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Buchbesprechung: Christian Frascella „Bet empört sich“

frascella_betLesealter 16+(Frankfurter Verlagsanstalt 2015, 285 Seiten)

Für mich war Christian Frascella eine der Jugendroman-Entdeckungen der letzten Jahre, auch wenn seine Bücher in einem Verlag, der sonst Erwachsenenbelletristik vertreibt, erschienen ist. „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“, der beeindruckene Großmaulroman, wurde auch gleich für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. „Sieben kleine Verdächtige“, Frascellas zweiter Roman, hat mir sogar noch besser gefallen. Buch Nummer 3, das nun auf Deutsch erschienen ist, musste ich mir da gleich auch angucken.

Inhalt:

Bet ist 17 Jahre alt und lebt in Turin. Nach einer Familientragödie ist ihr Vater schon vor einigen Jahren ausgezogen, Bet, die ihren Vater verehrt, sieht ihn nur noch manchmal, denn er ist damals nach Rom gezogen. Die Mutter von Bet lebt inzwischen wieder mit einem Mann zusammen, dem etwas graumäusigen, aber stets gelassen auftretenden Leonardo.

Bet dagegen ist ganz anders: Mit ihrem aufbrausenden Temperament kann sie nie ihre Klappe halten, sei es in der Schule oder privat, und eckt damit ziemlich oft an. Auch was das Handeln angeht, überlegt sie häufig nicht, welche Folgen es haben könnte. Viele Freunde hat Bet deswegen nicht, sie ihrerseits schaut allerdings auch meist auf ihre Mitschülerinnen und Mitschüler herab und findet sie kindisch.

Als sie eines Tages aus der Schule flieht, beobachtet Bet, wie die Polizei die Wohnung einer alten Frau zwangsräumen will. Zur Seite steht dieser eine junge Schwangere, die sich gegen die Polizei stellt. Bet kann es nicht sein lassen, sich ebenfalls einzumischen, und weil daraufhin die Situation eskaliert, wird Bet schließlich in Polizeigewahrsam genommen. Es ist nicht das letzte Mal, dass Bet aneckt, weil sie sich nicht zurückhalten und ihren Mund halten kann.

Bewertung:

Christian Frascella scheint Figuren zu mögen, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Allerdings ist Bet doch etwas anders gestrickt als der namenlose Erzähler in „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“. Während dieser mit der großen Klappe seine Unsicherheit zu kaschieren versucht und etwas selbstverliebt daherkommt, ist Bet ein Mädchen das viele Zweifel kennt, dem es außerdem um Gerechtigkeit geht.

„Bet empört sich“ (Übersetzung: Annette Kopetzki) ist ein politischeres Buch als die bisherigen Romane von Christian Frascella. Als Bets Mutter ihren Job als Sekretärin aufgrund von Sparmaßnahmen verlieren soll, will die 17-Jährige sich wehren, weil die Schlappschwänze von den Gewerkschaften sich nicht wirklich für die Arbeiter und Angestellten einsetzen. Bets Vater war, bevor er nach Rom gezogen ist, selbst Gewerkschafter, hat diesen Job allerdings aufgegeben, weil er selbstkritisch feststellen musste, dass er nichts bewirken konnte.

Christian Frascellas Roman ist mir etwas fremder geblieben als die vorherigen beiden Bücher, und das liegt wohl vor allem daran: dass das Buch italienischer ist als die anderen Romane. Die Gesellschaftskritik, die in das Buch eingearbeitet ist, versteht ein italienischer Leser wohl besser als ein deutscher. Ein zweiter Grund ist, dass „Bet empört sich“ sich einige Zeit lässt, bis das Buch Fahrt aufnimmt. Das Geheimnis hinter Bets bisweilen störrischem, menschenabgewandtem Verhalten wird lange – da hat man schon die Hälfte des Buchs hinter sich – vor dem Leser versteckt, vorher nur in Nebensätzen angedeutet.

Die zweite Hälfte des Buchs ist dann auch die, die mir deutlich mehr Spaß gemacht hat. Bet gerät mehr oder weniger zufällig in eine abstruse Schulsituation, die dazu führt, dass sie mit einer spontanen Rede, in der sie die italienische Politik und Gesellschaft anprangert, die Öffentlichkeit auf sich zieht (mehr sei hier aber nicht verraten). Wie Bet auf die neue Berühmtheit reagiert, welche Lehren sie für sich daraus zieht, zeigt, dass Christian Frascella in Bet eine sperrige, aber stimmige Figur geschaffen hat.

Christian Frascella schreibt psychologisch unauffällig, aber gekonnt – das wird immer wieder deutlich, zum Beispiel, als Bet als Erzählerin Leonardo, den Freund ihrer Mutter, einführt:

„Leonardo sitzt am Tisch und tunkt einen Keks in die Milch. Ein Tropfen färbt ihm den Bart weiß, um gleich darauf im Borstengestrüpp zu verschwinden. Im nächsten Frühling wird er wieder auftauchen, wenn die Zeit zum Abholzen kommt.
Er trägt einen seiner drei grauen Bankangestelltenanzüge, die Krawatte ist eine grüne Schlange, die aus dem Wald am Kinn kriecht, in das Tal des Magens rutscht und orentierungslos am Bauchhang emporklettert.“ (S. 22)

Das ist einfach eine herrliche Stelle, und ein bisschen mehr dieser Art von Komik hätte ich mir hier und da gewünscht.

Es gibt außerdem zwei Dinge, die mich für das Buch eingenommen haben: Zum einen endet das Buch in einem grandios ungewöhnlichen Finale. Zum anderen Bet hat hier und da Erscheinungen (auch hier sei nicht mehr verraten). Ein bisschen magischer Realismus, wie ihn die südamerikanische Literatur kennt, hält hier Einzug. Darüber habe ich mich einerseits ein wenig gewundert, weil das wie ein kleiner Fremdkörper in dem sonst doch recht ernsten Buch wirkt. Andererseits zeigt es, dass Christian Frascella auch spielerisch an seine Hauptfigur herangeht. Und je länger ich darüber nachgedacht, desto passender finde ich diesen kleinen Schritt aus der Realität heraus.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. „Bet empört sich“ ist kein Buch, das für mich eine Liebe auf den ersten Blick war, auch auf den zweiten Blick kam sie nicht – aber je länger ich mich mit dem Buch beschäftigt habe, desto mehr mochte ich den Roman. Er hat ungewöhnliche Stärken – allem voran die rebellische Hauptfigur, eine seltsame Mischung aus Heldin und Anti-Heldin, die man liebgewinnt, auch wenn man sie nicht immer in allem versteht. Die Tragik des Erwachsenwerdens ist das Hauptthema des Romans.

Das Buch kennt allerdings auch kleinere Schwächen. Dazu zählt vor allem, dass das Buch für meinen Geschmack etwas zu lange braucht, bis es sein ganzes Potenzial entfaltet. Dass „Bet empört sich“ ein recht italienisches Buch ist und damit in manchem für italienische Leser reizvoller als für deutsche Leser sein dürfte, kann man dem Roman nicht vorwerfen.

Ich werde Christian Frascella weiterhin im Blick behalten, und ich wünsche mir, dass er auch in Zukunft der Grenzgänger zwischen Erwachsenen- und Jugendliteratur bleibt, als der er sich in seinen bisherigen drei Romanen gezeigt hat.

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(Ulf Cronenberg, 07.03.2015)

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