(Carlsen-Verlag 2014, 365 Seiten)
Es ist eine Weile her, dass ich ein Buch von Lauren Oliver gelesen habe … „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“ war ein beeindruckender Debütroman und wurde damals gleich für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Seitdem hab ich kein Buch mehr von der Autorin aus New York in der Hand gehabt (so ganz stimmt das nicht, weil ich „Delirium“ einmal angefangen, dann aber nicht weitergelesen habe – übrigens nicht, weil es mir nicht gefallen hat, sondern weil ich dann etwas anderes lesen musste). Mit „Panic“, das ein schmuckes Cover ziert, wollte ich es aber mal wieder probieren.
Inhalt:
In dem kleinen Städtchen Carp im Bundesstaat New York ist nicht allzu viel los, wenn man von einem gnadenlosen und verbotenen Spiel für Schulabgänger namens „Panic“ absieht. Jedes Jahr treten zahlreiche Schülerinnen und Schüler im Abschlussjahr gegeneinander an – ein Reigen an Mutproben, bei dem raus ist, wer sich etwas nicht traut oder in ungewöhnlichen Wettkämpfen gegen andere verliert.
Heather hat ihre Gründe, warum sie bei Panic mitmacht: Das Leben bei ihrer alkoholkranken und drogensüchtigen Mutter ist schrecklich, ihre kleine Schwester Lilly leidet auch darunter, und außerdem hat ihr Freund Matt erst kürzlich mit ihr Schluss gemacht, so dass ihr sowieso schon alles egal ist. Und die Siegesprämie – man spricht bald von über 50.000 Dollar – ist ein zusätzlicher Anreiz.
Ein weiterer Teilnehmer bei Panic ist Dodge, der seine speziellen Gründe fürs Mitmachen hat. Seine Schwester Danya ist seit einem Autounfall ab der Hüfte querschnittsgelähmt. Mit Panic will er nicht nur Geld beschaffen, um die durch den Unfall seiner Schwester durcheinander geratenen Familienfinanzen aufzubessern, sondern zugleich will er Rache an den beiden Jungen nehmen, die für den Autounfall verantwortlich sind …
Das Perfide an dem Spiel ist, dass niemand weiß, was die Teilnehmer machen müssen. Erst kurz vorher werden sie von den anonymen Spielorganisatoren und Punkterichtern darüber informiert … Und es sind höchst gefährliche Sachen dabei, bei denen in früheren Jahren schon Teilnehmer ums Leben gekommen sind. Die erste Prüfung sieht vor, dass die Teilnehmer nachts von einer Klippe springen müssen, bei der zweiten Prüfung geht einiges schief, denn die Polizei kommt dem Ganzen auf die Schliche … Doch Panic geht weiter und wird immer gefährlicher.
Bewertung:
„Panic“ (Übersetzung: Katharina Diestelmeier) ist ein spannendes Buch und steigt gleich im ersten Kapitel damit ein, dass Heather von der Klippe springen muss. Erst nach und nach erfährt man dann die Hintergründe zu Panic, und neben Heather wird außerdem bald eine zweite Hauptfigur eingeführt: Dodge. Das Buch wird abwechselnd personal aus beider Sicht erzählt.
Lauren Oliver – daran erinnere ich mich noch aus „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“ – ist eine gute Erzählerin. Daran hat sich nichts geändert. „Panic“ liest sich flüssig, es steht ein wenig in der zu Ausführlichkeit neigenden amerikanischen Erzähltradition, bei der Autoren es aber trotzdem schaffen, keine Langeweile aufkommen zu lassen. Das liegt daran, dass die ansteigende Spannung des Buchs mit den immer gewagter werdenden Mutproben auf ein Schlussduell am Ende zusteuert, zugleich macht Lauren Oliver jedoch nicht den Fehler, sich nur darauf zu konzentrieren und das Zwischenmenschliche wegzulassen.
Es geht in „Panic“ um mehr als um das verbotene Jugendspiel. Das Buch handelt ebenso von der Lebenssituation verschiedener Jugendlicher: Heather, die ihre Familiensituation hinter sich lassen will, Dodge, der Rache üben will, Nat, die davon träumt, als Modell groß herauszukommen, Bishop, der – ohne dass jemand etwas davon ahnt – in Panic, obwohl er kein Teilnehmer ist, auch eine Rolle spielt.
Ja, Heather. Sie ist die sympathische Hauptfigur des Jugendromans, eine Jugendliche mit Zweifeln, mit Verantwortungsgefühl ihrer kleinen Schwester gegenüber, und irgendwann hält sie es nicht mehr zuhause aus und nimmt ihre Schwester mit, um zunächst in einem Auto zu wohnen. Dass Heather dann die Erfahrung macht, dass sie woanders Geborgenheit findet, ist das, was der Geschichte, die das Leben Jugendlicher im Wesentlichen als trostlos beschreibt, auch ein wenig Hoffnungsvolles verleiht.
Was mir an „Panic“ gefallen hat, ist die bildreiche Sprache, die Lauren Oliver wählt – auch wenn sie sich in der Mitte des Romans ein wenig verliert. Vor allem ungewöhnliche Vergleiche sind zuhauf zu finden:
„Seine [Bishops] neueste Errungenschaft war ein Buick LeSabre, dessen Motor sich anhörte wie ein alter Mann, der versuchte eine Gürtelschnalle hochzuwürgen.“ (S. 33)
Diesen Vergleich mag mancher fast etwas abgeschmackt finden – aber ich musste grinsen, als ich den Satz gelesen habe … Lauren Oliver zeigt sich darüber hinaus als psychologisch versierte Schreiberin, die ihre Figuren plausibel darstellt. Was zwischen Heather und Bishop oder zwischen Dodge und Nat geschieht, ist raffiniert angelegt.
Fazit:
5 von 5 Punkten. „Panic“ ist ein kurzweiliges Buch, obwohl es über 350 Seiten hat. Es erzählt davon, wie in der Leere des Wohlstands aufgewachsene Jugendliche ihre Grenzen in einem Spiel ausloten, das ihnen dann über den Kopf wächst. Als Leser wird man von Anfang an in die Geschichte hineingezogen: zum einen, weil Panic als Spiel von Höhepunkt zu Höhepunkt jagt, zum anderen, weil die Figuren einem ans Herz wachsen und man Sorge hat, dass Unheilvolles passiert.
Lauren Olivers neuestes Buch ist vielleicht nicht so tiefgründig wie „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“ – aber es ist packende Unterhaltung, bei der man nebenbei ein bisschen in die Seelen einer Handvoll Jugendlicher schauen kann und die das Überdrussgefühl haltsuchender Jugendlicher gut beschreibt. Ein Buch für graue Wintertage, an denen man lieber auf dem Sofa liegt und etwas liest, als in die Kälte herauszugehen.
(Ulf Cronenberg, 19.02.2015)
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