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Buchbesprechung: Corinna Antelmann „Der Rabe ist Acht“

antelmann_rabeLesealter 15+(mixtvision-Verlag 2014, 221 Seiten)

mixtvision – das muss einmal lobend gesagt werden – ist immer für ein besonderes Buch gut, und „Der Rabe ist Acht“ von Corinna Antelmann, die bisher eher bei Film und Theater zu Hause war, wurde bereits als Manuskript (also vor dem Erscheinen) mit zwei Preisen bedacht. Aufmerksam wurde ich auf das Buch jedoch, als es im Mai 2014 auf der Liste des Deutschlandfunks „Die besten 7 Bücher für junge Leser“ auftauchte. Ich weiß nicht, ob ich das Buch mit dem seltsamen Titel und dem eher faden Cover sonst gefunden hätte. Mal ehrlich: Das Buchcover mag zum Buch passen, aber ein Blickfänger, der Jugendliche zum Kaufen anregen könnte, ist es nicht.

Inhalt:

Maja ist eine Musterschülerin: gute Noten, nie um eine intelligente Antwort verlegen, immer gut auf den Unterricht vorbereitet. Dass in ihrer Seele jedoch auch noch eine andere Seite schlummert, weiß niemand. Im Keller der Schule an einem Ort, an den niemand kommt, zerschmeißt sie mehrmals volle Milchflaschen.

Klebe dagegen schreibt eher durchschnittliche Noten, doch die meisten Lehrer mögen ihn seiner gewinnenden Art wegen, halten ihn außerdem für intelligent. Immer wieder steckt er seinen Lehrern gelbe Zettel mit über den Unterricht hinausgehenden Fragen zu, die diese meist jedoch nicht beantworten. Als Klebe dann vor dem Lehrerzimmer stehend mitbekommt, wie Lehrkräfte sich über seine Zettel lustig machen, ist er wütend und zieht sich aus der Schule zurück. Mit Maja, die er eines Tages beim Zertrümmern der Milchflaschen im Keller entdeckt, verbindet ihn diese Wut.

Dass Klebe und Maja sich anfreunden, hätten sie selbst nicht gedacht – zu unterschiedlich scheinen sie äußerlich und in ihrem Auftreten. Klebe interessiert sich für Zahlensymbolik und weiß bei dem Thema Majas Neugierde zu wecken; und ein paar Zufälle, was die Interpretation von Zahlen angeht, lässt es so erscheinen, als wäre es Schicksal, dass die beiden sich begegnet sind.

Doch die Zahlensymbolik treibt seltsame Blüten: „6 aus 49“ – das interpretieren Klebe und Maja in ihrem Zahlenrausch und in ihrer Wut so, dass sie von den 49 Kollegen ihrer Schule sechs umbringen müssen. Anfangs glauben beide nicht an die Umsetzung des Plans, doch als Klebe sich eine Waffe besorgt, wird es ernster und ernster …

Bewertung:

Ein von Beginn an leicht zugängliches Buch ist „Der Rabe ist Acht“ nicht – es hat ein Weilchen gedauert, bis es mich gepackt hat. Das liegt nicht nur daran, dass der Jugendroman sich Zeit lässt, bis er eine gewisse Dramatik entfaltet, sondern vor allem auch an seiner anspruchsvollen Schreibweise.

Erzählt wird die Geschichte zweiperspektivisch – der größere Teil von Maja, der kleinere Teil aus der Sicht von Klebe. Assoziativ, fast in einer Art Gedankenstrom schreibt Corinna Antelmann. Was anfangs manchmal etwas spröde wirkt, zeigt sich, hat man sich hineingefunden, jedoch als glaubwürdig: Detailliert bekommt man geschildert, was Klebe und Maja denken, was in ihnen vorgeht … – und besonders spannend sind die Stellen, wo sich die beiden Erzählperspektiven überschneiden: Was Maja berichtet, wird an zwei Stellen des Buches noch einmal aus der Sicht von Klebe dargestellt.

Was erzählt Corinna Antelmann da eigentlich für eine Geschichte? Maja und Klebe haben beide nicht gerade intakte Elternhäuser: Majas Mutter scheint depressiv, ihr Vater ist kaum da. Klebes Vater hat sich, wie Klebe es nennt, „vertschüsst“ (schönes Wort!), seine Mutter arbeitet viel und räumt, wenn sie zu Hause ist, ständig auf. Und so bekommt auch niemand mit, was in den beiden vorgeht: ihre Wut, ihre Enttäuschungen, ihre bizarren Gedankenwelten mit der Zahlensymbolik, auf die sie sich versteifen. „Der Rabe ist Acht“ handelt von zwei haltlosen Jugendlichen, die im Leben schwimmen, des Lebens überdrüssig sind und sich langweilen. Und die um sich selbst kreisenden Erwachsenen merken es nicht.

Klebe und Maja sind vielschichtige Figuren, auch wenn sie – aber das ist literarisch ja durchaus zu rechtfertigen – ab und zu etwas überfrachtet wirken. Maja zum Beispiel gibt sich äußerlich als angepasstes und strebsames Mädchen. Im Buch jedoch lernt man ihre dunklen Seiten kennen, die sie in der Schule und anderen gegenüber gut zu verstecken weiß: ihre Wut, ihr Hass auf so vieles. Erst Klebe gegenüber zeigt sie etwas von diesen Seiten. Bei Klebe ist das nicht viel anders, und indem Maja und er zusammenfinden, potenziert sich ihre Wut, um in der Idee vom Amoklauf an der Schule zu gipfeln.

Den orientierungslosen Jugendlichen stehen nicht gerade starke Erwachsene gegenüber: Manche Lehrer erscheinen schwach, auch die stärkeren unter ihnen geben Jugendlichen nicht gerade befriedigende Antworten, und der sich intellektuell gebende Kunstlehrer mit dem Pferdeschwanz z. B. schleppt immer wieder Schülerinnen ab. Nicht gerade ein positives Gesellschaftsbild steht hinter all dem …

Fazit:

5 von 5 Punkten. Man mag das Menschenbild in „Der Rabe ist Acht“ zu negativ oder zu klischeehaft finden – doch mich hat das nicht gestört. Das Buch, das ich anfangs etwas zögerlich weitergelesen habe, hat mich spätestens ab der Mitte irgendwann so gefesselt, dass ich es dann schnell durchgelesen hatte. Corinna Antelmann hat ein literarisches Buch geschrieben, das wort- und sprachgewandt die Orientierungslosigkeit zweier Jugendlicher in ein seltsames Szenario packt. Wie kommen zwei intelligente Jugendliche, die bisher nicht auffällig waren, dazu, sich in die Idee eines Amoklaufs zu verrennen? Für mich ist „Der Rabe ist Acht“ so etwas wie eine Erklärungsversuch, der sicher nicht in allem psychologisch haltbar, aber dennoch reizvoll ist.

Ein Buch für breite Leserscharen hat Corinna Antelmann nicht geschrieben, sondern ein Buch für aufmerksame Leser, die bereit sind, eher in die Figuren als auf die äußere Handlung zu schauen und sich gerne herausgefordert fühlen. Die Autorin hat etwas gewagt, das Buch provoziert beim Leser Fragen, ab und zu auch Widerspruch. Aber letztendlich mag ich es, wenn ein Buch dem Leser auch etwas abverlangt …

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(Ulf Cronenberg, 01.08.2014)

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