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Buchbesprechung: Mats Wahl „Wie ein flammender Schrei“

wahl_schreiLesealter 13+(Hanser-Verlag 2014, 200 Seiten)

Es gab einige Jahre nichts Neues mehr von Mats Wahl zu lesen – aber gut, Mats Wahl ist inzwischen fast 70 Jahre alt und vielleicht nicht mehr ganz so produktiv wie früher. Sein letztes, auf Deutsch erschienenes Buch war „Du musst die Wahrheit sagen“, nicht unbedingt das beste Buch des Autors. „Wie ein flammender Schrei“, der neueste Jugendroman auf Deutsch, ist im Original bereits 2010 erschienen …

Inhalt:

Ellen ist mit ihrer alkoholkranken Mutter umgezogen und geht in der neuen Stadt in die Brantingschule. Geregelter Unterricht findet dort nicht statt. Von Schülern ausgelöste Feueralarme, Schüler, die die Klasse betreten und verlassen, wann sie wollen, Bedrohungen und Gewalt sind an der Tagesordnung. Das bekommt auch Ellen schon bald zu spüren, u. a. als sie eine Mitschülerin gegen die Attacken der vier schlimmsten Schüler verteidigt. Seitdem ist sie auch auf dem Radar der vier Schüler und Sprüche wie „Du bist scheißtot, wenn wir dich erwischen“ fallen immer wieder.

Zuhause ist die Situation für Ellen auch nicht gerade angenehm – ihre Mutter ist labil und trinkt zu viel Alkohol, Ellen macht sich immer wieder große Sorgen um sie. Immerhin lernt Ellen in ihrer Klasse Max kennen, der zufällig gleich bei ihr um die Ecke wohnt. Die beiden freunden sich an und verbringen immer mehr Zeit miteinander.

In der Schule spitzt sich jedoch alles zu. Eine neu eingesetzte Rektorin will die Brantingschule zu einer guten Schule machen, stößt aber auf den Widerstand des Kollegiums, das ihr vorwirft, die Dinge schönzureden. Das Schikanieren in der Schule hört nicht auf, wird eher schlimmer – vor allem, als Ellen der Rektorin erzählt, dass sie bedroht wurde …

Besprechung:

Ein typischer Mats-Wahl-Stoff ist das, wovon „Wie ein flammender Schrei“ (Übersetzung: Angelika Kutsch) handelt. Seit Mats Wahl in jungen Jahren selbst an einer Schule Referendariat gemacht und die Zustände an den Schulen (später bei Lesungen) kennengelernt hat, thematisiert er, was in Schweden bei Jugendichen und an Schulen schiefgeht. Bei mir hat sich anfangs fast schon etwas Widerstand geregt, weil die Situation in Ellens Schule so krass dargestellt wird – aber Mats Wahl bemüht sich, in einem Nachwort aufzuzeigen, dass es in Schweden Brennpunktschulen wie die Brantingschule gibt, an denen es wirklich so schlimm zugeht.

Was Ellen aushalten muss, wie sie von vier Mitschülern schikaniert wird, wird gut dargestellt; durch den personalen Erzählstil wirkt all das jedoch weniger schlimm, als wäre „Wie ein flammender Schrei“ in der Ich-Perspektive geschrieben. Ellens Befürchtungen und Ängste werden nur indirekt beschrieben, der Erzähler tritt hinter seine Figuren zurück und schaut nicht in sie hinein, sondern beobachtet und stellt dar, was passiert. Dennoch versteht man als Leser sehr gut, wie schwer alles für Ellen ist.

Im Text wird letztendlich nur angedeutet, was für die Misere an der Brantingschule verantwortlich ist. Geschildert wird dagegen, dass die Schulleitung hilflos reagiert, dass die Eltern der Problemkinder nicht ansprechbar sind und dass die Lehrkräfte zu schwach sind, um sich gegen gewaltbereite Schüler zu wehren. Für schwedische Leser steckt in dem Buch noch ein bisschen mehr an Gesellschaftskritik und Sprengstoff drin, wenn man am Ende miterlebt, wie hilflos und schönredend die Schulministerin reagiert, als es am Buchende zu einer Tragödie kommt.

Was die Geschichte angeht, so habe ich schon packendere Bücher von Mats Wahl gelesen, und ein bisschen hat man auch das Gefühl, dass man „Wie ein flammender Schrei“ so ähnlich von ihm schon gelesen hat. Gut, Mats Wahl bleibt sich treu, thematisch wie erzählerisch, und es ist auch gut, immer wieder mal solche Bücher zu lesen – aber als recht treuer Leser von Mats-Wahl-Büchern hätte ich mir doch ein bisschen Weiterentwicklung beim Autor gewünscht.

Fazit:

4 von 5 Punkten. „Wie ein flammender Schrei“ ist Mats Wahls neuestes, aber nicht sein bestes Buch – auch wenn es nichtsdestotrotz eindrücklich von Gewalt und Mobbing an einer Brennpunktschule erzählt. Sympathisch ist, dass der Text (und auch das Nachwort) sich mit eindeutigen Schuldzuweisungen zurückhält – das Buch zeigt jedoch auf, dass in der schwedischen Gesellschaft (und so viel anders ist es bei uns wohl auch nicht) einiges schiefläuft und die Verantwortlichen nicht unbedingt immer hilfreich und sinnvoll reagieren.

Das Verdienst von Mats Wahl ist, dass er nicht nur aufs Individuum schaut und nicht nur persönliche Probleme und Konflikte thematisiert, sondern dass er die Gesellschaft im Blick hat und zeigen will, dass es so nicht weitergehen kann. Die Jugendliteratur ist in den letzten Jahren, das ist mein Eindruck, arm an solchen gesellschaftlichen Mahnern geworden – und das ist irgendwie schade … Man könnte fast von einer Individualisierungsfalle sprechen, in die die Jugendliteratur in den letzten 10 bis 20 Jahren getappt ist. Mats Wahl steht dagegen für etwas anderes … – das mag man gut finden oder nicht.

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(Ulf Cronenberg, 08.10.2014)

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