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Buchbesprechung: Benjamin Alire Sáenz „Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums“

saenz_aristotelesLesealter 14+(Thienemann-Verlag 2014, 383 Seiten)

Ein lustiges Cover, die Namen zweier Philosophen im Titel und dann noch die vielversprechende Ansage, dass hier zwei die Geheimnisse des Universums entdecken – fast ein bisschen dick aufgetragen für den Titel eines Jugendromans … Das Buch fällt aber zumindest auf. Benjamin Alire Sáenz, der Autor des Jugendromans, lebt in den USA und unterrichtet u. a. Kreatives Schreiben an der texanischen Universität in El Paso, das direkt an der Grenze zu Mexiko liegt. Wie seine Hauptfiguren dürfte er – das lässt der Name vermuten – mexikanischer Herkunft sein.

Inhalt:

Aristoteles nennt ihn eigentlich niemand – auch von seinen Eltern, die mexikanische Wurzeln haben, wird er Ari gerufen. Als jüngster Sohn lebt Ari mit seinen Eltern in El Paso – seine Zwillingsschwestern sind längst aus dem Haus, sein Bruder sitzt seit langem im Gefängnis, und zu Hause spricht niemand über ihn. Ari würde gerne mehr über seinen Bruder erfahren, aber seine Eltern weigern sich, ihm von Fernando auch nur irgendetwas zu berichten. Ferndando und der Grund dafür, dass er im Gefängnis gelandet ist, sind zu Hause absolute Tabuthemen.

Als Ari – eher ein Einzelgänger – im Schwimmbad ist, spricht ihn ein Junge an, der bemerkt hat, dass Ari nicht schwimmen kann, und fragt, ob er ihm das Schwimmen beibringen soll. Ari willigt ein, und so beginnt die Freundschaft mit Dante. Die beiden treffen sich fortan täglich. Das Besondere an der Freundschaft zwischen Ari und Dante ist, dass sie gemeinsam über alles lachen können, selbst wenn es um ernste Themen geht.

Doch ihre Freundschaft ist immer wieder auch Belastungen ausgesetzt: Als Ari Dante das Leben rettet und dabei selbst von einem Auto angefahren wird, verstehen sich die beiden eher schlechter als vorher. Ari ist genervt von der Dankbarkeit, die Dante und dessen Eltern ihm entgegenbringen. Schwierig wird es auch, als Dante bemerkt, dass er homosexuell ist und sich zu Ari hingezogen fühlt. Auch wenn Ari das eigentlich nicht stört, so steht ab dem Moment doch etwas zwischen den beiden.

Bewertung:

Es ist gar nicht so einfach „Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums“ (Übersetzung: Brigitte Jakobeit) zusammenzufassen, und das hat zwei Gründe: Zum einen sind in dem Buch sehr viele verschiedene Themen miteinander verwoben, zum anderen ist weniger die äußere Handlung das Entscheidende, sondern es sind eher die Gespräche zwischen den Figuren und die innere Handlung des Romans.

Ja, es ist beeindruckend, wie viele Themen Benjamin Alire Sáenz in dieses Buch, das in den 1980er Jahren spielt, packt. Um nur ein paar zu nennen: Es geht um die Auswirkungen des Vietnamkriegs (Aris Vater ist Kriegsveteran, ist seit der Rückkehr aus Vietnam ein anderer und spricht nicht über seine Erfahrungen), um Familiengeheimnisse (Ari weiß nicht, warum sein Bruder im Gefängnis sitzt) und um Homosexualität. Man könnte meinen, dass das Buch von der Vielzahl an Themen überfrachtet wird – doch Benjamin Alire Sáenz bekommt beeindruckend gut hin, dass das nicht passiert. Da wirkt nichts gekünstelt, sondern fügt sich gekonnt zusammen. (Nur einmal – aber das nur am Rande – hat Benjamin Alire Sáenz meiner Meinung nach den Faden verloren: Als Dantes Mutter kurz nach der Hälfte des Buches schwanger ist, ist das nur eine kurze Episode, die später nicht mehr Erwähnung findet.)

Was die Handlung angeht, so kennt das Buch einige unerwartete Wendungen: Wie Ari Dante das Leben rettet und welche Folgen das hat, ist nur eine Station in dem Buch – weitere folgen … Was mich an dem Buch jedoch am meisten begeistert hat, sind die Dialoge zwischen Ari und Dante; in den Gesprächen spiegeln sich zwei Jugendliche in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit wider: zwei Jungen, die auf der Suche nach sich selbst sind, sich am Erwachsenwerden reiben, mal leiden, mal glücklich sind – und nebenbei die Welt und die Menschen zu verstehen versuchen … Und das gelingt ihnen oft genug nicht.

Ich sah ihn an. »Ich habe eine Theorie, warum Mütter so streng sind.«
Dante lächelte beinahe. »Weil sie uns lieben, Ari.«
»Das ist nur der halbe Grund. Die andere Hälfte ist, weil sie wollen, dass wir für immer ihre kleinen Jungen bleiben.« (S. 61f)

Es sind solche Dialoge, die dieses Buch ausmachen – nicht nur zwischen Dante und Ari, sondern auch zwischen Ari und seiner Mutter. Nur Aris Vater ist nach dem Krieg verstummt, redet kaum ein Wort und hat seine Geheimnisse. Ja, Geheimnisse – das ist überhaupt das Stichwort: Ari weiß nicht, warum sein Bruder im Gefängnis sieht, und hierüber verliert keiner ein Wort. Oder: Dante traut sich seinen Eltern nicht zu sagen, dass er homosexuell ist …

Und was erwartet man als Leser am Ende? Dass die Geheimnisse gelüftet, die Tabus abgelegt werden … – und so kommt es auch. Für Ari ist es bis dahin ein langer Weg, auf dessen Zielgerade er und seine Eltern nicht nur eine große Krise durchzustehen haben. Doch Aris Eltern halten letztendlich zu ihm, geben ihm Rückhalt und öffnen sich irgendwann. Benjamin Alire Sáenz‘ Buch ist ein Plädoyer für Offenheit, dafür, dass man miteinander redet, dafür, dass man zu sich selbst steht – und dieses Plädoyer wird mehr als überzeugend vorgetragen.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Benjamin Alire Sáenz‘ „Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums“ ist ein Buch, das mir gut gefallen hat – nur die Auflösung am Schluss fand ich nicht so ganz überzeugend (ich hätte gut ohne die abschließende Wendung leben können). Doch ansonsten besticht der Jugendroman durch ausgefeilte Dialoge, durch eine wohltuende Unvorhersehbarkeit, vor allem aber auch durch die Thematisierung wichtiger Fragen, die sich Jungen am Rande des Erwachsenwerdens stellen. Es geht um Selbstfindung und um die Abgrenzung von anderen, darum, wie Dinge, die wir erlebt haben und die uns verschwiegen werden, unbewusst unser Leben bestimmen – und dass es wichtig ist, sie ins Bewusstsein zu holen.

Alles in allem ist „Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums“, auch wenn einiges passiert, eher ein stilles, ein behutsames Buch, das weniger seiner Handlung wegen als aufgrund der inneren Entwicklung der Figuren etwas Besonderes ist. Es lohnt sich, mit Ari und Dante die Geheimnisse des Universums zu entdecken zu versuchen …

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(Ulf Cronenberg, 16.08.2014)


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Kommentar (1)

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