“ Ja, am Ende gibt es einen Ausweg aus dem Mobbing … Zumindest für Cedric. Das Leben ist ansonsten nicht immer so gnädig mit den Geschundenen.

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(Ulf Cronenberg, 05.04.2015)

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Kommentare (2)

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