(rororo rotfuchs 2014, 200 Seiten)
Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass das nächste Buch von Nils Mohl nach „Es war einmal Indianerland“ und „Stadtrandritter“ der dritte und letzte Band der Stadtrand-Saga sein würde – doch dann wurde im Frühjahr, was mich etwas verwundert hat, „Mogel“ angekündigt. „Mogel“ ist ein eigenständiges Buch, das jedoch im gleichen Milieu (einer Hochhaussiedlung angelehnt an das Hamburger Jenfeld) wie die Stadtrand-Saga spielt. Während die beiden Bände der Stadtrand-Saga mit 350 bzw. fast 700 Seiten daherkommen, nimmt sich Nils Mohl neues Buch jedoch als dünnes Bändchen aus …
Inhalt:
Miguel ist 15 Jahre alt und mit seinen Eltern vor einiger Zeit aus einer Hochhaussiedlung in ein komfortables Reihenhaus gezogen. Ein wenig hat ihn das von seinen Freunden aus der alten Siedlung entfremdet, dennoch trifft er sich regelmäßig mit Silvester, Flo und Dimi, die noch immer dort wohnen.
Eine ihrer beliebten Freizeitbeschäftigungen ist das Spielen von Bierpong, einem feuchtfröhlichen Trinkspiel mit Tischtennisplatte und –ball. Zum ersten Mal treffen sie sich hierzu in Miguels neuem Haus, und als Flo bemerkt, dass sie die ganze Zeit mit „Pussybier“, also alkoholfreiem Bier, gespielt haben, sinnen die drei Freunde auf Rache.
Miguel soll sich als Mädchen verkleiden und so an einer Tankstelle richtiges Bier besorgen. Bis 24 Uhr soll Miguel in Frauenkleidern umherziehen, beim Herrichten helfen ihm Silvesters Schwester Kitty und deren Freundin Domino. Als sie dann an der Tanke ankommen, nimmt das Verhängnis seinen Lauf …
Mit Unterstützung gelingt es Miguel, der nun Miguela heißt, das Bier zu besorgen, und anschließend beschließen die Vier ins ChakaBum!, eine Disco, zu gehen. Dort begegnet Miguel Hengst, der ihm in der Tankstelle beim Bierkaufen geholfen hat, sowie dessen Freundin Candy. Hengst versucht Miguel alias Miguela anzubaggern und zieht damit Miguel in etwas hinein, das an dem Abend noch weite Kreise ziehen wird …
Bewertung:
Auch wenn „Mogel“ nicht der dritte Band der Stadtrand-Saga ist, wir werden als Leser wieder ins gleiche Universum gezogen. Wer „Stadtrandritter“ gelesen hat, dem kommen einige Figuren von Nils Mohls neuem Roman bekannt vor: Silvester ist eine der beiden Hauptfiguren dort – auch die Namen Kitty und Domino kennt man, allerdings spielt „Mogel“ einige Jahre vor „Stadtrandritter“, denn Kitty ist in „Stadtrandritter“ bereits tot – sie ist einem Schlaganfall erlegen. Ich habe mich jedenfalls gefreut, dass zwischen den beiden Stadtrand-Büchern und „Mogel“ einige Bezüge bestehen. Ein bisschen Heimatgefühl für jemanden, der die Stadtrand-Saga verschlungen hat …
„Mogel“ beginnt mit Kapitelnummer 16, wird dann vier Kapitel weitergeführt, bevor man dann zu Kapitel 1 kommt, wo die Geschichte, wie Miguel zu Miguela wurde, von hinten aufgezäumt wird. Den Kniff des nicht-chronologischen Erzählens kennt man von den anderen beiden Büchern Nils Mohls, jedoch wurde er dort exzessiver praktiziert. Bis auf die verspätet eingeschobenen Kapitel 1 bis 15 bleibt „Mogel“ ansonsten chronologisch. Nicht von vorne, sondern mit einer abstrusen Situation (Miguel als Miguela an der Tanke) einzusteigen, ist jedoch eine passende Idee, die dem Buch von Anfang an Würze gibt.
Eine bizarre Geschichte wird da jedenfalls erzählt, die auf einen Showdown hinsteuert, von dem hier nichts groß berichtet sei. Miguel gerät in die Fänge von Hengst (nomen est omen), einem berüchtigten Mädchen-Aufreißer, der so seine Geheimnisse hat. Spannend zu lesen ist außerdem, wie Miguel als Ich-Erzähler mit seiner neuen Rolle ringt: Die Verwandlung zum Mädchen ist für ihn nicht einfach zu fassen, er ist immer wieder verwirrt, will aber, um bei seinen Freunden nicht blöd dazustehen, durchhalten.
Sprachlich ist „Mogel“ noch einen Tick konsequenter – oder sollte man „ausgefeilter“ sagen? – in Jugendsprache gehalten als die beiden Bände der Stadtrand-Saga. Das gilt vor allem für die Dialoge, die hauptsächlich zwischen Miguel, Flo, Dimi und Silvester stattfinden. Jungensprache halt. „Super g.“ ist ein Prädikat, das besonders häufig fällt, und „Pussy“ ist das Lieblingswort von Miguels Freunden. Miguel erzählt die Geschichte immer wieder in einer Art Bewusstseinsstrom, in dem Geschehnisse, Beobachtungen und Gedanken wie Gefühle ineinander fließen; elliptische und unvollendete Sätze, Wortneuschöpfungen, Ausrufe und Kurzfragen bestimmen den Text. Doch genau das macht den Text auch so interessant: Nils Mohl hat seinen eigenen Stil, der ungwöhnlich und anregend wortreich ist.
Seine ganze Rafinesse, mit der „Mogel“ in die Nähe des Schelmenromans gerückt wird, zeigt Nils Mohls Jugendroman übrigens, finde ich, auf den letzten 20 Seiten nach dem Showdown. Hier wird dem Roman noch einmal eine neue Wendung gegeben, die zusätzlich über die Verwandlung Miguels in Miguela hinaus aufzeigt, warum das Buch so heißt, wie es heißt … Und hier hält auch der etwas wehmütig-gefühlsintensive Ton Einzug, der das Leben als etwas Besonderes erscheinen lässt und den ich an Nils Mohls bisherigen Büchern so mochte. Auch „Mogel“ ist somit ein typisches Nils-Mohl-Buch, nicht mehr und nicht weniger.
Fazit:
5 von 5 Punkten. Die kurze Form steht Nils Mohl gut. „Stadtrandritter“ war fast schon ein Epos, bei dem ich mir ab und zu ein wenig mehr Stringenz gewünscht hätte, „Mogel“ erzählt konzentriert und gekonnt eine Begebenheit und erlaubt sich keine Abschweifungen. Das gefällt mir. Die ungewöhnliche Begebenheit, dass sich ein Junge als Mädchen ausgibt und dabei auf die Probe gestellt wird, hat seinen Reiz, bei „Mogel“ kommen Leser auf ihre Kosten, die mehr wollen als gut erzählte Geschichten. Gut erzählt ist „Mogel“ auch, ohne Fragezeichen, aber es ist eben mehr: ein literarisches Werk mit einem eigenen Ton. Da findet sicher nicht jeder Jugendliche leicht hinein …
Bis der dritte Band der Stadtrand-Saga erscheint, wird es etwas dauern, und es ist gut, dass wir einen Zwischenhappen bekommen haben. Ich lasse mir da gerne auch noch mehr servieren. Oder um es mit „Mogel“ zu sagen: Hoffentlich bekommen wir neben den Torten noch mehr Petits Fours angeboten.
(Ulf Cronenberg, 29.09.2014)
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Ist „Huch, zum Kuckuck“ oder „Rabatz in meinem Daddelkasten“ typisch für die Jugendsprache?
Fest steht zuerst einmal – das hat man eben auch schon gemerkt – Jugendsprache ist nicht unbedingt Mohls zweiter Vorname. Genauso wie die Spannung der Geschichte hat nämlich auch die Qualität und überzeugende Nutzung von Jugendsprache in dem Buch ihre Höhen und Tiefen.
So nutzt Mohl beispielsweise für die Jugendsprache charakteristische Beleidigungen, wie zum Beispiel „Mongo“, „Pussy“ oder „Missgeburt“. Er zerstört diese Atmosphäre aber sofort wieder durch alte und lächerliche Begriffe wie „Vollschnuller“, „Ratte“ oder „Vögel“. Mit diesen Begriffen erstürmt er dann wohl den ersten Platz unter den Rentnern. Letztere bedenkt er ab und an auch mit einer Erinnerung an ihre ach so wunderbare Jugend. So nutzt er nämlich die top modernen Begriffe „Grünschnäbel“ und „paperlapapp“.
Den elliptischen Satzbau beherrscht Mohl sicher, oder um es in Mohls Jugensprache zu sagen: Die Ellipsen sind bei ihm „schwer in Ordnung“. Trotz zu häufiger Nutzung bleibt dies das beste Merkmal, das annähernd an heutige Verhältnisse erinnert. Ganz nebenbei – und schon fast modern wirkend – nutzt Mohl viele Begriffe aus seiner Jugend.
Zu guter Letzt sei auch noch ein Blick auf den Titel geworfen: „Mogel“! Wieder so ein Begriff, der die heutige Jugensprache mit einer scharfen Kurve ganz knapp verfehlt.
Mohl nutzt in seinem Buch also einen wahren Sprachen-Mix aus heutiger, seiner und der Jugendsprache seiner Großeltern. Dieses wahre Erlebnis wertet das Buch leider auch nicht viel auf. Zusammengefasst also ein Buch für alle Generationen, oder wie sagt man bei Spielen so schön: Ein Buch von 1-99!